Gipfeltour - vom Brauneck über die Achselköpfe (1707m)
Überwindung der Höhenangst

2008 - September 11

© Regina F. Rau



auch in Dirks Blog: "Auf den Wogen der Liebe" zu finden.

Dieses Erlebnis möchte ich nun hier veröffentlichen, weil es mit zu den stärksten Erfahrungen in meinem Leben zählt, in welchen große Ängste auf wundersame Weise bewältigt werden. Es ist eine Erzählung über eine Wanderung, die ich mit Dirk - alias Durian - vor einem Tag in den Bayrischen Bergen machte. Eigentlich eine Tour, die ich normaler Weise gehe, um meine Kondition wieder auf Vordermann zu bringen. Doch dieses Mal war es eine Reise zu mir selbst. Für mich eine Reise zu meinem Selbstvertrauen, was meine Intuition, meine Einfühlung und innere Stimme anbetrifft. Eine Reise durch meine Ängste, Menschen richtig einzuschätzen und ihnen diese Einschätzung für sich selbst näher zu bringen, um sich wieder mehr zuzutrauen und sich selbst anzunehmen.

Für Dirk war es eine Reise durch eine ganze Mauer von Ängsten, die er während dieser Tour mit viel Mut und wachsendem Vertrauen bewältigte.

Ich gebe diese Erzählung hier so wieder, wie Dirk sie aufschrieb. Sie hat mich zutiefst berührt und auch in mir viele schattige Ecken erhellt...

Danke Dirk für dieses große Geschenk!

Über die Berge auf dem Weg zu mir selbst
Dirk Riske

In den letzten Jahren habe ich viele meiner traumatischen Ängste bearbeiten können. Es sind immer wieder kleine Herausforderungen, die für den Außenstehenden lächerlich wirken können, aber für mich als Betroffenen große Hürden bedeuten.

Scheinbar aufgelöste Ängste kommen immer wieder, wenn man neu in eine traumatische Situation gerät. Ich kann es nur so beschreiben, dass diese dann wie eine große Welle über mich kommen und ich wie erschlagen bin. Traumatisch, bewegungslos, den Blick starr auf die inneren oder äußeren Katastrophen gerichtet.

Im Bett kauernd, schluchzend, weinend, zu nichts mehr fähig. Von Außen nichts zu erkennen was dies jetzt auslöste. Nun - in einer solchen Situation war ich in den letzten Tagen: ausgelöst durch etwas Traumatisches, das alles in mir zusammenbrechen ließ und ich bewegungslos wurde - bewegungslos im Geiste, manifestiert im Außen.

Die Höhenangst ist eine dieser Ängste, die immer stärker wurden, je unsicherer ich in mir selbst wurde. Früher konnte ich noch nicht einmal über hohe Brücken gehen.

In dieser Zeit bekam ich eine Mail von meiner lieben Freundin Regina, wir waren einmal ein Paar.

Wir verabredeten uns zum Bergwandern, Regina schlug mir einige Touren vor und ich hatte mir dann zwei Touren ausgesucht.

Eine Möglichkeit, die zur Auswahl stand, war der Wank - ein sehr schöner Berg bei Garmisch. Aussicht und Panorama rundherum, dass das Herz hüpft. Schöne romantische Wege.
Die andere Möglichkeit war die beeindruckende Benediktenwand.

Ich entschied mich für den Wank, da ich hoffte das diese Wanderung nicht zu gefährlich sei, denn ich habe ja eine unbeschreibliche Höhenangst.

So trafen wir uns schon 7:00 Uhr Morgens, wir nahmen unsere Rucksäcke und die Wanderstöcke und los ging es zum Trampen - Richtung Garmisch.

Lange haben wir am Straßenrand gestanden, bis ein Wagen hielt, der uns mit nach Wolfratshausen nahm. Das war nicht all zu weit.

Auch dort standen wir dann wieder eine ganze Weile, aber wir kamen nicht weg nach Garmisch. Da wir wussten, dass gegen Abend eine Schlechtwetterfront über Garmisch rein kommen sollte, haben wir uns überlegt, nun doch zur Benediktenwand zu trampen.

Oh, innerlich passte mir das gar nicht, weil ich aus dem Internet wusste, dass der Weg dorthin auch ausgesetzt sein kann und für mich - als nicht Schwindelfreiem - eine große Herausforderung ist.

