Wenn
man Fleisch isst, muss
man auch sehen,
wie man schlachtet
"An
einem Freitag begab ich mich nach Tula. Ich begegnete einem
guten, vernünftigen Menschen, der mir bekannt war, und
ich bat ihn, mich zu begleiten. `Ja, ich habe gehört,
das sei alles gut eingerichtet, und ich wollte es auch sehen,
aber wenn man heute schlachtet, gehe ich nicht hin.` `Warum
nicht? Das will ich ja eben sehen. Wenn man Fleisch isst,
muss man auch sehen, wie man schlachtet.`
"Nein, nein, ich kann nicht!"
rief er. Und dabei ist dieser Mensch ein Jäger und tötet
selbst.
Wir
kamen ans Schlachthaus. Am Eingang bemerkte man schon einen
unangenehmen, widerlichen, fauligen Geruch, wie nach Tierleichen.
Je weiter wir kamen, desto stärker wurde dieser Geruch.
Das Schlachthaus war ein sehr großes, gewölbtes
Backsteingebäude mit hohen Schornsteinen. Wir traten
durch die große Pforte ein. Rechts war ein großer
Hof, mit einer Hecke umgeben, etwa ¼ Hektar groß.
Das
war der Ort, wo man an zwei Tagen der Woche das verkaufte
Vieh zusammentrieb. Am Ende des Hofes befand sich das Häuschen
des Pförtners. Zur Linken standen zwei Schuppen mit Spitzbogentüren,
der Fußboden war mit Asphalt bedeckt und bildete einen
Eselsrücken. Besondere Anstalten waren getroffen, um
die getöteten Tiere aufzuhängen.
Vor
dem Wächterhaus zur Rechten saßen auf einer Bank
sechs Fleischer mit blutbefleckten Schürzen, die gleichfalls
blutigen Hemdsärmel waren unten umgeschlagen und man
konnte ihre muskulösen Arme sehen. Seit einer halben
Stunde war ihre Arbeit beendet, sodass wir an diesem Tag nur
den leeren Schuppen sehen konnten. Obgleich die Türen
von beiden Seiten offen waren, empfand man doch einen faden
Geruch nach warmen Blut. Der Fußboden war noch ganz
braun glänzend und in den Kanälen des Fußbodens
lag geronnenes Blut.
Einer der Fleischer erklärte uns, wie man schlachtet
und zeigte uns den Ort, wo das geschah. Ich habe ihn nicht
gut begriffen und machte mir eine falsche, aber schreckliche
Vorstellung vom Schlachten. Ich glaubte, wie das oft vorkommt,
dass die Wirklichkeit einen weniger peinlichen Eindruck auf
mich machen werde als meine Fantasie. Aber das war ein Irrtum.
Das nächste Mal kam ich zur rechten Zeit ins Schlachthaus.
Es war an einem Freitag vor Pfingsten, an einem warmen Junitag.
Der Geruch nach Leim und nach Blut war stärker als beim
ersten Besuch. Die Arbeit war in vollem Gange. Der kleine
staubige Hof stand voll von Tieren und auch in dem Schuppen
nahe dem Schlachthaus befanden sich andere Tiere.
Auf
der Straße standen Karren, an welche Ochsen, Kälber
und Kühe angebunden waren. Gut bespannte Wagen, auf denen
lebende Kälber mit hängenden Köpfen lagen,
kamen näher und wurden abgeladen. Andere Wagen mit geschlachteten
Ochsen, deren Beine in die Höhe ragten und den Bewegungen
des Wagens folgten, mit ihren regungslosen Körpern, roter
Lunge und brauner Leber kamen aus dem Schlachthaus heraus.
Bei der Hecke standen die Reitpferde, die den Viehhändlern
gehörten. Diese gingen, in ihren langen Röcken mit
der Peitsche in der Hand, im Hof hin und her und bezeichneten
mit Teer die ihnen gehörenden Tiere. Sie handelten über
die Preise und überwachten den Transport der Tiere vom
Park in den Schuppen und vom Schuppen in das Schlachthaus.
Alle waren sichtlich mit Geldfragen beschäftigt, und
der Gedanke, ob es gut oder böse sei, diese Tiere zu
töten, lag so fern, wie der an die chemische Zusammensetzung
des Blutes, das auf dem Boden umherlief.
Man bemerkte keine Schlächter auf dem Hof. Sie waren
alle bei der Arbeit. An diesem Tag wurden etwa hundert Ochsen
geschlachtet. Ich trat in das Schlachthaus und blieb an der
Tür stehen. Dort blieb ich, weil das Innere sehr beengt
war, wegen der Tiere, die man hereinführte, und auch,
weil das Blut von oben herabtropfte und alle Schlächter
bespritzte. Wenn ich eingetreten wäre, so wäre ich
auch damit bespritzt worden.
Ein
Tier wurde vom Haken herabgenommen, ein anderes wurde auf
den Schienen fortgeschoben, ein drittes, ein geschlachteter
Ochse, lag mit den Beinen in die Höhe auf dem Fußboden,
und der Schlächter zog die Haut ab. Durch die Tür,
gegenüber der, an der ich mich befand, führte man
einen großen, fetten Ochsen.
