Vom Geist des Mahatma
-
ein Gandhi-Brevier
Lizenzausgabe für
den Bertelsmann Lesering
Ein Wegweiser zur
Gesundheit - Gesundheit als Lebensaufgabe
Gandhi war nicht so
sehr ein politischer als ein Reformer. Als solcher
hat er zeitlebens dem Problem Gesundheit zentrale
Bedeutung beigemessen und ihm viel Nachdenken und
praktisch-experimentierende Bemühung zugewendet.
Es handelte sich für ihn dabei um weit mehr als
um die Frage der körperlichen Leistungsfähigkeit.
Der Grundsatz "Mens sana in corpore sano",
im Westen allzu oft in Richtung auf die "efficiency"
verengt, besaß für ihn noch den vollen
Sinn einer das Physische und Geistige zugleich umspannenden
Einheit des Menschseins. Und da seine Vorstellung
vom Menschen durch die religiöse Tradition des
Hinduismus unauslöschlich geprägt blieb,
war die Frage der Gesundheit für ihn zuletzt
weniger eine physiologische als eine ethisch-religiöse
Angelegenheit. Man wird den Regeln, die dieser unfanatische
Asket über "self-restraint" aufstellte
und an sich selbst und seinen Folgern ständig
neu erprobte, nicht gerecht, wenn man sie psychologisch
zu deuten und auf "Frustrationen" und seelische
"Traumen" der Jugendzeit zurückzuführen
sucht. Sie sind zuletzt nur aus dem Vollkommenheits-Ideal
des spirituellen Menschen, des "Sannyasi",
zu erklären und unablösbar von ihrem religiösen
Wurzelgrund.
Das heißt nun
freilich keineswegs, dass sich ihr Wert und ihr Interesse
auf ihren hinduistischen Ursprungsbereich beschränkten.
Die Konkretheit von Gandhis sanitärer Theorie
und Praxis, die mit der größten Unbefangenheit
ihn auch die elementarsten Einzelheiten der Gesundheitspflege
gelassener Aufmerksamkeit für wert erachten lässt,
bewahrte ihn vor aller Verstiegenheit bloßer
spiritueller Forderungen. Alles, was er je zu diesem
Thema geäußert hat, bezeugt, dass dieser
(nach Churchills verständnislosem Hohnwort) "halbnackte
Fakir" - kein weltflüchtiger Höhlenbewohner
war, sondern mitten im Leben stand - ein Mann, dem
nichts Menschliches fremd war und der, bei aller Strenge
seiner Ansprüche an Selbstzucht und Disziplin,
doch realistisch die Grenzen seiner Möglichkeiten
erkannte. Dies und die rückhaltlose Ehrlichkeit,
womit er seine Gesundheitslehre nicht nur predigte,
sondern darlebte, gibt dem, was er zu sagen hat ungemeine
Autorität.
Dem "Wegweiser
zur Gesundheit", worin Gandhi 1921 unter
vollpädagogischen Gesichtspunkten seine damaligen
Einsichten zusammenfasste, entstammt ein großer
Teil der Zitate dieses Kapitels. Sie wurden ergänzt
durch Äußerungen aus verschiedenen Lebenszeiten
des Mahatma, die davon zeugen, dass mit den Jahren
der religiöse Aspekt seiner Gesundheitslehre
immer bestimmter die Oberhand gewann gegenüber
dem zeitweilig mit Vorrang betonten rationalistischen.
Sein letztes Wort war auch hier: selbstlose Ergebung
in Gott.
Was ist Gesundheit?
Gewöhnlich wird
ein Mensch für gesund angesehen, wenn er sich
eines guten Appetits erfreut, munter herumgeht und
keinen Arzt braucht. Aber ein bisschen Überlegung
wird uns von der Unhaltbarkeit dieser Auffassung überzeugen.
