Radtour von Geretsried
über Sylvenstein - in die Jachenau

mit Abstechern zum Rotwandausblick und zum Staffel
Sehenswürdigkeit: die Steinpyramiden von Karl-Heinz Fett, die sogar bei Hochwasser stehen bleiben
ebenso wie die Steinmanderl/Säulen von Helmut Steinbacher aus Österreich

26. Juni 2006 - Montag

© Regina F. Rau



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Schon am Morgen als ich aufstand fühlte ich mich fit wie ein Turnschuh und die Sonne strahlte besonders klar zum Fenster herein. Die Christallkugeln am Fenster warfen hunderte kleiner Regenbogen ins Zimmer.
Ich stand auf und duschte mich kalt, heute mal wieder mit richtigem Gusto. Aaah – wenn’s hinterher richtig schön heiß wird, das tut gut!

So – und dann müsste nur noch der Rucksack gepackt werden. Und: ... wo geht`s eigentlich hin? Das Rucksackpacken ist das schlimmste. Es dauert bis Nachmittag, bis ich mich zwischen den vielen Tour-Möglichkeiten entschieden und gepackt hab. Im Rucksack sind:

2 Schlafsäcke, die beide nichts taugen -aber zusammen wird’s wohl gehen
einer 1,5 kg bis 10°C, der andere 1kg ultra light bis 10°C
1 Zeltplane mit Ösen, 2,50 x 2,20m – für alle Fälle, als Regenschutz und Unterlage
1 Picknickunterlage mit Isolierschutz
1 dickes Flausch-Sweatshirt.
1 Trekkinghose – Beine abnehmbar
2 Flaschen 1 ½ Liter Tee
2 Bücher zum Lesen mit spirituellem Inhalt
1 Mini-Frottee-Lappen zum waschen, abtrocknen (20 x 20cm)
die notwendigsten Toiletten-Artikel
1 Mini-Logbuch
1 Digi-Cam
1 Fernglas
1 Radfahrkarte „Bad Tölz – Lenggries“ vom Bayrischen Landesvermessungsamt – eine der besten.

Drei Mal meldet sich mein „gutes Gewissen“, Fahrradflickzeug und Schraubenschlüssel mitzunehmen. Ich finds nicht gleich – also lass ich es.

Um 15.30 verlasse ich die Wohnung, packe den Rucksack aufs Rad – der ist eigentlich absolut zu groß, um ihn so quer aufs Rad zu schnallen. Aber jetzt hab ich wirklich keine Lust mehr, alles umzupacken. Also schnalle ich mir den Packsack (9kg) auf den Rücken – und los geht’s.

Hinter Königsdorf bei OsterhofenBei Königsdorf-Osterhofen denke ich: „Ist schon so spät. Ob das heute überhaupt noch was wird. Ich komm ja nicht mal bis Tölz, geschweigedenn wieder zurück. Vielleicht fahr ich einfach wieder nach Hause. Eine kleine Tour hab ich ja gemacht...“ Meine zweite Stimme: „Nee nee, nix da – du fährst jetzt nach Tölz und dann kannst du es dir ja neu überlegen! Keine faulen Ausreden. Jetzt wird sich mal bewegt!“