Dann dachte ich mir: "lass los Dirk, leg dich in Gottes Hände."

Gut - wir trampten dann in Richtung Bad Tölz. Wir kamen dann erst einmal nach Königsdorf. Und von da nahm uns dann jemand mit nach Tölz.

In Tölz standen wir dann wieder eine ganze Weile - keiner hielt an. Auf einmal sprach uns eine junge Frau von hinten an, ob sie uns mitnehmen kann nach Lenggries. Sie käme gleich mit dem Auto vorbei. Ja wir freuten uns, stimmten natürlich zu. Ja so kamen wir dann doch noch weg. Eigentlich ist das Trampen im Süden Bayerns nicht so ein Problem, wenn die Leute sehen, dass man Wanderer ist (Stöcke, Rucksack). Die Menschen sind sehr kontaktfreudig und man fühlt sich meistens recht wohl dabei.

Wir wurden vor einem Edeka-Markt abgesetzt, der unterhalb vom Brauneck - auf dem Weg nach Wegscheid an der Abzweigung der Straße hinauf zur Brauneckbahn liegt. Regina kaufte sich noch was ein, wir machten noch ein paar Fotos von blühenden Artischocken.
Dann überlegten wir, ob es besser sei mit der Gondel hoch zufahren, weil die Wanderung auf diesen Berg schon zwei Stunden gehen kann - und dann kommen ja noch vier Stunden über die drei Achselköpfe oben dazu. Zuvor musste Regina jedoch noch zur Sparkasse in Lenggries joggen, um sich Geld für die Fahrt nach oben zu holen. Nun, wir fuhren dann den Berg hoch.

Ich dachte an die schönen Erlebnisse, die ich mit meiner Mutter und Elke hier oben hatte. Es rührte mich doch sehr. In der Fahrt nach oben hatten wir auch zwei Leute mit drin im Lift, die auch über ihre Höhenangst mit uns sprachen.
Mir wurde es langsam mulmig, denn ich wusste, dass es gleich oben über den Grad, über die Achselköpfe und den Latschenkopf geht. Ich war sehr nervös, meine Beine zitterten schon, obwohl ich mich körperlich noch nicht verausgabt hatte.

Regina nahm mir oft die Angst. Sie sagte, dass nichts ein muss sei und dass man zu jeder Zeit zurück gehen kann, wenn nichts mehr geht.

Größere Runden gehen nur wenige, lediglich eine Handvoll Wanderer wählen die lange Überschreitung über die Achselköpfe zur Benediktenwand.

Sie erfordert reichlich Kondition, wegen der Länge und mehrerer Gegenanstiege. Es ist ein ewiges Auf und Ab.

Zuverlässig ist dabei nur eines: der Panoramablick. Der Steig folgt weitgehend dem Gratkamm und garantiert weite Ausblicke.

Für mich waren auch die Menschen, die dort gingen eine Herausforderung: Es war mir höchst peinlich mit meiner Höhenangst. Denn man sah sie mir nicht nur an, sondern man bemerkte sie auch.

Nun, als wir dann den ersten Achselkopf betraten und mir bewusst wurde, das es rechts und links steil runter geht, begann mein Herz einen Zahn zuzulegen.

Dann kam ich an die erste Stelle wo ich nicht mehr weiter wollte. Dort standen noch einige andere Leute, die überlegten. Manche gingen zurück und manche weiter.
Es kam der erste große Steig, nämlich: ohne Hilfe, ohne Leiter oder Stahlseil.

Da ich nicht mehr wollte, ging Regina vor, sie war eine ganze Weile weg, bis sie wiederkam. Sie meinte, ich sollte es probieren, sie würde auch meinen Rucksack tragen, so das ich mich leichter fühlen würde. Und sie sagte mir immer wieder, dass ich mich hinsetzen solle, wenn die Panik zu groß würde - und auch, wenn die Stellen wieder leichter wurden, um genau hinzusehen, wo ich da hindurchgegangen war - und wie es in Wirklichkeit dort aussah.

Oh je, was nun? Eine ganze Weile stand da auch ein Vater mit zwei Kindern. Eines das schlief, hatte er auf dem Rücken, in einem Tragesack, und ein Kind lief.