Es gibt viele Menschen, die einen guten Appetit haben,
munter herumgehen und dennoch krank sind. Sie bilden
sich ein, gesund zu sein, aus dem einfachen Grund,
weil sie zu bequem sind, um über den Gegenstand
nachzudenken.
In Tat und Wahrheit
gibt es auf der ganzen weiten Welt überhaupt
keinen völlig gesunden Menschen.
Man hat sehr richtig
gesagt, dass nur der Mensch als gänzlich gesund
betrachtet werden könne, der einen gesunden Geist
in einem gesunden Körper habe. Die Beziehungen
zwischen dem Geist und dem Körper sind so intim,
dass, wenn ein Teil erkrankt, auch der andere darunter
leidet. Kein Mann, dessen Charakter nicht rein ist,
kann als wirklich gesund angesehen werden. Der Körper,
der einen kranken Geist birgt, muss notwendig auch
krank sein. Daraus folgt, dass ein reiner Charakter
im eigentlichen Sinn des Wortes das Fundament der
Gesundheit ist, und wir können sagen, dass alle
bösen Gedanken und Leidenschaften nur verschiedene
Krankheitsformen sind. So betrachtet, dürfen
wir schließen, dass nur der Mensch völlig
gesund ist, dessen Körper wohlgeformt ist, dessen
Augen und Ohren in gutem Zustande sind, dessen Nase
rein ist von Schmutz, dessen Haut frei ausdünstet,
ohne übel zu riechen, dessen Mund ebenfalls rein
ist von üblen Gerüchen, dessen Arme und
Hände getreu ihren Dienst tun, der weder zu fett
noch zu mager ist, und der seinen Geist und seine
Sinne ständig unter Kontrolle hat.
Ein völlig gesunder
Mensch braucht sich nicht vor dem Tod zu fürchten.
Unsere entsetzliche Angst vor dem Tode zeigt, dass
wir weit entfernt sind, gesund zu sein. Wir alle aber
haben die feste Pflicht, nach einer vollendeten Gesundheit
zu streben. Wir wollen daher auf den folgenden Seiten
untersuchen, wie sich eine solche Gesundheit erzielen
lässt und wie sie, einmal erworben, für
immer bewahrt werden kann.
Luft
Von den drei Dingen,
die für die Existenz eines Menschen unentbehrlich
sind, nämlich Luft, Wasser und Speise, ist die
erste das wichtigste. Damit sie allen Menschen ohne
Entgelt zugänglich sei, hat Gott sie in so großer
Menge erschaffen. Die moderne Zivilisation freilich
hat den Genuss frischer Luft etwas kostspieliger gestaltet,
denn wenn wir heute frische Luft atmen wollen, müssen
wir aus den Städten hinausgehen. Das aber ist
mit Kosten verbunden.
Ob nun die frische
Luft umsonst zu haben ist oder nicht, eines ist sicher,
dass wir ohne frische Luft nicht leben können.
Wir wissen, dass das Blut durch den ganzen Körper
zirkuliert, in die Lunge zurückkehrt und nach
seiner Reinigung den Kreislauf von neuem antritt.
Wir stoßen im Ausatmen die durch die Reinigung
des Blutes verunreinigte Luft aus und nehmen beim
Einatmen wieder Sauerstoff auf, der das Blut reinigt.
Dieser Prozess des Ein- und Ausatmens geht unaufhörlich
vor sich, und von ihm hängt das Leben des Menschen
ab.