Also fahre ich diesmal einen neuen Weg über Osterhofen, und das Jugendferienlager – den ausgeschilderten Radweg. Es ist eine herrliche Strecke – kaum Autos – friedlich und „unberührt“ – wie die meisten Radstrecken hier. Bei Osterhofen hole ich eine Truppe Radler ein, deren Coach das Schild „Venedig“ vorn am Rad montiert hat. Ich fahre eine zeitlang mit ihnen. Der Coach grinst mich an und fängt an, sich mit mir zu unterhalten. 3 Mal im Jahr macht er solche Strecken und das seit 12 Jahren. Tja – da wundert mich nix mehr. Einer der Herren pustet völlig atemlos hinterher. Mit ihm kann ich gerade mal so mithalten. Mitten am Berg versagt meine Gangschaltung. Der Coach bremst sofort und will mir unbedingt helfen. Mir ists ganz peinlich – weil ich doch sowieso nicht mitpusten kann... Die Gangschaltung geht wieder – ich fahr so gut ich kann weiter. Hechle dem älteren Herren wieder hinterher. Als ich an eine Abzweigung komme, schaue ich mich um. Der Coach ist weit und breit nicht zu sehen. Ohh – das ist mir wieder schrecklich peinlich. Zuerst hilft er mir – und dann radel ich auch noch einfach so davon. Na da kommt er ja – gaaanz weit hinten. Alle schnaufen. Und ich... schnell weg hier, trete so fest ich kann in die Pedale. Kurz vor Tölz geht der Radweg an der Isar entlang. Es ist eine traumhafte Stimmung hier. Obwohl so kurz vor der Stadt – wirkt der Fluss hier wie ein smaragdgrüner Strom aus einem Märchen, bläulich schimmernd wechselt er die Farbe, die weißen Sandbänke aus feinstem Kies lassen das Bild zum Kunstwerk werden – ein echter Augenschmaus und Balsam für die Seele!

die Steinpyramiden an der Isar - errichtet von Karl-Heinz-Fett
Karl-Heinz ist unermüdlich - und erneuert die Pyramiden nach jedem Hochwasser
Steinpyramiden an der Isar - errichtet von Karl-Heinz-Fett Karl-Heinz ist unermüdlich - und erneuert die Pyramiden nach jedem Hochwasser
dieses halbrunde Gebilde erinnert stark an Gärten von fernöstlichen Klöstern
Die Steine sind felsenfest - ohne jegliches Hilfsmittel übereinandergestapelt
Dieses halbrunde Gebilde erinnert stark an Gärten von fernöstlichen Klöstern Die Steine sind felsenfest - ohne jegliches Hilfsmittel übereinandergestapelt

Karl-Heinz Fett und seine bekannte „Steinerne Stadt“

Die Steine sind felsenfest - ohne jegliches Hilfsmittel übereinandergestapeltKarl-Heinz Fett ist 65 Jahre alt und kam erst Anfang 1998 zur Tölzer Lebenshilfe, die ihm damals einen Arbeitsplatz in unserer Gaißacher Oberland Werkstätte und eine Unterkunft in unserer Tölzer Außenwohngruppe in der Buchener Straße zur Verfügung gestellt hat. In den Jahren zuvor hatte Karl-Heinz Fett schlimme Zeiten erlebt, denn da vagabundierte er Sommer wie Winter hilflos im Freien, bis sich ein aufmerksamer Mensch seiner annahm, der den verängstigten und durchfrorenen, verwahrlosten und halb verhungerten Mann vorübergehend bei sich aufnahm und dann einen Kontakt zur Lebenshilfe herstellte. Mittlerweile ist der 65-Jährige in Rente gegangen und kann auch weiterhin auf die Unterstützung der Lebenshilfe bauen.
In früheren Zeiten hat Karl-Heinz Fett einmal als Kumpel im Bergwerk unter Tag gearbeitet und von daher möglicherweise eine ganz persönliche Beziehung zu jeder Art von Gestein entwickelt: Jedenfalls ist er im Tölzer Land durch den Bau seiner „Isarpyramiden“ weithin bekannt geworden. Seine aus zehntausenden von Bachkugeln aufgeschichtete „steinerne Stadt“ im breiten Kiesbett der Isar zwischen Arzbach und Bad Tölz fand bereits ein beträchtliches Medienecho und lockt seit Jahren unzählige Schaulustige an. Sogar das Bayerische Fernsehen hat ihm dort einmal einen Besuch abgestattet.
„Klein-Kairo“ besteht aus einer Vielzahl mannshoher Steinpyramiden, die natürlich keine Werke für die
Ewigkeit sind: Jedes größere Hochwasser der reißenden Isar (wie zuletzt heuer im August) macht nämlich diese bizarre Kunstlandschaft wieder dem Erdboden gleich. Doch dann beginnt Karl-Heinz Fett sein Werk unverdrossen und geduldig wieder von vorne. Mit seinem Fahrrad mit Anhänger und seinem Hund „Billi“ an Bord trifft man ihn regelmäßig auf dem Isaruferweg zwischen der Außenwohngruppe und seiner „Baustelle“ an. Trotz seines Bekanntheitsgrades hat die Lebenshilfe ihren Schützling nicht zum Star hochstilisiert. Karl-Heinz Fett sammelt übrigens nicht nur Steine – im Haus Burgfrieden, wo er mit seiner Lebensgefährtin Jutta Windmann wohnt, kennt man ihn auch als begeisterten Rosenzüchter.


