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Brief
eines Schweins - kurz vor der Hinrichtung
von Wolfgang Edelmayer
In beeindruckend künstlerischer
Form hat der Schauspieler, Komponist und Sänger Wolfgang
Edelmayer das Leben eines Schweins in einem Brief dargestellt.
Die Originalvertonung des Autors kannst du hier
anhören
Ich schreibe diesen Brief ein paar
Stunden vor meiner Hinrichtung. Das mag seltsam klingen, weil
niemand etwas davon gesagt hat, aber mit der Zeit spürt
man das, glaube ich.
Vor fünf Jahren kam ich auf die
Welt, und ich erinnere mich sehr gern an die Zeit. Ich war
eines von fünf Kindern. Wir waren alle gleichzeitig da
und meine Mutter hat sich sehr liebevoll um uns gekümmert.
Es war Sommer und wir spielten unentwegt draussen auf der
Wiese. Obwohl Mutter sehr müde war von den Wehen und
der Geburt, hat sie uns das nicht anmerken lassen und sich
für jeden von uns Zeit genommen. Ich hab sie sehr geliebt
und vermisse sie sehr. An meinen Vater kann ich mich nicht
erinnern, aber ich weiß noch, dass Mutter manchmal am
Abend in den Himmel gesehen hat und sie hat ihm von uns erzählt
und dann ist sie mit einem Lächeln in den Augen schlafen
gegangen.
Es war eine herrliche Zeit voller Abenteuer.
Wir konnten essen, soviel wir wollten, durften den ganzen
Tag spielen, alles war friedlich und mittlerweile weiß
ich, dass wir ein Privileg hatten. Ein Privileg, dass viele
von uns nie erfahren durften.
Und dann, nach drei Jahren, hat sich
von einem Tag zum anderen alles verändert. Wir kamen
alle in einen Zug. Die Älteren von uns wussten wohl,
was auf sie zukommt. Einige haben sich gewehrt und wir Kleinen
standen daneben, als sie einer Kuh alle Beine gebrochen haben.
Sie konnte nicht mehr weitergehen und immer wieder schlugen
sie auf sie ein und es hat lange gedauert, bis sie in ihrem
eigenen Blut erstickt ist. Wir konnten nichts machen
nur stumm zusehen.
Zwei Tage und Nächte kauerten
wir in diesen engen Käfigen auf dem Transport. Es war
so viel Weinen zu hören. Manchmal verstummte es, wenn
jemand aufgegeben hatte. Wohin ging dieser Wahnsinn? Niemand
wusste es, und wenn, hätte es wohl auch niemand gesagt.
Dann kamen wir an. Und so, wie wir
hineingejagt wurden, schlug man uns in eine neue Heimat. Zwei
Brüder von mir hatten es nicht überlebt.
Sie sperrten uns in Ställe, die
so klein waren, dass es immer mühsam war, sich überhaupt
zu drehen und es scherte sich keiner, wer wir waren und zu
wem wir gehörten.
Von diesem Tag an habe ich nie wieder
die Sonne gesehen, nicht den Mond. Ich habe nie wieder den
Duft einer Blume genossen, noch die Stimmen der Vögel
gehört.
Wir bekamen drei mal am Tag zu essen,
den Rest haben wir versucht, zu schlafen, uns Geschichten
erzählt, uns Mut gemacht.
Und jede Woche haben sie einige von
uns mitgenommen. Es kamen meistens drei Männer, haben
wahllos in den Stall gegriffen, die Schweine an den Ohren
gepackt, an den Beinen und sie hinausgetragen. Jedesmal haben
wir alle zugesehen und uns still verabschiedet.
Wenn sich jemand gewehrt hat, haben
sie mit einem großen Hammer auf den Kopf geschlagen,
solange, bis sich nichts mehr bewegt hat.
Komisch, mit der Zeit haben wir uns
daran gewöhnt und waren dankbar für jeden Tag, den
man uns gab. Jeder Tag, der eigentlich nichts zu geben hatte.
Bloss Warten.
Als sie meine Mutter geholt hatten,
war es sehr schlimm. Und trotzdem hatte sie noch die Kraft,
sich mit einem Blick von uns Überlebenden zu verabschieden.
Ich weiß, dass ich meine Mutter
wiedersehen werde. Irgendwann, irgendwo; das fühle ich;
genauso, wie ich weiß, dass ich nicht mehr lange hier
bin.
Na ja, ich glaube, ich sollte jetzt
aufhören.
Die komplette
CD "Briefe" kann auf der Website von Wolfgang Edelmayer
www.edelmayer.com
bestellt werden. Ein weiteres Hörbeispiel finden Sie
im Artikel "Brief eines Hundes" .
Wolfgang Edelmayer liest "Brief
eines Schweins" (2038 Kb) |