Über
die Berge auf dem Weg zu mir selbst
Dirk
Riske
In
den letzten Jahren habe ich viele meiner traumatischen
Ängste bearbeiten können. Es sind immer
wieder kleine Herausforderungen, die für den
Außenstehenden lächerlich wirken können,
aber für mich als Betroffenen große Hürden
bedeuten.
Scheinbar
aufgelöste Ängste kommen immer wieder,
wenn man neu in eine traumatische Situation gerät.
Ich kann es nur so beschreiben, dass diese dann
wie eine große Welle über mich kommen
und ich wie erschlagen bin. Traumatisch, bewegungslos,
den Blick starr auf die inneren oder äußeren
Katastrophen gerichtet.
Im Bett kauernd, schluchzend, weinend, zu nichts
mehr fähig. Von Außen nichts zu erkennen
was dies jetzt auslöste. Nun - in einer solchen
Situation war ich in den letzten Tagen: ausgelöst
durch etwas Traumatisches, das alles in mir zusammenbrechen
ließ und ich bewegungslos wurde - bewegungslos
im Geiste, manifestiert im Außen.
Die
Höhenangst ist eine dieser Ängste, die
immer stärker wurden, je unsicherer ich in
mir selbst wurde. Früher konnte ich noch nicht
einmal über hohe Brücken gehen.
In
dieser Zeit bekam ich eine Mail von meiner lieben
Freundin Regina, wir waren einmal ein Paar.
Wir
verabredeten uns zum Bergwandern, Regina schlug
mir einige Touren vor und ich hatte mir dann zwei
Touren ausgesucht.
Eine Möglichkeit, die zur Auswahl stand, war
der Wank - ein sehr schöner Berg bei Garmisch.
Aussicht und Panorama rundherum, dass das Herz hüpft.
Schöne romantische Wege.
Die andere Möglichkeit war die beeindruckende
Benediktenwand.
Ich
entschied mich für den Wank, da ich hoffte
das diese Wanderung nicht zu gefährlich sei,
denn ich habe ja eine unbeschreibliche Höhenangst.
So trafen wir uns schon 7:00 Uhr Morgens, wir nahmen
unsere Rucksäcke und die Wanderstöcke
und los ging es zum Trampen - Richtung Garmisch.
Lange
haben wir am Straßenrand gestanden, bis ein
Wagen hielt, der uns mit nach Wolfratshausen nahm.
Das war nicht all zu weit.
Auch
dort standen wir dann wieder eine ganze Weile, aber
wir kamen nicht weg nach Garmisch. Da wir wussten,
dass gegen Abend eine Schlechtwetterfront über
Garmisch rein kommen sollte, haben wir uns überlegt,
nun doch zur Benediktenwand zu trampen.
Oh, innerlich passte mir das gar nicht, weil ich
aus dem Internet wusste, dass der Weg dorthin auch
ausgesetzt sein kann und für mich - als nicht
Schwindelfreiem - eine große Herausforderung
ist.
Dann dachte ich mir: "lass los Dirk, leg dich
in Gottes Hände."
Gut
- wir trampten dann in Richtung Bad Tölz. Wir
kamen dann erst einmal nach Königsdorf. Und
von da nahm uns dann jemand mit nach Tölz.
In
Tölz standen wir dann wieder eine ganze Weile
- keiner hielt an. Auf einmal sprach uns eine junge
Frau von hinten an, ob sie uns mitnehmen kann nach
Lenggries. Sie käme gleich mit dem Auto vorbei.
Ja wir freuten uns, stimmten natürlich zu.
Ja so kamen wir dann doch noch weg. Eigentlich ist
das Trampen im Süden Bayerns nicht so ein Problem,
wenn die Leute sehen, dass man Wanderer ist (Stöcke,
Rucksack). Die Menschen sind sehr kontaktfreudig
und man fühlt sich meistens recht wohl dabei.
Wir
wurden vor einem Edeka-Markt abgesetzt, der unterhalb
vom Brauneck - auf dem Weg nach Wegscheid an der
Abzweigung der Straße hinauf zur Brauneckbahn
liegt. Regina kaufte sich noch was ein, wir machten
noch ein paar Fotos von blühenden Artischocken.