Wir sollten vor dem
Einatmen von unreiner Luft ebenso sehr zurückschrecken,
wie vor dem Trinken unreinen Wassers oder vor dem
Essen unreiner Speisen. Im Allgemeinen aber ist die
Luft, die wir einatmen, noch mehr verunreinigt als
das Wasser, das wir trinken, oder die Speise, die
wir essen. Wir sind alle Anbeter des Konkreten. Was
wir sehen oder betasten können, halten wir für
weit wichtiger als die unsichtbaren und nicht betastbaren
Dinge. Da die Luft zu den zweiten gehört, werden
wir uns des Schadens nicht bewusst, den wir uns durch
das Einatmen von unreiner Luft zufügen. Wie wenige
von uns sind sich dessen bewusst, dass die von uns
eingeatmete Luft von anderen ausgeatmet worden und
daher unrein und giftig ist und sicher nicht weniger
ekelhaft als Speise, die erbrochen wurde. Wie seltsam
ist es, dass Menschen in geschlossenen Räumen
während Stunden zusammensitzen und schlafen und
die von ihnen und den Gefährten ausgeatmete tödliche
Luft wieder einatmen. Zum Glück ist die Luft
leicht und diffus und vermag daher durch die kleinsten
Ritzen zu dringen. Auch wo Fenster und Türen
geschlossen sind, ist im allgemeinen zwischen den
Wänden und dem Dach ein kleiner Zwischenraum
vorhanden, durch welchen etwas Luft aus ein dem Freien
eindringen kann, so dass die Bewohner des Raumes nicht
ausschließlich vergiftete Luft einatmen müssen.
Jetzt verstehen wir,
warum so viele Männer und Frauen schwach und
krank sind. Es besteht kein Zweifel, dass unreine
Luft in neunundneunzig von hundert Fällen der
Grund der Erkrankung ist. Es folgt daraus, dass man
Erkrankungen am besten vermeidet, wenn man im Freien
lebt und arbeitet. Kein Arzt kann es mit der frischen
Luft aufnehmen. Auszehrung wird durch den Verfall
der Lunge verursacht, dieser aber durch das Einatmen
unreiner Luft. Daher sagen die Ärzte, die erfolgreichste
Behandlung der Lungenschwindsucht bestehe darin, den
Patienten während sämtlicher vierundzwanzig
Stunden des Tages der freien Luft auszusetzen.
Wir müssen uns
bewusst sein, dass die Luft nicht bloß vermittels
der Lunge in unseren Körper gelangt. Ein Teil
davon dringt durch die winzigen Öffnungen in
der Haut, die wir Poren nennen.
Es ist natürlich
wichtig zu wissen, wie die Luft rein erhalten werden
kann. Eigentlich sollte jedes Kind, sobald es anfängt
zu begreifen, über den Wert der frischen Luft
belehrt werden. Wenn sich meine Leser die Mühe
nehmen wollen, zu beherzigen, was ich da über
die Luft ausführe, das Gelernte dann anzuwenden
und zugleich ihren Kindern beizubringen, wäre
ich ihnen über die Massen dankbar.
Es gibt nur wenige
Leute, die richtig atmen. Viele Leute haben die üble
Gewohnheit, durch den Mund zu atmen. Atmen wir bei
sehr kaltem Wetter durch den Mund, so bekommen wir
den Schnupfen oder ziehen uns eine Halsentzündung
zu. Ferner dringen bei dieser Art des Atmens Staubpartikel
in die Lunge und richten dort großen Schaden
an. Die von uns durch die Nase eingeatmete Luft wird
gesiebt und bei diesem Prozess zugleich erwärmt.
Daher sollte jedermann lernen, durch die Nase zu atmen,
was durchaus nicht schwer ist. Wir brauchen weiter
nichts zu tun, als den Mund geschlossen zu halten,
ausgenommen wenn wir sprechen. Wer gewohnt ist durch
den Mund zu atmen, sollte ihn abends beim Zubettgehen
mit einem Tuch zubinden, wodurch er sich zwingen würde,
durch die Nase zu atmen. Ferner sollte er täglich,
morgens und abends, im Freien je ungefähr zwanzig
tiefe Atemzüge tun. Wer dies befolgt, wird erstaunt
sein über die rasche Weitung und Kräftigung
seiner Brust. Bei diesen Übungen nämlich
muss man rasch und tief atmen, und dies führt
zu einer Ausdehnung des Brustkorbes.