Zwei Männer zogen ihn herein. Er hatte kaum die Schwelle
überschritten, als einer der Schlächter mit einer
Axt mit einem langen Stiel den Ochsen über dem Hals traf.
Als ob seine vier Füße zur gleichen Zeit abgeschnitten
worden wären, fiel der Ochse schwerfällig auf den
Bauch, dann drehte er sich sogleich auf die Seite und zuckte
krampfhaft mit den Beinen und an den Hüften. Dann stürzte
sich ein Schlächter auf ihn, indem er vorsichtig die
Beine vermied, ergriff ihn an den Hörnern, drückte
gewaltsam seinen Kopf zu Boden, während ein anderer Schlächter
ihm die Kehle abschnitt. Aus der klaffenden Wunde floss das
dunkelrote Blut wie ein Springbrunnen. Dieses wurde in einem
Metallgefäß von einem ganz mit Blut bedeckten Knaben
aufgefangen. Während der ganzen Zeit hatte der Ochse
sich beständig gedreht und den Kopf geschüttelt
und krampfhaft mit den Beinen um sich geschlagen. Indessen
füllte sich das Gefäß rasch mit Blut, aber
der Ochse war noch lebendig und schlug mit den Beinen um sich,
sodass die Schlächter sich vorsichtig beiseite hielten.
Sobald aber das Metallgefäß voll war, stellte es
der kleine Junge auf den Kopf und trug es in die Albuminfabrik,
während ein anderer Knabe ein neues Gefäß
herbeibrachte, dass sich auch sehr rasch füllte.
Aber der Ochse schlug immer verzweifelter um sich. Sobald
das Blut zu fließen aufhörte, hob der Schlächter
den Kopf des Ochsen auf und begann, die Haut abzuziehen. Das
Tier schlug noch immer um sich. Der Kopf war ganz entblößt
und ganz rot mit weißen Adern und nahm die Stellung
an, die ihm die Schlächter gaben. Die Haut hing von beiden
Seiten herab. Der Ochse schlug beständig um sich. Dann
ergriff ein anderer Schlächter den Ochsen am Bein, zerbrach
es und schnitt es ab. Auf dem Bauch liegend dauerten noch
die krampfartigen Zuckungen an. Dann schnitt man ihm die übrigen
Glieder ab und warf sie alle auf einen Haufen, wo die Beine
der anderen Ochsen desselben Besitzers lagen. Darauf zog man
das geschlachtete Tier zur Rolle und zog es in die Höhe.
Dann erst gab das Tier kein Lebenszeichen mehr von sich.
Das
sah ich von der Pforte aus. So sah ich auch, wie ein zweiter,
ein dritter und ein vierter Ochse geschlachtet wurde, und
bei allen verfuhr man auf die gleiche Weise. Immer sah ich
den herabhängenden Kopf mit der Zunge, in die sich die
Zähne einbissen, und das letzte Zucken. Ein Unterschied
trat nur ein, wen der Schlächter nicht auf den ersten
Schlag die richtige Stelle traf, sodass das Tier nicht gleich
niederstürzte.
Es kam vor, dass der Schläger die Stelle verfehlte, und
der Ochse sich aufbäumte, brüllte und sich blutüberströmt
den Händen der Schlächter zu entreißen suchte.
Dann zog man ihn unter den Balken - man schlug ihn nochmals,
und er stürzte.
Ich
ging durch das Schlachthaus und näherte mich der gegenüberliegenden
Tür, durch die die Tiere hereinkamen. Hier sah ich dasselbe
näher und deutlicher. Ich sah, was ich vorher von der
anderen Tür aus nicht sehen konnte, nämlich das
Mittel, womit man die Tiere nötigte, hereinzukommen.
Wenn man einen Ochsen im Schuppen ergriff und ihn mit einem
an die Hörner gebunden Strick hereinzog, so wurde der
Ochse zuweilen, wenn er das Blut roch, störrisch, brüllte
und drängte rückwärts. Zwei Männer hätten
ihn nicht mit Gewalt hereinziehen können. Deshalb trat
einer der Schlächter näher, ergriff den Schwanz
des Ochsen und drehte ihn bis er ihm den Knorpel brach, dann
ging das Tier vorwärts.
Als
das Schlachten des Ochsen eines Besitzers zu Ende war, begann
man mit derselben Arbeit für einen anderen. Das erste
Tier dieser neuen Herde war ein junger starker Stier mit weißen
Flecken und ganz weißen Beinen, ein junges kräftiges
wildes Tier. Man zog den Strick, aber er senkte den Kopf und
blieb hartnäckig stehen. Aber der Schlächter, der
hinter ihm ging, ergriff wie ein Maschinist, der nach dem
Handgriff des Blasebalges greift, den Schwanz, drehte ihn,
der Knorpel krachte, und der Stier stürzte vorwärts.