Dann überlegten wir, ob es besser sei mit der
Gondel hoch zufahren, weil die Wanderung auf diesen
Berg schon zwei Stunden gehen kann - und dann kommen
ja noch vier Stunden über die drei Achselköpfe
oben dazu. Zuvor musste Regina jedoch noch zur Sparkasse
in Lenggries joggen, um sich Geld für die Fahrt
nach oben zu holen. Nun, wir fuhren dann den Berg
hoch.
Ich dachte an die schönen Erlebnisse, die ich
mit meiner Mutter und Elke hier oben hatte. Es rührte
mich doch sehr. In der Fahrt nach oben hatten wir
auch zwei Leute mit drin im Lift, die auch über
ihre Höhenangst mit uns sprachen.
Mir wurde es langsam mulmig, denn ich wusste, dass
es gleich oben über den Grad, über die
Achselköpfe und den Latschenkopf geht. Ich
war sehr nervös, meine Beine zitterten schon,
obwohl ich mich körperlich noch nicht verausgabt
hatte.
Regina nahm mir oft die Angst. Sie sagte, dass nichts
ein muss sei und dass man zu jeder Zeit zurück
gehen kann, wenn nichts mehr geht.
Größere Runden gehen nur wenige, lediglich
eine Handvoll Wanderer wählen die lange Überschreitung
über die Achselköpfe zur Benediktenwand.
Sie
erfordert reichlich Kondition, wegen der Länge
und mehrerer Gegenanstiege. Es ist ein ewiges Auf
und Ab.
Zuverlässig
ist dabei nur eines: der Panoramablick. Der Steig
folgt weitgehend dem Gratkamm und garantiert weite
Ausblicke.
Für
mich waren auch die Menschen, die dort gingen eine
Herausforderung: Es war mir höchst peinlich
mit meiner Höhenangst. Denn man sah sie mir
nicht nur an, sondern man bemerkte sie auch.
Nun,
als wir dann den ersten Achselkopf betraten und
mir bewusst wurde, das es rechts und links steil
runter geht, begann mein Herz einen Zahn zuzulegen.
Dann
kam ich an die erste Stelle wo ich nicht mehr weiter
wollte. Dort standen noch einige andere Leute, die
überlegten. Manche gingen zurück und manche
weiter.
Es kam der erste große Steig, nämlich:
ohne Hilfe, ohne Leiter oder Stahlseil.
Da
ich nicht mehr wollte, ging Regina vor, sie war
eine ganze Weile weg, bis sie wiederkam. Sie meinte,
ich sollte es probieren, sie würde auch meinen
Rucksack tragen, so das ich mich leichter fühlen
würde. Und sie sagte mir immer wieder, dass
ich mich hinsetzen solle, wenn die Panik zu groß
würde - und auch, wenn die Stellen wieder leichter
wurden, um genau hinzusehen, wo ich da hindurchgegangen
war - und wie es in Wirklichkeit dort aussah.
Oh
je, was nun? Eine ganze Weile stand da auch ein
Vater mit zwei Kindern. Eines das schlief, hatte
er auf dem Rücken, in einem Tragesack, und
ein Kind lief.
Die
gingen nun auch weiter. Der kleine Junge hatte Angst,
hielt sich immer an seinen Papa. Das gab mir Kraft!
Ich fühlte mich auch wie ein kleiner Junge,
nur ich hatte keinen Vater der mich liebte. Jetzt
für den Moment hatte ich einen Vater. Er war
ganz lieb, redete den Jungen zu, nahm ihn bei der
Hand.
Ich
entschied mich, meinen Rucksack an zu behalten.
Er gab mir Halt. Ich zog ihn enger an mich ran.
Nun
ging ich eng hinter dem Jungen und dem Vater her.