Nachdem wir atmen
gelernt haben, sollten wir uns zur Gewohnheit machen,
tagein, tagaus nur frische Luft einzuatmen. Wir haben
im Allgemeinen die höchst verwerfliche Gepflogenheit,
dass wir uns den ganzen Tag über im Hause oder
im Geschäft einschließen und nachts in
engen Räumen bei verschlossenen Türen und
Fenstern schlafen. Wir sollten so weit wie immer nur
möglich im Freien leben. Ist dies unmöglich,
dann sollten wenigstens die Fenster und Türen
offen gehalten werden.
Bemühen wir uns,
die Luft rein zu erhalten und nur frische Luft einzuatmen,
dann bewahren wir uns vor mancher schlimmen Krankheit.
Nicht minder wichtig ist, dass wir mit unbedecktem
Gesichte schlafen. Wer an Erkältungen leidet,
mag den Kopf in ein Tuch einwickeln oder eine Nachtmütze
aufsetzen, die Nase aber sollte unter allen Umständen
frei bleiben.
Luft und Licht sind so eng miteinander verbunden,
dass es sich empfiehlt, ein paar Worte über den
Wert des Lichtes zu sagen. Das Licht ist genau so
lebensnotwendig wie die Luft. Darum wird auch die
Hölle als völlig dunkel dargestellt. Wo
das Licht nicht hinkommt, da kann auch die Luft nicht
rein sein.
Wasser
Es ist bereits bemerkt
worden, dass die Luft das lebensnotwendigste Element
ist, das Wasser aber gleich an zweiter Stelle kommt.
Ohne Luft kann der Mensch nicht länger als ein
paar Minuten leben, während er es ohne Wasser
immerhin einige Tage lang aushalten kann. Mit Wasser
allein aber und ohne alle andere Nahrung kann sein
Leben mehrere Wochen lang fristen. Unsere Nahrungsmittel
enthalten mehr als 70 Prozent Wasser, und dasselbe
gilt vom menschlichen Körper. Obwohl das Wasser
derart unentbehrlich ist, bemühen wir uns nicht
im Geringsten, es rein zu erhalten. Epidemien sind
ebenso sehr das Produkt unserer Gleichgültigkeit
gegenüber der Beschaffenheit des Wassers, das
wir trinken, wie gegenüber der Beschaffenheit
der Luft die wir atmen. Der Genuss von unreinem Wasser
führt sehr oft zu Steinleiden. Wasser ist unrein,
entweder weil wir es an einem schmutzigen Ort geholt
oder weil wir es selber verunreinigt haben. Wasser,
das an einer schmutzigen Stelle entspringt, sollten
wir überhaupt nicht trinken. Die Oberläufe
der Flüsse sollten für Trinkzwecke, die
unteren Teile zum Baden und Waschen bestimmt werden.
Wo eine solche Ordnung nicht vorhanden ist, sollten
wir das Trinkwasser einer in den Sand gegrabenen Grube
entnehmen.
Dieses Wasser ist
sehr rein, da es bei seinem Lauf durch den Sand filtriert
worden ist. Im Allgemeinen ist es gefährlich,
Zisternenwasser zu trinken.
Das Wasser, das in
Behältern aufbewahrt wird, ist ebenfalls sehr
oft unrein. Soll es rein bleiben, dann müssen
wir den Behälter häufig waschen und stets
zugedeckt halten. Wir sollten auch darauf sehen, dass
sich der Behälter oder Brunnen, dem wir das Wasser
entnehmen, in gutem Zustande befindet. Am besten lässt
sich der im Wasser enthaltene Schmutz dadurch beseitigen,
dass man das Wasser siedet und dann, wenn es sich
abgekühlt hat, durch ein dickes sauberes Tuch
hindurch in ein anderes Gefäß umgießt.