Es geht weiter unter der Isarbrücke in Tölz hindurch – Richtung Lenggries. Die Isaraue hat noch immer ihren urtümlichen Charakter – überall wachsen kleine Latschenkiefern und kurzes Gewächs – es sieht sehr wild aus, es riecht ätherisch – die Luft flimmert – herrlich!
Jetzt bin ich richtig ein bisschen stolz auf mich, dass ich die innere Hürde überwunden habe. Kaum hab ich das gedacht, sehe ich einen riesigen Pfeil aus Steinen am Boden. Er weist zur Isar hin, wo ein schmaler Pfad hinführt. Ich bremse, fahre zurück. Das muss ich mir ansehen. Was wohl hier zu finden ist?

Als sich der Pfad lichtet, traue ich meinen Augen nicht. Ich fühle mich wie nach Tibet versetzt... wie in eine andere Welt. Es fühlt sich feierlich an, diesen Ort zu betreten. Überall sind Steinpyramiden aufgestellt. Und dort, wo man den Schauplatz betritt, befindet sich eine Art „Garten“, der mit einer Steinmauer umfriedet ist. In ihm stehen etliche filigrane Figuren aus übereinander geschlichteten Steinen. Sie blicken alle Richtung Osten. Der Boden in diesem „Garten“ ist wie in uralten Kirchen der Kirchboden aus lauter aufrecht gerichteten Steinen gepflastert. Ein Sandpfad führt um den „Garten herum. Er geht aber nicht, wie ich vermutete hatte im Kreis, sondern endet dort, wo der Kreis sich schließen würde – mit einer Steinmauer. Die Steine sind derart kunstvoll und magisch aufeinander geschlichtet, dass ich es nicht lassen konnte, eine Formation zu berühren. Dort stand ein fast kugelförmiger Stein ganz oben auf dem Sims auf ein paar weiteren sehr „wackelig“ anmutenden Steinen. Aber ich staunte: er rührte sich nicht von der Stelle, stand wie von magischer Kraft fest und solide. Ich versuchte es noch einmal bei einer Turmkonstruktion aus lauter Steinen, von welchen man meinen möchte, dass der nächste Windstoß sie einfach nur umbläst. Auch die standen felsenfest übereinander...

Ich habe keine Ahnung, was diese Pyramiden bedeuten könnten. Aber ein wirklich feierliches Gefühl, als ich durch diesen seltsamen „Park“ gehe. Ich besteige ein Pyramidenpaar in der Mitte und mache ein paar Fotos. Dann verabschiede ich mich respektvoll und weiter geht die Fahrt.

Die Recherche im Internet barchte später, dass der Karl-Heinz Fett, der 60jährige Baumeister, ein Obdachloser mit unermüdlichem Einsatz seine mittlerweile fast 50 Steinpyramiden gegen das Isar-Hochwasser verteidigt. Manchmal sitzt er wohl etwas schüchtern abseits und bittet per aufgestellter Sammelbüchse freundlich um eine Spende für sein Werk. Das kann sich sehen lassen: In Reih und Glied stehen seine regional berühmten, übermannshohen Steinpyramiden auf einer Kiesbank neben der Isar, die sie jedes Jahr beim Frühjahrs- und Sommerhochwasser zerstört.