Es ging jetzt auf einer Stelle steil hinunter. Ich
machte es den Jungen nach, der sich eng an der rechten
Seite der Wand hielt. Manchmal ging ich im Entenschritt
tief in der Hocke, um nahe beim Boden zu sein -
und wenn Panik von meiner Seite kommen sollte, mich
plötzlich hinzulegen. Regina ging dicht hinter
mir und so fühlte ich mich einigermaßen
sicher.
Irgendwann,
als es zwischendrin mal leichter wurde, überholten
wir dann den Vater mit seinen Kindern. Ich verabschiedete
mich innerlich und dankte für diese Energien.
Jetzt fühlte es sich wieder anders an. Ich
bekam mehr Angst aber Regina wirkte immer beruhigend,
ja wie ein Fels in der Brandung, der stets Zuverlässigkeit
und Ruhe ausstrahlte.
Ich
hatte eigentlich auch Angst vor mir selbst. Kurz
kamen immer wieder Gedanken, wie: falle ich nach
unten oder werfe ich mich vor lauter Angst in Panik
nach unten. Es war wie ohne Kontrolle. Wenn es arg
schlimm wurde, hielten wir kurz inne, wenn ich wieder
ruhiger wurde, na dann ging es wieder weiter.
Es
kamen noch einige krasse Stellen, wo ich mich fragte:
"Soll ich doch zurück?" Doch wenn
ich mir dann vorstellte, das alles was ich schon
gegangen bin, wieder zurück zu müssen,
dann bekam ich einen Horror.
Also
ging es weiter voran. Manche Steige waren für
mich schon krass. Da musste man von oben runter,
schaute dabei in die Tiefe. Ein Glück war da
dann ein Drahtseil.
Auf
einmal bemerkte ich, dass mein rechter Unterarm
voller Blut war. In meiner Aufregung hatte ich nicht
bemerkt, wie ich mich verletzte. Ich dachte erst
eine Ader sei verletzt. Aber Regina reichte mir
in aller Ruhe ein Taschentuch, um erst mal das Blut
abzuwischen. Und dann war es doch nur blutiger als
die Verletzung war. Ich wischte das Blut ab und
dann ging es weiter.
Einmal
bemerkten wir Steinböcke, wir blieben stehen
um sie zu suchen. Denn man kann sie schlecht erkennen,
sie sitzen häufig in den Mulden der Felswände.
Dohlen flogen nah an uns ran und wir machten einige
Fotos von ihnen.
Der
Ausblick war immer gigantisch, ein Panoramablick
vom Feinsten. Wäre es nicht leicht diesig gewesen,
so hätte man bis nach München schauen
können.
Ja
was soll ich noch schreiben, hätte ich nicht
so eine Führerin dabei gehabt, so hätte
ich diese Gradwanderung nicht geschafft oder erst
gar nicht angefangen.
Regina
und ich konnten weitere viele Dinge lösen und
in Frieden und in Liebe umwandeln. Alte Geschichten
aus ferner Vergangenheit wurden geheilt. Danke Dir
Regina! (Anmerkung von Regina: Danke dir auch von
ganzem Herzen Dirk! Dein Mut und dein Glaube haben
dir geholfen!)
Diese
Wanderung hat mir sehr geholfen, zu erkennen, dass
die Angst ihr Gesicht verlieren kann, wenn man hinschaut.
Wenn man schaut und sieht, das dies ein Bestandteil
aus einen selbst ist und im Außen übertragen
wird, und dass im Rückblick vieles doch nicht
so schlimm - oder auch überschaubarer war,
als es die Angst in der Situation vorzeigen wollte.
Sicherlich
bin ich jetzt noch nicht frei von Ängsten aber
sicher kann ich jetzt noch besser damit umgehen.
Wir
kamen nun an den Punkt, wo es hinüber gehen
soll zur Benedikten-Wand. Da es arg spät war
und der Himmel sich langsam zuzog, entschieden wir
uns für den Abstieg.
Es ging noch wunderschöne Wege bergab. Es war
wie im Märchenwald, man könnte meinen,
dass gleich irgendwelche Feen, Elfen und Wichtel
hervorspringen.
Wir
trafen auch auf Mahnsteine, wo Bergsteiger abgestürzt
waren...