Die gingen nun auch weiter. Der kleine Junge hatte Angst, hielt sich immer an seinen Papa. Das gab mir Kraft! Ich fühlte mich auch wie ein kleiner Junge, nur ich hatte keinen Vater der mich liebte. Jetzt für den Moment hatte ich einen Vater. Er war ganz lieb, redete den Jungen zu, nahm ihn bei der Hand.

Ich entschied mich, meinen Rucksack an zu behalten. Er gab mir Halt. Ich zog ihn enger an mich ran.

Nun ging ich eng hinter dem Jungen und dem Vater her. Es ging jetzt auf einer Stelle steil hinunter. Ich machte es den Jungen nach, der sich eng an der rechten Seite der Wand hielt. Manchmal ging ich im Entenschritt tief in der Hocke, um nahe beim Boden zu sein - und wenn Panik von meiner Seite kommen sollte, mich plötzlich hinzulegen. Regina ging dicht hinter mir und so fühlte ich mich einigermaßen sicher.

Irgendwann, als es zwischendrin mal leichter wurde, überholten wir dann den Vater mit seinen Kindern. Ich verabschiedete mich innerlich und dankte für diese Energien.
Jetzt fühlte es sich wieder anders an. Ich bekam mehr Angst aber Regina wirkte immer beruhigend, ja wie ein Fels in der Brandung, der stets Zuverlässigkeit und Ruhe ausstrahlte.

Ich hatte eigentlich auch Angst vor mir selbst. Kurz kamen immer wieder Gedanken, wie: falle ich nach unten oder werfe ich mich vor lauter Angst in Panik nach unten. Es war wie ohne Kontrolle. Wenn es arg schlimm wurde, hielten wir kurz inne, wenn ich wieder ruhiger wurde, na dann ging es wieder weiter.

Es kamen noch einige krasse Stellen, wo ich mich fragte: "Soll ich doch zurück?" Doch wenn ich mir dann vorstellte, das alles was ich schon gegangen bin, wieder zurück zu müssen, dann bekam ich einen Horror.

Also ging es weiter voran. Manche Steige waren für mich schon krass. Da musste man von oben runter, schaute dabei in die Tiefe. Ein Glück war da dann ein Drahtseil.

Auf einmal bemerkte ich, dass mein rechter Unterarm voller Blut war. In meiner Aufregung hatte ich nicht bemerkt, wie ich mich verletzte. Ich dachte erst eine Ader sei verletzt. Aber Regina reichte mir in aller Ruhe ein Taschentuch, um erst mal das Blut abzuwischen. Und dann war es doch nur blutiger als die Verletzung war. Ich wischte das Blut ab und dann ging es weiter.

Einmal bemerkten wir Steinböcke, wir blieben stehen um sie zu suchen. Denn man kann sie schlecht erkennen, sie sitzen häufig in den Mulden der Felswände.
Dohlen flogen nah an uns ran und wir machten einige Fotos von ihnen.

Der Ausblick war immer gigantisch, ein Panoramablick vom Feinsten. Wäre es nicht leicht diesig gewesen, so hätte man bis nach München schauen können.

Ja was soll ich noch schreiben, hätte ich nicht so eine Führerin dabei gehabt, so hätte ich diese Gradwanderung nicht geschafft oder erst gar nicht angefangen.

Regina und ich konnten weitere viele Dinge lösen und in Frieden und in Liebe umwandeln. Alte Geschichten aus ferner Vergangenheit wurden geheilt. Danke Dir Regina! (Anmerkung von Regina: Danke dir auch von ganzem Herzen Dirk! Dein Mut und dein Glaube haben dir geholfen!)

Diese Wanderung hat mir sehr geholfen, zu erkennen, dass die Angst ihr Gesicht verlieren kann, wenn man hinschaut. Wenn man schaut und sieht, das dies ein Bestandteil aus einen selbst ist und im Außen übertragen wird, und dass im Rückblick vieles doch nicht so schlimm - oder auch überschaubarer war, als es die Angst in der Situation vorzeigen wollte.

Sicherlich bin ich jetzt noch nicht frei von Ängsten aber sicher kann ich jetzt noch besser damit umgehen.