Fleck - hinter Lenggries. Es wird schon dunkelUm 18.30 komme ich in Lenggries an. Es ziehen immer mehr Wolken auf. Aber immer noch scheint die Sonne. Ich befinde mich schon auf dem Weg nach Fleck, als mir einfällt, dass ich gar nichts zu essen dabei habe. Eigentlich wäre das mal gar nicht so schlecht – aber andererseits stelle ich mir vor, später irgendwo da oben zu hocken und dass ich keine Ahnung habe, wie ich mich ohne Nahrung auf dem Fahrrad in den Bergen halte. Also entschließe ich mich doch noch umzukehren. In Lenggries kaufe ich mir 4 tolle Äpfel und 4 kleine Pfirsiche. Die Pfirsiche sehen sehr lecker aus und duften verlockend. Zwei davon lass ich mir gleich schon unterwegs schmecken. Hinter Fleck kommen mir laufend Inline-Skater entgegen. Der Teer des Radweges ist hier sehr fein und glatt. Ein echtes Inliner Paradies! Sie fahren in ruhiger, weitausholender Bewegung – scheinen über dem Boden zu schweben. Es gibt auch einen älteren Langläufer auf Brettern mit Rädern, der sich kräftig mit seinen Stöcken anschiebt, Respekt!
Mein Rucksack wird mir inzwischen arg schwer und so finde ich doch eine Konstruktion, ihn mit Hilfe von zwei Expandern hinten auf dem Gepäckträger festzuschnallen.

Weiter hinten wird es immer ruhiger. Es fahren kaum noch Autos. Der Radweg führt jetzt in einiger Entfernung zur Straße durch dichten Wald. Kein Laut ist zu hören... Dann führt der Weg plötzlich steil bergan – ist mit einem dicken weißen Streifen in zwei Seiten getrennt. Vermutlich ist darauf zu achten, damit einen Entgegenkommende nicht überfahren... Die Stimmung wird immer spannender – der Himmel hat sich sehr zugezogen. Es geht durch einen feuchtkalten Tunnel ... ich bin am Sylvenstein-Stausee angekommen.

Fast hätte ich laut „Juchuu“ gebrüllt – aber die Stimmung hier ist so feierlich und majestätisch, dass ich meine Überwältigung im Stillen genieße. Der Anblick der herrlichen Berge und des in diesem wolkenbehangenen Dämmerlicht wie angschmiegt liegenden smaragden „glühenden“ Sees ist wie ein Gebet.

Am Sylvensteinstausee angekommen. Juchuuu!
Es herrscht mystische Stimmung. Schwarze Gewitterwolken hängen hinten im Tal bei Fall.
Am Sylvensteinstausee angekommen. Juchuuu ! Es herrscht mystische Stimmung. Schwarze Gewitterwolken hängen hinten im Tal bei Fall.


Da stehe ich nun und habe keinen Schimmer, wohin ich fahren soll. Auf der Karte gibt es ab hier nichts mehr, was ich heute noch schaffen könnte. Ich denke daran, mir hier einen Schlafplatz zu suchen. Aber wenn ich die über mir schwebenden schweren Wolken betrachte und das sich zusammenbrauende Unwetter, dann vergeht mir dieser Gedanke. Ich habe ja kein Zelt dabei. Also muss ich weiter. Aber wohin? Es gibt auch keine normale Radwegbeschilderungen mehr, nur zurück.
Ein weiterer Blick auf die Karte zeigt mir eine steile MTB-Strecke (Mountainbike) über die Schronbach-Alm hinüber in die Jachenau. Da fällt mir eine Hütte ein, die ich bei einer Wanderung mit meinem Freund Dirk dort einmal gesehen hatte. Der erste Wunsch als wir sie sahen, war damals gewesen: „hier einmal übernachten – das muss herrlich sein!“ Aber bis dorthin war es noch sehr weit.