Es
war voll Frieden, Bäume die große Felsbrocken
umarmten, moosbedeckte Steine, kleine klare Bäche,
schwarze Weberknechte auf weißem Kalkstein.
Überall
wuchsen wunderbare Wildkräuter. Immer wieder
verzehrten wir welche unterwegs und das brauchten
wir auch...
Wir
kamen noch an einen wunderbaren klaren Bach in dem
wir gebadet und uns abgekühlt hatten. Es wurde
dunkler, die Wolken dichter und unsere Schritte
schneller.
Bis wir unten endlich an einer Hütte kamen,
wo Regina sich noch stärkte. Wir fragten die
junge Wirtin, die nun schließen wollte, ob
sie uns mit zur Straße nimmt, denn bis dahin
wären noch zwei Stunden (ca. 11 km) Fußweg
gewesen.
Die
Wirtin meinte, wenn sie jetzt den Wagen voll beladen
würde, dass sie dann wohl keinen Platz mehr
hätte. Nun gut, wir machten uns dann zu Fuß
weiter. Man kann sagen, der Himmel war inzwischen
schwarz bis grün und wirkte sehr bedrohlich.
Wir
stellten uns drauf ein, wieder richtig nass zu werden.
Leichte Erinnerungen an unsere Rad-Wanderung im
April kamen hoch. Dort wurden wir auch immer wieder
nass und vom Fahrtwind trocken.
Wir
fingen leicht an zu joggen und wir kamen an eine
Stelle wo ich mich erinnern konnte, dass ich da
letztes Jahr auch mit Elke war. Gefühle kamen
hoch und ich war tief berührt. Ein Weg wurde
vollendet. Vielleicht kommt was Neues?
Dort
kam nun auch die Wirtin mit ihren Wagen. Wir hielten
sie an, wir wollten sie zunächst nur fragen,
in welche Richtung wir jetzt am schnellsten weiter
kämen. Ich dachte dann nur noch: "letzte
Chance hier vor dem Unwetter zu flüchten!"
Wieder sprach ich die Frau an, ob sie uns nicht
mitnehmen wolle. Sie verzog das Gesicht. Regina
wollte schon aufgeben. Aber dann schlug ich vor,
dass ich doch die Töpfe auf meinen Schoß
nehmen kann und so haben alle Platz. Etwas widerwillig
und mürrisch willigte sie ein. Wir saßen
im Wagen. Auf der Fahrt kam noch ein leichter Widerstand,
wo sie meinte der Wagen könnte jetzt zu schwer
sein und aufsitzen...
Regina
und ich lächelten uns an, wir ahnten, dass
dieser Widerstand von der Wirtin nicht wirklich
mit uns zutun hatte. Regina freute sich auch sichtlich
für mich und war wirklich erstaunt wie ich
heute meine Angst bewältigte - z.B. auch die,
Menschen direkt anzusprechen und/oder meine Wünsche
zu äußern.
Unten
an der Straße angekommen, hielten wir nur
einmal den Daumen raus und schon hielt ein junger
Mann der nach München wollte. Dieser sagte,
dass er uns bei diesem Wetter da nicht stehen lassen
wollte. Auch hier sah es so aus als wenn nur einer
mit fahren konnte, weil hinten ein Fahrrad lag.
Ich meinte aber, dass dies kein Problem sei und
ich mich zum Rad hinten quetschen würde. So
kamen wir alle noch trocken und glücklich Zuhause
an.
Welch
ein Tag für mich. Voller Dramatik, eigene Grenzen
überschreitend. Voller Erkenntnisse, ein Tag
voll Liebe. (Anmerkung von Regina: auch für
mich ein Tag voller Geschenke: mit dir diese Tour
machen zu dürfen, deine Bereitschaft und dein
Mut!
Und auch die Erkenntnis, dass mit der inneren Führung,
mit dem Vertrauen in sich selbst und die göttliche
Kraft in uns allen - auch solche schwierigen Überwindungen
möglich sind, die dauerhafte Befreiung von
manchen Ängsten, oder Teilen dieser Ängste
bewirken können.)
DANKE