Das wundersame Licht

© Regina Franziska Rau
Sommer 1988

Es war Sommer 1988. Ich arbeitete in Herrsching am Ammersee. Während der Mittagspausen ging ich gerne zum See - und genoss das leise Plätschern der sanften Wellen an den Kiesstrand. Oder ich ging in eine nahegelegene Kapelle und ließ die herrlich stille und feierliche Stimmung auf mich wirken, die vom Duft der von den Blumen auf dem Altar herüberströmte, noch verstärkt wurde.

Eines Tages ging ich wieder einmal in die Kapelle. Da fand ich auf dem Pult der Holzbank, auf der ich immer saß ein kleines Heftchen. Ich schlug es auf und sah eine Abbildung eines Mönchs, wie er vor einem großen hölzernen Kreuz mit Jesus kniete... Eine Seite weiter war ein Novize abgebildet, der ebenfalls vor diesem Kreuz kniete und wie um Gnade bittend nach oben sah. Dann las ich, dass das Foto von einem Freund ohne sein Mitwissen gemacht worden war. Ich wunderte mich über diese Bemerkung, da ich nichts Ungewöhnliches auf dem Foto gesehen hatte - und ich sah es mir noch einmal genauer an. Ich las, dass sich der Novize auf seine Einweihung hatte vorbereiten wollen.
Als ich das Bild noch einmal betrachtete, fiel mir auf, das derselbe Jesus am Kreuz von einer Seite vorher - auf dem Foto mit dem Novizen wie vom Kreuz enthoben davor schwebte und dem Novizen seine Hände entgegenstreckte. Sein unendlich liebevoller Blick war auf den jungen Mann gerichtet - als wollte er sagen: "Siehe, ich bin frei! So bist es auch Du! Siehe, ich lebe, da ich mich über das Kreuz erhoben habe! So bist auch du des Kreuzes enthoben!"

Als ich dieses Bild sah, durchströmte mich unsagbarer Frieden. Ich saß eine ganze Weile da in dieser winzigen Kapelle und träumte selig vor mich hin. Dann legte ich das Heftchen wieder hin und ging hinaus.

Dieser Fund ließ mir aber fortan keine Ruhe mehr. Ich wusste, daß jeder ein Zeichen bekommen würde, wenn er nur lange genug und mit offenem Herzen darum bitten würde.

Ich hatte unweit der Kapelle einen Kreuzweg entdeckt, welchen ich ein paar Mal besuchte. Da kam mir plötzlich eines Mittags die merkwürdige Idee, mit einem Fotoapparat wieder hierher zu kommen und von allen Kreuzen je ein Foto zu machen. Die wollte ich dann zur Entwicklung bringen und sehen, was sich tat.

Gedacht - getan. Ich kam eines sonnigen Tages mit einem Fotoapparat zu besagtem Ort. Ich hielt zuvor ein kurzes Gespräch mit meinem inneren Jesus und fragte ihn naiv wie ein Kind, ob er mir denn auch so ein wundersames Zeichen senden könnte, wie diesem Novizen aus dem Heftchen.

Das erste Foto knipste ich von der Treppe, die zum Kreuzweg hinauf führte. Dann ging ich hinauf und fotografierte nacheinander alle Kreuze. Ich kam mir dabei irgendwie albern vor, und gestand meine Zweifel vor einem der Kreuze - wie ein Kind, das sich schämt, weil es bei der Vorbereitung eines Streichs ertappt worden war. Doch was ich angefangen hatte, wollte ich zu Ende bringen.

Als ich die Kreuze hinter mir hatte, machte ich am Ende noch eine Aufnahme von dem schmalen Pfad, der den Kreuzweg zwischen zwei Zäunen entlang wieder verließ.

Mit dieser 'Beute' in der Tasche zog ich zufrieden davon. Ich brachte den Film am nächsten Tag zum Fotografen zum entwickeln. Dann wartete ich eine sich scheinbar endlos hinziehende Woche lang geduldig und ging wieder hin, um die Fotos abzuholen.
Der Fotograf begrüßte mich gleich und sagte, dass ich nicht enttäuscht sein solle, da auf dem gesamten Film nichts zu erkennen gewesen wäre, was sich zu entwickeln gelohnt hätte. ''Wenn ich sie entwickelt hätte'', so teilte er mir mit - ''wären alle Aufnahmen bis auf die ersten beiden und die letzte schwarz gewesen. Diese beiden Fotos habe ich entwickelt!'' Ich bedankte mich, zahlte und gjng hinaus, um mir die Bilder anzusehen..

Treppe zum Kreuzweg Das erste Foto zeigte wie erwartet die Stufen zum Kreuzweg. Die zweite Aufnahme zeigte das erste Kreuz von unten und die Füße des hölzernen Jesus. Und das, obwohl ich meinen Fotoapparat auf das ganze Kreuz gerichtet hatte. Ich war erstaunt. Die letzte Aufnahme des Films zeigte einen Weg zwischen zwei Zäunen verlaufend, so wie ich das Bild aufgenommen hatte.
Doch darauf fand sich ein großer kreisrunder heller Fleck. Die restlichen Negative waren tatsächlich ohne irgendein erkennbares Motiv. Ich betrachtete eingehend das Bild mit dem Fleck. Dann ging ich wieder zum Fotografen und beschwerte mich, dass er eine ätzende Flüssigkeit hatte auf das Foto tropfen lassen. Er erklärte mir, dass dies nicht sein könne und der Fleck nicht seine Schuld sei, da auf dem Negativ das selbe zu sehen sei. Ich fand mich damit aber nicht zufrieden und meinte, dass er dann eben etwas habe auf das Negativ tropfen lassen. Er erwiderte, dass das nicht gut möglich sein könne, denn jede ätzende Flüssigkeit hätte zur Folge gehabt, dass nur noch ein heller Klecks zu sehen gewesen wäre - und nicht - wie offensichtlich durch den Fleck hindurch - die Wiese, die Blumen und den Weg zeigen würde...

Das Licht Da wurde ich stutzig, entschuldigte mich und ging mit den Fotos nach draußen. Ich ging zu meinem speziellen Strand, wo ich mich stets zum träumen hinsetzte und betrachtete lange das Bild. Ganz langsam und leise dämmerte mir, was ich hier erlebte... und während ich es sah, fühlte ich mich unwürdig und schämte mich. Dann war ich erschüttert über die Größe dessen, was ich da gerade erfuhr und weinte. Gleichzeitig durchströmte mich eine ungeahnte Kraft und Freude. Da sprang ich wie ein Kind auf, lachte und grüßte alle Menschen freundlich, so dass sie sich erstaunt umdrehten...

 

Jetzt hatte ich die Botschaft verstanden:

"Suche mich nicht in den toten Dingen dieser Welt,
denn ich bin der Anfang und das Ende -
Ich bin das Licht!"


 
zurück zum Verzeichnis:
Begegnungen, die ich nie vergesse