Es wurde dunkler, der Himmel bedrohlicher. Also schwinge ich mich kurzentschlossen wieder aufs Rad und fuhr los. Das schaffte ich gerade mal fuffzig Meter weit. Dann war die Puste weg. Ich kann mir kaum vorstellen, wo diese Leute die Puste und die Kraft hernehmen, solche Berge raufzuradeln. Es geht sehr steil hinauf. Ich steige ab, sag mir: „Dass schaffst du!“ und dann geht’s los. In kantigem Marschschritt und mit der Hütte vor Augen tapse ich wie ein Bär, dem man ein Glas Honig vor die Nase hält, bergauf. Zum Glück lässt nach zwei längeren Strecken – nach der zweiten Biegung die Steigung nach. Ich setze mich wieder auf`s Rad und radle weiter. Es geht sogar erstaunlich gut. Es geht entlang dem malerischen Schronbach, der durch sanfte Almwiesen fließt, umsäumt von duftenden Tannenwäldern. Die Schronbach-Almhütte duckt sich an den Berghang.

Immer wieder suche ich während der Fahrt nach einem geeigneten Plätzen für die Nacht. Aber mein Bauch will nicht „hier“ sagen. Ein Bussard fliegt aus dem Wald, direkt vor mir – lässt sich vom Wind in die Wipfel tragen. Ich sehe ein Plätzchen, das könnte mir gefallen. Abgegraste trockene Wiese, Waldrand, ein Bach fließt vorbei. Aber mein Bauch bleibt bei seinem „nein“. Ich sehe vor meinem imaginären Auge eine regendurchtränkte Wiese... und mich platschnass mittendrin. Das „sehe ich ein“ und fahre zuversichtlich weiter.

Ich fahre über den Berg auf dem Weg für Mountainbiker - er führt in die JachenauJetzt wird es dunkel. Es geht noch einmal steiler bergan. Ich kann sitzen bleiben, dann eine Strecke bergab – und wieder hinauf. Wieder muss ich absteigen. Oben angekommen, finde ich eine beschilderte Kreuzung. Der Fahrradweg teilt sich in 3. Ich schaue später nach:
von links nach rechts führen sie: 3,5 km weiter, um dort in einen steilen Fuß-Steig zu münden. Der zweite führt zu einem weiteren Fußsteig zur Staffelalm – eine Strecke lang mit dem Rad hinauf, die weiter hinten, wo der Steig zum Staffel hinauf beginnt, hinunter nach Niggeln in der Jachenau. Dieser Weg ist allerdings vermutlich nur für geübte MTB-Fahrer geeignet – sehr matschig, teilweise sehr steil und steinig – und vom Gewitter von großen Rinnen durchfurcht.
Der dritte Weg führt hinunter – vorbei an der Graben-Alm - mit einem kleinen Abstecher links hinauf zum Ausblick zur Rotwand – und weiter über sehr steile und matschige, ausgewaschene Fuhrwege hinunter nach Höfen, Jachenau.

Ich entschließe mich für den Weg nach Höfen in die Jachenau. Und nach ca. 100 Metern abwärts steht sie da, die Alm, die mich schon einmal zum Verweilen eingeladen hätte. Diesmal nehme ich ihre Einladung gerne an. Sie nennt sich Grabenalm und liegt auf 896m Höhe. Es ist noch immer nicht dunkel. Mit kindischer Begeisterung begutachte ich die Hütte. Es gibt unter vorgezogenem Dach zwei Bänkchen zwischen aufgeschlichtetem Holz. Die würden mich schon sehr anlachen. Die Hütte ist eingefriedet von einer Hecke aus Tannen und einem Holzzaun. Ich sehe mich nach einer Möglichkeit um, mich frisch zu machen. In der Nähe finde ich einen schmalen Bach, der gerade so viel Wasser hat, dass ich mich mit Hilfe des Waschlappens gut waschen kann. Das Wasser ist eisig. Die Füße brannten, jetzt stechen sie. Zufrieden lächelnd gehe ich zur Hütte zurück. Auch hier sind herrliche, trockene Almwiesen. Drei mal gehe ich zwischen den Wiesen und der Hütte hin und her. Zuerst war der Himmel noch einigermaßen unbedenklich. Aber jetzt sehe ich vom Sylvensteinspeicher her eine bedrohlich schwarze Wand hier herüber rollen.