Wir kamen nun an den Punkt, wo es hinüber gehen soll zur Benedikten-Wand. Da es arg spät war und der Himmel sich langsam zuzog, entschieden wir uns für den Abstieg.
Es ging noch wunderschöne Wege bergab. Es war wie im Märchenwald, man könnte meinen, dass gleich irgendwelche Feen, Elfen und Wichtel hervorspringen.

Wir trafen auch auf Mahnsteine, wo Bergsteiger abgestürzt waren...

Es war voll Frieden, Bäume die große Felsbrocken umarmten, moosbedeckte Steine, kleine klare Bäche, schwarze Weberknechte auf weißem Kalkstein.

Überall wuchsen wunderbare Wildkräuter. Immer wieder verzehrten wir welche unterwegs und das brauchten wir auch...

Wir kamen noch an einen wunderbaren klaren Bach in dem wir gebadet und uns abgekühlt hatten. Es wurde dunkler, die Wolken dichter und unsere Schritte schneller.
Bis wir unten endlich an einer Hütte kamen, wo Regina sich noch stärkte. Wir fragten die junge Wirtin, die nun schließen wollte, ob sie uns mit zur Straße nimmt, denn bis dahin wären noch zwei Stunden (ca. 11 km) Fußweg gewesen.

Die Wirtin meinte, wenn sie jetzt den Wagen voll beladen würde, dass sie dann wohl keinen Platz mehr hätte. Nun gut, wir machten uns dann zu Fuß weiter. Man kann sagen, der Himmel war inzwischen schwarz bis grün und wirkte sehr bedrohlich.

Wir stellten uns drauf ein, wieder richtig nass zu werden. Leichte Erinnerungen an unsere Rad-Wanderung im April kamen hoch. Dort wurden wir auch immer wieder nass und vom Fahrtwind trocken.

Wir fingen leicht an zu joggen und wir kamen an eine Stelle wo ich mich erinnern konnte, dass ich da letztes Jahr auch mit Elke war. Gefühle kamen hoch und ich war tief berührt. Ein Weg wurde vollendet. Vielleicht kommt was Neues?

Dort kam nun auch die Wirtin mit ihren Wagen. Wir hielten sie an, wir wollten sie zunächst nur fragen, in welche Richtung wir jetzt am schnellsten weiter kämen. Ich dachte dann nur noch: "letzte Chance hier vor dem Unwetter zu flüchten!" Wieder sprach ich die Frau an, ob sie uns nicht mitnehmen wolle. Sie verzog das Gesicht. Regina wollte schon aufgeben. Aber dann schlug ich vor, dass ich doch die Töpfe auf meinen Schoß nehmen kann und so haben alle Platz. Etwas widerwillig und mürrisch willigte sie ein. Wir saßen im Wagen. Auf der Fahrt kam noch ein leichter Widerstand, wo sie meinte der Wagen könnte jetzt zu schwer sein und aufsitzen...

Regina und ich lächelten uns an, wir ahnten, dass dieser Widerstand von der Wirtin nicht wirklich mit uns zutun hatte. Regina freute sich auch sichtlich für mich und war wirklich erstaunt wie ich heute meine Angst bewältigte - z.B. auch die, Menschen direkt anzusprechen und/oder meine Wünsche zu äußern.

Unten an der Straße angekommen, hielten wir nur einmal den Daumen raus und schon hielt ein junger Mann der nach München wollte. Dieser sagte, dass er uns bei diesem Wetter da nicht stehen lassen wollte. Auch hier sah es so aus als wenn nur einer mit fahren konnte, weil hinten ein Fahrrad lag. Ich meinte aber, dass dies kein Problem sei und ich mich zum Rad hinten quetschen würde. So kamen wir alle noch trocken und glücklich Zuhause an.

Welch ein Tag für mich. Voller Dramatik, eigene Grenzen überschreitend. Voller Erkenntnisse, ein Tag voll Liebe. (Anmerkung von Regina: auch für mich ein Tag voller Geschenke: mit dir diese Tour machen zu dürfen, deine Bereitschaft und dein Mut!
Und auch die Erkenntnis, dass mit der inneren Führung, mit dem Vertrauen in sich selbst und die göttliche Kraft in uns allen - auch solche schwierigen Überwindungen möglich sind, die dauerhafte Befreiung von manchen Ängsten, oder Teilen dieser Ängste bewirken können.)

DANKE


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