Der verwünschte "Prinz"

© Regina Franziska Rau
November 1986
Türkei - Manyas

Es war einmal in der Türkei... Ich lebte gerade bei meinem türkischen Freund Kemal, dessen Kind ich trug. Die Eltern Kemals hatten ein kleines Häuschen in Manyas - mitten auf dem Lande. Dort gab es viele Elfen und Kobolde, zumindest konnte ich bisweilen ihre 'Schatten' an den Wänden sehen.

Die ganze Umgebung und auch die Ereignisse erinnerten mich an eine wahr gewordene Episode aus Grimms Märchen. Da war noch die schöne, wilde Schäferhündin Susie. Mit ihr verstand ich mich sehr gut. Und da waren 20 Schafe, mit welchen wir uns den Platz auf dem winzigen Anwesen teilten.
Das Häuschen hatte nur 4 Räumchen, jedes so groß, wie bei uns ein größeres Badezimmer. Und da war noch der kleine Hof vor dem Garten. Alles war dürftig aus Ziegelsteinen selbst errichtet, notdürftig verputzt und mit Kalk geweißt. Die Türen hingen schräg in den Angeln...
Es war wirklich abenteuerlich. Oft fühlte ich mich wie aus einer Zeit in diese Märchen hineingefallen. Nur - dass ich nicht wusste, wie ich wieder herauskommen sollte, wenn ich genug gesehen hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Eines Tages saß ich wieder einmal draußen im Hof auf der Bank vor dem Häuschen und nähte mit der Hand ein kleines Mäntelchen für meinen Sohn, auf dessen Geburt wir alle gespannt warteten.
Die Sonne schien und ein laues Lüftlein regte sich. Alles war friedlich und ruhig. Die Schafe schienen ihr Mittagsschläfchen zu machen. Auch im Haus regte sich nichts. Ich nähte und sinnierte so fröhlich vor mich hin, war tief in meinen Gedanken versunken. Da zupfte mich plötzlich etwas von hinten am Kleid. Ich drehte mich erschrocken um. Da stand ein Schafsbock. Er schaute mich keck an und verleibte sich genüsslich mein Kleid ein.

Ich schalt ihn und erklärte ihm, dass ich das Kleid noch benötige und musste es ihm wieder aus dem Maul ziehen. Da kam er von vorne und senkte das Haupt ein wenig. Ich blickte ihm direkt in die Augen und sagte unmissverständlich "NEIN!" Da kam er noch näher und schnupperte an mir. Er sah mich lange und durchdringend an. So lange, dass ich plötzlich seine langen, pechschwarzen Wimpern entdeckte. Und dass sein Gesicht sehr edle Züge trug. Wie die eines edlen Mannes. Da tat sich vor mir eine Welt auf - mit Schlössern und Schalmeien, mit hübschen Frauen und Blumengärten...

"Was denn?", sagte ich, "Du wirst doch kein verwünschter Prinz sein?" Er blickte mich weiter durchdringend an. Er wurde immer schöner vor meinen Augen - und ich mußte verlegen zur Seite blicken. Er wich meinem Blick nicht aus. Da fragte ich ihn, was ich denn für ihn tun könne. Er wandte seinen Blick nicht fort. Ich überlegte kurz und sagte dann: "Sag mal - du hast doch sicherlich ein paar sehr schöne Frauen! Bringe sie mir doch und zeige sie mir!" Er verschwand augenblicklich. Ich nähte ruhig weiter und war erleichtert, wieder meine Ruhe zu haben. Da zupfte es mich erneut am Kleid. Ich schaute nicht auf und drehte mich nur ein wenig zur Seite. Aber aus dem zaghaften Zupfen wurde grobes Rupfen und so drehte ich mich doch um.

Schafmutter mit ihrem Lamm Da stand mein "Prinz" in voller Pracht! Er hatte alle seine Frauen mitgebracht und strahlte über das ganze Gesicht! Ich konnte es kaum glauben. "Du bist aber ein stolzer Prinz!" sagte ich zu ihm. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich wache oder träume. Am Ende bist du wirklich ein Prinz!"

Ich stand auf und ging ins Haus. Immer wieder musste ich an diese ungewöhnliche Begegnung denken.

Einige Zeit später zur Regenzeit, als die Schafe kaum noch nach draussen durften, fragte ich einmal nach, wo denn der Bock seinen Stall hätte. Dann suchte ich ihn auf. Der Stall war sehr dunkel. Da gab es nur eine kleine Luke in der, durch das das Licht in Strahlen einfiel. Der Bock stand gerade zur Wand gedreht, als ich herankam. Er drehte sich um und kam mir entgegen. Ich blieb an der Türe stehen. Und wieder sah ich sein Gesicht so klar wie beim ersten Mal. Wieder wurde ich verlegen. Ich sagte laut: "Und wenn nun alle kindlichen Gedanken näher bei der Wahrheit wären - was dann?!" Da trafen die Sonnenstrahlen, die durch die Luke fielen direkt in die Augen des Schafbocks. Und da leuchteten sie wie das Feuer des Smaragds in seiner prachtvollsten Glut. Dieser Anblick war sehr feierlich.

Ich bedankte mich für diese seltene Begegnung, wünschte ihm ein erfülltes Leben in dieser Erscheinungsform und ging zutiefst berührt wieder fort.

 
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