Tiergeschichten
Herr der Pferde


Herr der Pferde


Stunde des Abschieds kam, hat uns der Stallbesitzer auf unserem letzten Weg begleitet.”

Foto: Regina Rau - Pferde  in der Schweiz - am  Fuß des Sulzfluh bei St. AntönienEin zierlicher, schwarzer Traberwallach kam jetzt auf das Paradies zu, kaum älter als vier Jahre. Sein Fell glänzte wie Seide, aber seine Augen waren müde und ohne Glanz.

"Warum bist du hier, mein Freund?”, fragte der Herr der Pferde. "Du bist noch zu jung zum Sterben.”

"Ich war keine gute Geldanlage”, antwortete der Traber. "Auf der Trabrennbahn war ich zu langsam. Sosehr ich mich anstrengte, ich konnte nicht schneller laufen. Mein Besitzer sagte, ich sei zu teuer zum Durchfüttern und hat mich zum Schlachter bringen lassen.” Der Herr der Pferde öffnete die Truhe des Trabers und fand sie noch fast gefüllt bis zum Rand. "Das muss ein trauriges Leben gewesen sein”, sagte er, "hast du nicht einmal eine schöne Kindheit gehabt?”

"Kindheit - was für ein wundervolles Wort”, sagte der Traber versonnen. "Was bedeutet es?” "Kindheit”, sagte der Herr der Pferde, "das heißt mit anderen Fohlen über Wiesen galoppieren, im Spiel die Kräfte messen, sich wälzen und in Seen baden, seinen Platz in der Herde suchen und Freunde finden. Man lässt doch die Pferde drei Jahre lang Kind sein, bevor die Arbeit beginnt. Hast du das nicht erlebt?”

Foto: Regina - Pferde  an der Ilkahöhe bei Penzenberg, Bayern"Nein”, sagte der Traber, “für mich fing das Training mit einem Jahr an. Sie haben mir den Kopf mit Lederriemen zurückgezogen und die Zunge festgebunden, damit ich nicht galoppieren konnte. Als ich zu langsam war, haben sie mich mit Peitschen aus Stacheldraht geschlagen.” "Warum tun sie das?”, fragte der Herr der Pferde zornig. "Man kann viel Geld mit Wetten auf der Trabrennbahn verdienen”, sagte der Traber, "mit einem schellen Traber kann man reich werden. Ich war leider ein schlechtes Geschäft.”

Da führte der Herr der Pferde den kleinen Traber auf die große Paradiesweide mit Seen, die gefüllt war mit schimmerndem Himmelstaub, mit Plätzen aus goldenem Sand zum Wälzen und endlosen Wiesen zum Galoppieren. Alle Traber und die anderen Pferde, die von ihren Besitzern als Sportgerät missbraucht worden waren, vergnügten sich darauf. Fasziniert blieb der Traber stehen. "Ist das Kindheit?”, fragte er entzückt. "Lauf los und genieße sie”, sagte der Vater der Pferde.

Er war voller Empörung über die Menschen, aber es kam noch schlimmer. Ein polnisches Schlachtpferd schleppte sich auf das Paradies zu, ein Bild des Jammers. Ein gebrochenes Bein hing schlaff herab, Blut sickerte aus vielen Wunden im Gesicht und an der Schulter. Das Maul war grausam geschwollen, weil das Pferd sich im Pferdetransporter halb wahnsinnig vor Durst die Zunge an den Wänden wund geleckt hatte.
Als der Herr die Truhe des Schlachtpferdes öffnete, fehlte nicht eine einzige Perle. "Wer hat es zugelassen, dass man dich so quält?”, fragte er erzürnt.

"Die Politiker”, antwortete das Schlachtpferd mit matter Stimme. "Sie könnten die Gesetze ändern, aber es interessiert sie nicht. Es geht nur ums Geld. Man verdient viel mehr, wenn man Pferde von Polen zum Schlachten bis nach Südfrankreich oder Italien bringt.” Der Herr der Pferde führte das Schlachtpferd auf seine größte und schönste Weide mit klaren, frischen Wasserquellen und Kräutern, die jede Wunde heilen. "Was ist das für ein prächtiger, goldener Ball über der Weide?”, wollte das Schlachtpferd wissen.

Foto: Regina Rau -  in der Jachenau,  Bayrische Alpen"Das ist die Sonne. Kennst du sie nicht?” "Nein. Aber ich habe die Menschen davon reden hören”, sagte das Schlachtpferd glücklich und ging zu den Quellen, um seinen Durst zu löschen.

Da versammelten sich die Privat- und Schulpferde, die es gut gehabt hatten auf der Erde, und sagten zum Herrn der Pferde: "Es ist gut, dass unsere armen Freunde es hier so paradiesisch haben. Aber kommen ihre Peiniger ungeschoren davon?”

“Sie bekommen ihre gerechte Strafe.” "Welche?”, wollten die Pferde wissen. "Sie müssen als Pferd zurück auf die Erde. Dort haben sie das Gleiche zu erdulden wie die Tiere, die sie gepeinigt haben.”

Der Herr der Pferde winkte ihnen, ihm zu folgen. Sie gingen lange Zeit über einen schmalen Pfad, bis sie an einen großen Platz gelangten, auf dem eine gewaltige Waage aufgebaut war. Jeder Mensch wurde vor diese Waage gerufen, und es wurden zwei Fragen gestellt. Ein Rennstallbesitzer stand gerade vor dem höchsten Gericht.

Foto: Regina Rau - Pferde in der Jachenau,  Bayrische Alpen"Wer hat etwas Gutes über ihn zu berichten?”, hieß die erste Frage. Es fanden sich einige, die auf der Trabrennbahn gewonnen hatten, die mit ihm gemeinsame Sache gemacht hatten, und sein Kampfhund, der von ihm gut behandelt worden war. Dann kam die zweite Frage: "Wer von den Trabern hat etwas gegen ihn vorzubringen?”

Da galoppierten alle seine Traber heran. Die, die hohe Preise gewonnen hatten und die, die er zum Schlachter geschickt hatte.
"Was habt ihr ihm vorzuwerfen?”, fragte der Richter. "Er hat uns die Kindheit gestohlen”, klagten die Traber. Sie stiegen auf die andere Waagschale und drückten sie mit ihrem Gewicht ganz nach unten.

Danach sahen die Pferde einen Politiker vor dem Gericht. Er fand eine ganze Anzahl von Menschen, die für ihn aussagten. "Er wird sich geschickt herausreden - wie auf der Erde”, befürchteten die Pferde, "da sind viele, die er mit Geld bestochen hat und die ihm wichtige Posten zu verdanken haben. Mindestens fünfzig Menschen. Wer wird gegen ihn aussagen?”

"Fünfzigtausend Schlachtpferde”, sagte der Herr der Pferde, "er wird keine Chance haben...”

Autor unbekannt


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