Das reinste Wasser ist natürlich das Regenwasser,
aber auch dieses wird im Allgemeinen verunreinigt,
noch bevor es uns erreicht, indem es die in der Atmosphäre
schwebenden Stoffe aufnimmt. Völlig reines Wasser
wirkt sehr günstig auf unsern Organismus ein.
Daher verabreichen die Ärzte den Patienten destilliertes
Wasser. Wer an Verstopfung leidet, wird destilliertes
Wasser mit merklichem Erfolg trinken.
Man soll nur Wasser
trinken, wenn man durstig ist, und auch dann nicht
mehr, als nötig ist, um den Durst zu löschen.
Der Genuss von Wasser während oder unmittelbar
nach den Mahlzeiten ist nicht schädlich. Natürlich
sollen wir die Speisen nie mit Wasser hinunterschwemmen.
Wollen sie nicht von selber hinuntergehen, dann bedeutet
das, dass die Nahrung nicht recht gekaut ist, oder
dass der Magen sie nicht benötigt.
Gewöhnlich haben wir keinen Durst und sollen
auch keinen haben. Die gebräuchlichen Nahrungsmittel
ent-halten einen großen Prozentsatz Wasser,
und weiteres Wasser wird ihnen beim Kochen zugefügt.
Warum sollten wir uns denn durstig fühlen? Wer
nicht Zwiebeln und andere den Durst künstlich
reizende Dinge isst, wird selten Wasser trinken müssen.
Durst der sich nicht erklären lässt, muss
von irgendeinem geheimen Leiden herstammen.
Nahrung
Hier seine Gedanken:
(wirklich einfügen? Und wenn, dann mit dem Namen
des Denkers) Um Nahrung zu kommen, nehmen wir viel
Mühsal und Entbehrungen auf uns. 99,9 Prozent
aller Männer und Frauen der Erde essen lediglich,
um die Gelüste des Gaumens zu befriedigen. Sie
denken beim Essen nicht an die üblen Folgen dieser
verwerflichen Gewohnheit. Viele Leute verschlucken
abführende und die Verdauung befördernde
Pillen und Pulver, um so ganz nach Herzenslust essen
zu können.
Wenn ich an meine
früheren Jahre denke, reizt mich wohl manches
zum Lachen, über vieles muss ich mich schämen.
Damals pflegte ich am Morgen zunächst Tee zu
trinken, zwei Stunden später folgte das Frühstück,
um ein Uhr das Mittagessen, um drei Uhr wiederum Tee,
und zwischen sechs und sieben das Nachtessen. Mein
Zustand' war dabei kläglich. Mein Körper
war mit überflüssigem Fett beladen, und
immer hatte ich Arzneiflaschen zur Hand. Um möglichst
viel essen zu können, griff ich zu abführenden
und stimulierenden Mitteln. Obwohl ich damals in der
Blüte meiner Jugend stand, besaß ich nicht
ein Drittel meiner heutigen Arbeitskraft. Eine solche
Existenz muss als erbärmlich, ja als gemein,
sündhaft und verachtungswürdig bezeichnet
werden.
Der Mensch ist nicht
geboren, um zu essen. Seine wahre Bestimmung ist,
den Herrn zu erkennen und ihm zu dienen. Auch ein
Materialist wird zugeben müssen, dass wir nur
essen sollten, um gesund zu bleiben, und nicht mehr
als für diesen Zweck nötig ist. Die Tiere,
die ein freies Leben führen, verhungern nie.
Sie scheiden sich nicht in Reiche und Arme - solche,
die mehrmals am Tag essen, und solche, die nicht einmal
eine einzige Mahlzeit erhalten.
Ruhiges Nachdenken
wird zeigen, dass Sünden wie Lügen, Stehlen
und Betrügen ihren Ursprung in unserer Unterwerfung
unter den Gaumen haben. Wer seinen Gaumen beherrscht,
wird seiner übrigen Sinne mit Leichtigkeit Herr
werden. Wer lügt, stiehlt oder einen Ehebruch
begeht, wird von der Gesellschaft verachtet. Merkwürdigerweise
aber haftet dem kein Makel an, der Sklave seines Gaumens
ist. Als ob es sich hier überhaupt nicht um eine
moralische Frage handelte!