Dieses Mal befand er sich an der richtigen Stelle. Der Schläger
näherte sich, zielte und schlug. Der Schlag traf schlecht.
Der Stier machte einen Satz, schüttelte heftig den Kopf,
brüllte, riss sich ganz blutend los und stürzte
nach rückwärts. Alle, die sich an der Tür befanden,
liefen rasch zur Seite. Aber die Schlächter waren daran
gewöhnt. Mit der durch die Gefahr erworbenen Bravour
ergriffen sie rasch den Strick, dann wurde der Schwanz wieder
gedreht und von neuem stand der Stier im Schlachthaus. Man
zog den Kopf unter den Querbalken, so dass es ihm nicht möglich
war zu entfliehen. Der Schläger zielte rasch auf die
Stelle, wo die Haare sich strahlenförmig trennten, und
trotz des Blutes traf er sie, und das schöne, lebensvolle
Tier stürzte nieder, schlug mit dem Kopf und den Beinen
um sich, während man das Blut auffing und ihm die Haut
abzog.
`Ach,
zum Teufel, er ist nicht einmal da gefallen, wo er sollte!`
brummte der Fleischer, indem er die Kopfhaut abschnitt.
Fünf Minuten später war der schwarze Kopf rot, ohne
Haut, die Augen verglast; dieselben Augen, die kaum fünf
Minuten in so schöner Farbe glänzten.
Dann
begab ich mich an den Ort, wo man die kleinen Tiere schlachtete.
Das war ein sehr großer Raum, dessen Fußboden
mit Asphalt bedeckt war; darin standen Tische mit Randleisten,
auf welchen man Lämmer und Kälber schlachtete. Die
Arbeit hier in dem langen Raum voll Blutgeruch war beendet,
nur zwei Schlächter befanden sich hier. Der eine blies
das Bein eines geschlachteten Lammes auf und rieb mit der
Hand den aufgetriebenen Bauch des Tieres, der andere, ein
junger Bursche, saß mit blutbefleckter Schürze
und rauchte eine Zigarette.
Ein
Mann trat hinter mir ein, der aussah wie ein verabschiedeter
Soldat, und brachte ein großes eintägiges, schwarzes
Lamm mit einem Zeichen am Hals und zusammengebundenen Beinen
und legte es auf einen Tisch wie auf ein Bett. Der Soldat
war augenscheinlich an diesem Ort bekannt und sagte: 'Guten
Tag!' dann begann er sein Gespräch über einen Urlaub,
den er vom Meister erbitten wollte. Der junge Bursche mit
der Zigarette trat näher, mit dem Messer in der Hand,
wetzte es am Ende der Schlachtbank und bemerkte, man habe
Urlaub an den Ferientagen. Das lebende Lamm blieb ebenso unbeweglich
wie das tote, aufgeblasene, nur mit dem Unterschied, dass
es lebhaft seinen kleinen kurzen Schweif bewegte und die Flanken
sich rascher hoben als gewöhnlich. Der Soldat stützte
ohne Anstrengungen den Kopf des Tieres gegen den Tisch. Der
junge Schlächter ergriff, während er sprach, mit
der linken Hand den Kopf des Lammes und schnitt ihm die Kehle
durch. Das Lamm warf sich hin und her, sein kleiner Schweif
hörte endlich auf sich zu bewegen. Während das Blut
ausfloss, zündete der Schlächter seine Zigarette
wieder an. Das Blut floss, das Lamm warf sich wieder hin und
her. Inzwischen wurde das Gespräch ohne Unterbrechung
fortgesetzt.
"Was
will ich beweisen?" fragte Tolstoi, "vielleicht,
dass die Menschen, um gut zu werden das Fleischessen aufgeben
müssen? Keineswegs. Ich will nur zeigen, dass es notwendig
ist, nach und nach die nötigen Eigenschaften zu erwerben,
wenn man zu einem moralischen Leben gelangen will, und dass
diejenige Tugend, die man vor allen anderen erlangen muss,
die Mäßigkeit ist, und der Wille, seine Leidenschaften
zu beherrschen. Beim Streben nach der Enthaltsamkeit muss
der Mensch notwendigerweise eine gewisse bestimmte Ordnung
befolgen und in dieser Ordnung ist die erste Tugend - Mäßigkeit
in der Nahrung, das heißt ein relatives Fasten. Und
wenn der Mensch ernst und aufrichtig den moralischen Weg sucht,
so ist das erste, was er aufgeben muss, die Fleischnahrung,
denn außer der Anregung der Leidenschaften infolge dieser
Nahrung, ist sie auch ganz einfach unmoralisch, weil sie eine
dem Gefühl der Moralität widersprechende Tat - den
Mord - erfordert, und weil sie nur von der Feinschmeckerei
und der Gefräßigkeit verlangt wird."
Aus:
Franz Susman (Professor für katholische Kirchengeschichte)
"Tolstois Perestroika" - Der erste Schritt zum Frieden
ist nun möglich; Tobias Verlag 1989
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