Ich besehe mir die Hütte genauer. Hinten gibt ist die Verbindung von Hütte und Scheune überdacht. In eine Ecke, die mir am geeignetsten scheint, lege ich meine Planen aus. Immer wieder arrangiere ich alles neu – korrigiere die Fehler meiner „Faul“heit – die mir später vielleicht leid tun könnten. Die zwei Schlafsäcke ineinander statt übereinander. Die Plane ganz aufgeschlagen statt halb, die eine Hälfte zur Ziehharmonika gelegt, die ich jederzeit mit einem Handgriff – im Falle eines Falles – über mich ziehen kann, damit ich mit meinem Schlafsack wie in einem Tunnel geschützt bin und noch ein paar „Kleinigkeiten“, wie z.B. die Ohrenstöpsel unter meine Unter-Hose stecken, damit ich sie finde, falls ich sie brauchen sollte.

Gerade noch rechtzeitig entdecke ich die "Grabenalm". Das Gewitter grollt drohend vom Sylvenstein her...
Die Grabenalm von hinten - hier fand ich Unterschlupf vor dem großen Gewittertoben
Gerade noch rechtzeitig entdecke ich die "Grabenalm". Das Gewitter grollt drohend vom Sylvenstein her... Die Grabenalm von hinten - hier fand ich Unterschlupf vor dem großen Gewittertoben


Ich mache ein paar Dehn- und Yogaübungen, spüre große Zufriedenheit. Die Vögel singen immer noch, obwohl es schon fast dunkel ist. Es ist jetzt bestimmt schon nach 22.30 Uhr. Jetzt liege ich wohlig eingehüllt in meinen Schlafsäcken. Gerade wollen mir meine Augen zufallen, da höre ich Donnergrollen von Ferne. Noch einmal stehe ich auf und sehe nach. Der Himmel ist von schweren Gewitterwolken behangen. Schnell hole ich noch die Ohrenstöpsel aus meinem Rucksack. Dann liege ich wieder und schon prasselt ein schwerer Regensturm los. Wie gut, dass ich nicht fahrlässig geblieben bin!
Zuerst grollt es wütend vom Sylvenstein herauf. Ich zähle. Noch sind es 7 Kilometer. Das Gewitter verzieht sich irgendwo hinter die Berge – und plötzlich kommt es wieder, immer schneller. Dann blitzt es grell – und ein markdurchdringender Knall fährt mir durch die Glieder. Jetzt ist es direkt über mir. Das Gefühl ist schon nicht ganz alltäglich. Ich halte mir die Ohren zu, dann fallen mir nach einer Weile die Ohrenstöpsel ein. Jetzt höre ich nur noch Geräusche wie von weiter Ferne. Der Blitz fühlt sich an wie ein riesiger Laserstrahl, körperlich wie seelisch. So hautnah erlebt, dringt durch und durch. Unter meiner Plane wird es nass. In meiner Plane wird es nass. Ich hatte das Kondenswasser vergessen. Ich mache ein Loch, damit ich freier Atmen kann. Dann schlafe ich erschöpft und trotz des Krawalles wieder ein.
Zu dem einen Gewitter gesellen sich noch ein paar andere, die von der Jachenau heraufziehen. Fast alle 6-8 Sekunden ein Blitz. Ich wache wieder auf, setze mich in die Plane und die Schlafsäcke gerollt hin, um besser beobachten zu können, wie die Blitze über die Berghänge schlagen. Und ich wundere über das selige Gefühl, das mich überwältigt und ich nicke im sitzen ein. Schnell lege ich mich wieder hin.
Es mag stunden dauern, als endlich ein bisschen Ruhe einkehrt. Es dämmert schon. Das Gewitter kommt zurück. Wieder direkt über mir. Der Boden um mich herum ist platschnass, voller kleiner Rinnsale und Pfützen. Die Plane ebenso, auch innen. Und doch fühlen sich meine Schlafsäcke trocken an.
Um 5.00 Uhr morgens fliegt ein kleiner Piepmatz ins innere der Überdachung und singt mir ein fröhliches Guten-Morgen-Lied, das ich sogar noch durch die Ohrenstöpsel höre.
Um 7.00 Uhr kommt ein Traktor von Höfen herauf. Er hält kurz inne, vermutlich als er mein Fahrrad am Gatter zur Hütte stehen sieht – aber er fährt weiter, hinauf Richtung Staffel. Ein weiteres Auto hat den Weg hier herauf gefunden. Sie beäugen misstrauisch meine über den Zaun gehängten Schlafsäcke, fahren dann aber wieder durch den Wald zurück.

