Nachtwanderung

© Regina Franziska Rau
Februar 2002
Rusel bei Deggendorf, Bayrischer Wald

An einem schönen Winterabend, als es schon lange dunkel geworden war, rief mich meine Freundin Elke an. Sie fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr zur Alpenvereins-Hütte am Rusel bei Deggendorf zu spazieren, da sich dort ein paar nette Leute zusammengefunden hätten. Der Weg geht durch den "finsteren" Wald. Und sie traute sich nicht alleine. Und ob ich dazu Lust hatte! Zu solchen Gelegenheiten auf gemeinsame nächtliche Wanderungen im Wald lasse ich mich nicht zweimal einladen.

Elke und ich fuhren gegen 21.20 Uhr zur Wegmacherkurve am Ruselberg. Von dort aus gingen wir einein halb Stunden durch den tief verschneiten, nebelverhangenen und stockfinsteren Wald. Elke hatte mir vorgeschlagen, mit ihr auf die Alpenvereinshütte zu gehen. Aber so sehr wir uns auch anstrengten, wir fanden sie nicht. Schon an der ersten Waldwegkreuzung verliefen wir uns. Wir gingen zurück und versuchten es noch einmal. Elke hatte eine Taschenlampe mitgebracht. Auch ich hatte eine Funzel dabei. Elkes Taschenlampe ging schon nach wenigen Schritten aus. Meine funktionierte erst gar nicht. Ich war begeistert. Elke schien es weniger gut zu gefallen. Sie drückte sich eng an mich. Diese Wanderung erinnerte mich an meine frühesten Kindheitsträume. Einmal im Dunkeln durch den verschneiten Wald laufen...

Da entdeckte ich im nebligen Dunkel ein leises Leuchten unter dem Schnee. Ich sagte: "Mensch Elke - schau doch mal! Was ist denn das? Ob es wohl im Winter Glühwürmchen gibt? Davon habe ich noch nie gehört!"

Elfe Elke zuckte mit den Achseln. Nach einer Weile glimmte es wieder grünlich unter dem Schnee hervor, diesmal von einem Ast von einem Baum herunter, der leicht abseits des Weges stand. Ich wurde sehr aufgeregt. Ich ging hin und schüttelte daran. Der Schnee fiel plumpsend in den Bach, der am Wegrand entlang floss. Aber das Leuchten blieb. "Du - ich habe in alten Büchern von einem Leuchten im Moor gelesen. Früher sollen Menschen dieses Leuchten öfter gesehen haben! Und dann haben sie daran geglaubt, dass dies die Seelen von Verstorbenen seien, die im Moor versunken waren!" Elke schmiegte sich noch enger an mich - und gab mir zu verstehen, dass ihr meine Geschichten Angst machten. Aber ich meinte es ernst. Ich konnte mir das seltsame Glimmen nicht erklären. Ich sagte: "Aber die Indianer berichten auch davon, dass altes, verwesendes Holz während des Moderns bisweilen glimmt. Wenn das stimmt, dann habe ich so etwas zum ersten Mal in meinem Leben gesehen! Du - ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich mich jetzt hier so ohne Licht im Wald fühle!" Elke zog mich vorwärts und sagte nichts.

Elfe Der Wald stand in sein weißes, undurchdringliches Gewand aus Schweigen gehüllt, der Schnee knirschte unter unseren Füssen. Ich atmete selig die kühle, nach Schnee riechende Luft. Der Nebel lichtete sich langsam und wir entdeckten ein einsames Haus. Ich konnte mich nicht erinnern, hier schon einmal ein Haus gesehen zu haben. Als wir daran vorbeigingen, fühlte ich, dass wir die falsche Richtung wählten. Ich erklärte Elke, dass wir an einer winzig kleinen Gabelung, die ich bereits beim ersten Mal gesehen hatte, abbiegen müssten. Aber sie war sich sicher, dass es der falsche Weg sei.

Wir liefen eine weitere halbe Stunde ohne Erfolg. An einer Weggabelung überredete ich Elke, es ein drittes Mal zu versuchen. Noch einmal trafen wir auf das Glühen im Wald.

So oft wir auch hin und her gingen, wir konnten die Hütte nicht finden. Ich hab mich insgeheim gefreut wie eine Schneekönigin, weil solche Abenteuer mich erst richtig anstacheln. Als wir wieder aus dem Wald herauskamen, hätte ich am liebsten noch eine Runde drangehängt. Aber es war schon 23.00 Uhr und meine Freundin wollte jetzt nur noch nach Hause fahren.
Wir sprachen uns ab, am nächsten Tag noch einmal dort hinauf zu fahren, um vielleicht bei Tageslicht sehen zu können, was uns in der Nacht verborgen geblieben war. Als wir in etwa auf der Höhe waren, wo ich das Glühen vermutete, wischte ich den Schnee beiseite - und musste schallend lachen: man hatte winzige selbstglühende Leuchtstäbchen an der Strecke verteilt, damit wir den Weg im Dunkeln besser finden sollten. Und genau an der Gabelung, die mir so verdächtig vorgekommen war, hing das letzte glühende Stäbchen, das wir in der Nacht gesehen hatten...

 
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