Die Sonne strahlt wieder. Jetzt stehe ich auf, mein Schlafsack tropft unten vor Nässe, auch die Planen. Es rauscht gewaltig in meiner Nähe. Die Wiesen sind – wie mir meine Intuition gestern zeigte – allesamt wie Schwämme, wilde Bäche laufen darüber hinweg. Das fast vertrocknete Rinnsal neben dem Haus hat sich zu einem reißenden Wildbach entwickelt. Ich bade ausgiebig darin, gehe barfuss durch die Wiesen, pflücke mir ein paar Kräuter zum Frühstück. Herrlich! Die Kühe kommen an den Zaun und beäugen mich neugierig. „Hey Luise – komm mal her, schau, da grast ein Mensch!“

Ich wringe Schlafsack und Kleider aus, die von der Leine gefallen waren, hänge alles in die Sonne, freue mich immer noch wie ein kleines Kind, dass ich trotz allem so toll schlafen konnte. Ein paar Dehn- und Yogaübungen und eine kleine Meditation sorgen für Lust auf neue Unternehmungen.
Ich gehe zum Rotwandausblick hinauf, gleich in der Nähe. Der Ausblick ist herrlich. Man kann von hier aus sehr weit in die Jachenau hinein blicken – und das aus nächster Nähe. Direkt am Ausblick geht es senkrecht hinunter. Der Bauer hat einen Zaun dort angebracht und ein paar gemütliche Bänke. Leider sind die pitschenass.

Danach entscheide ich mich, den Staffel hinaufzugehen. Am Schild an der Kreuzung stand: 50m. Das konnte ja nicht sein. Das will ich mir näher ansehen. Vorher packe ich alles wieder ein. Die Schlafsäcke und die Kleider sind wieder strohtrocken.

Um 11.15 fahre ich die Fuhrwegstrecke mit dem Rad, bis es wegen der Steigung und dem Schlamm nicht mehr geht. Dann führt eine ziemlich unattraktive Traktorspur steil hinauf. Überall rauschen breite Wildbäche, ich lösche meinen Durst daran. Das Wasser schmeckt mild und süß. Weiter oben führt der Weg über einen steilen Steig durch den Wald über Steine und Wurzeln. Überall fließt das Wasser, der Weg ist sehr matschig aber ich kann mit meinen Turnschuhen gut durch, weil es genug Steine und Wurzeln gibt, über die ich springen kann.

Es geht hinüber von dem Berg auf dem ich mich befinde hinüber zum Staffelberg. Nach einer Zeit trifft man auf zwei weitere Anstiege von der Jachenau herauf – aus Niggeln. Als der Kamm erreicht ist, gibt es zum ersten Mal einen herrlichen Ausblick bis hinüber zum Sylvenstein-Stausee, auf die großen schneebedeckten Gebirge – aus nächster Nähe – ein überwältigender Anblick. Schade – heute morgen wollte die Kamera nicht mehr – die Batterien waren leer. Und auf der anderen Seite kann man schon ein bisschen in die Jachenau sehen.
Es lichtet sich, grasbewachsene Almen kommen in Sicht. Es gibt 3 Hütten hier. Eine davon ist bewohnt oder bewirtschaftet. Zwei Männer kommen vom Gipfel. Es sieht aus, als wären es nur noch wenige Meter. Die beiden Männer beeilen sich, reden von Regen - und dass sie nun schauen müssten, dass sie hinunter kommen.

Ich denke mir, dass ich nicht heraufgekommen bin, um hier 10 Meter vor dem Gipfel abzubrechen – und fast nichts vom Aufstieg gehabt zu haben, obwohl ich auch den Anstieg richtig genießen konnte – auch wenn er nicht besonders imposant war.

Also steige ich weiter hinauf. Die Leut aus der Alm kommen heraus, schauen mir nach. „Oben“ merke ich, dass es noch eine ganze Strecke sein muß. Ich beeile mich, sehe wie die Wolken sich zuziehen. Endlich ist der Gipfel erreicht auf 1532m. Es ist 12.15 Uhr... das ist ein Panorama! Ich würde sagen, es ist einer der besten Standpunkte, die ich bisher gesehen habe. Man sieht das ganze Tal der Jachenau von Anfang bis hinter zum Walchensee, über die Berge bis zur Zugspitze, und wie am Kamm schon bewundert – die ganzen vorderen schneebedeckten Gebirgsketten, den Sylvensteinspeicher... ich kann mich kaum sattsehen.
Da bemerke ich, dass der ganze Himmel sich verfinstert hat. Vom Sylvenstein her kommt das erste Donnergrollen. Bizarre Wolken stehen wie gefährliche Soldaten in der Ferne am Himmel. Nur direkt über mir ist noch ein Loch freier strahlend blauer Himmel. Ein Satz ins Bergbuch geschrieben – und „jetzt aber nichts wie weg hier“. Es ist 1.05 Uhr
Im Laufschritt brauche ich den ganzen Weg bis hinunter zum Fahrrad 20 Minuten. Es ist jetzt 1.25 Uhr. Ich steige auf`s Rad und fahre hinunter zur Alm. Es geht über ein paar unvorhergesehene ziemlich spitze Steine. Donnergrollen – und die ersten Regentropfen. Da bemerke ich, dass die Luft aus dem Vorderreifen ist – ich lasse mich weiterrollen. Aber so ohne Luft ist das eine ziemlich schmierige und hartkantige Sache. Als ich bei der Hütte ankomme, setzt Platzregen ein. Es hagelt. Ich hab aber auch ein „Schwein“. Liegt vielleicht daran, dass mein chinesisches Zeichen Schwein ist...
Trotzdem wasche ich mich noch mal am Bach und räume dann in aller Seelenruhe meinen Rucksack wieder ein. So – und was mache ich jetzt? Ich rechne mir aus, wie lange ich wohl mit dem Rad in die Jachenau brauche und wie weit es noch bis Lenggries ist. Wenn das Wetter stabil geblieben wäre, hätte ich es versucht. Aber unter diesen Umständen werde ich es wohl bei einem Bauern abgeben. Und ob ich hier überhaupt wegkomme ist auch noch nicht gewiss. Ich hab keine Verpflegung mehr – oh, doch: die Wiesen – und noch eine Nacht hier bei Gewitter und ungewisser Wetterprognose für die kommenden Tage auch keine zufriedenstimmende Lösung. Abwarten – und Quellwasser trinken.

Nach einer Stunde hellt der Himmel wieder auf. Es ist ungeheuer schwül. Ich packe den Rucksack aufs Fahrrad und „eiere“ nach unten. Dort darf ich das Fahrrad bei einem Bauern unterstellen. Der Bauer erkennt mich wieder. Er war heute morgen mit dem Auto schon oben, um sich im Wald was anzuschauen. Er ist sehr lustig. Als ich sage: „die kleinen Sünden werden eben sofort bestraft“, weil ich ans Werkzeug gedacht, es aber nicht mitgenommen hatte – antwortet er mit einem Schelm in den Augen: „und die großn, die woas koana!“

Ich trampe nach Hause – und das funktioniert ziemlich schnell in drei Etappen. Bis Lenggries, dann bis Tölz und bis Geretsried. Und am Abend erklärt mir meine Freundin, dass sie nach erledigter Arbeit wobei ich ihr helfen könnte – gerne mit mir mein Fahrrad abholen würde...

Auf jeden Fall hab ich jetzt Appetit auf mehr... und: das nächste Mal ist das Werkzeug dabei!

Liebe Grüße und viel Freude bei euren Outdoor-Aktivitäten in der Natur

Eure Regina

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