Das Schlimmste aber
ist, dass wir auf unsere Laster stolz sind. Bei Festlichkeiten
betrachten wir es als unsere heilige Pflicht, dem
Gaumen zu huldigen. Unterlassen wir es, die Freunde,
die wir einladen, mit üppigen Speisen zu füllen,
so kommen wir in den Ruf der Schäbigkeit. Während
der Festtage müssen wir natürlich ganz besonders
reiches Essen haben. Als Weisheit gilt uns, was in
Wirklichkeit Sünde ist.
Bevor wir die Frage nach der idealen Ernährung
beantworten, haben wir zu erwägen, welche Speisen
gesundheitsschädlich sind und daher gemieden
werden sollten. Unter dem Begriff "Nahrung"
verstehen wir alle die Dinge, die durch den Mund dem
Magen zugeführt werden.
Betrachten wir den
Bau des menschlichen Körpers, dann kommen wir
zum Schluss, dass, die Natur den Menschen bestimmt
hat, vegetarisch zu leben. Die Wissenschaft hat den
Beweis erbracht, dass Früchte alle Elemente enthalten,
die für die Ernährung des Menschen nötig
sind. Früchte sind jene Produkte der Natur, die
Fleisch und Samen enthalten. Fleisch ist Nahrung,
Samen dienen der Fortpflanzung. Wenn man bessere Früchte
isst, streut man bessere Pflanzensorten aus.
Die Banane, die Orange,
die Dattel, die Traube, der Apfel, die Mandel, die
Walnuss, die Erdnuss, die Kokosnuss alle diese Flüchte
enthalten einen großen Prozentsatz von Nährstoffen.
Die Wissenschaftler vertreten dann die Ansicht, der
Mensch brauche seine Nahrung nicht zu kochen. Er kann
genau wie alle Tiere sehr wohl von Nahrung leben,
die von der Sonnenwärme gekocht worden ist. Gerade
beim Kochen werden die nahrhaftesten Stoffe zerstört.
Was nicht roh gegessen werden kann, ist von der Natur
dem Menschen nicht als Nahrung bestimmt.
Die vielen Stunden, die wir heute für das Kochen
verwenden, sind vergeudete Zeit. Lässt sich von
unge-kochter Nahrung allein leben, dann sparen wir
Zeit, Energie und Geld.
Gewisse Leute werden
ohne Zweifel einwenden, es sei ebenso nutzlos wie
töricht, die Möglichkeit ins Auge zu fassen,
dass der Mensch zur ungekochten Nahrung übergehen
werde. Aber wir erwägen hier nicht, was der Mensch
tun oder nicht tun wird, sondern lediglich, was er
tun sollte. Erst wenn wir wissen, was die ideale Nahrung
ist, können wir uns dem Ideal nähern.
Wenn wir sagen, dass
die Fruchtnahrung die beste sei, dann erwarten wir
damit nicht, dass jedermann sofort zu dieser Ernährungsweise
übergehe. Wer es aber tut, wird viel gewinnen.
Es mag nicht unangebracht sein, in diesem Zusammenhang
von meinen eigenen Erfahrungen zu berichten. (Besser:
In diesem Zusammenhang möchte ich hier von meinen
eigenen Erfahrungen berichten)
Während der letzten
Monate habe ich nur von Früchten gelebt, und
auch auf frische und geronnene Milch verzichtet. Meine
Diät besteht gegenwärtig aus Bananen, Erdnüssen,
Datteln, Olivenöl und etwas saurer Frucht (z.
B. Limetten). Ich kann (besser: will) nicht behaupten,
dass mein Experiment ganz erfolgreich war, denn eine
Zeitspanne von sechs Monaten ist zu kurz, um zu bestimmten
Schlüssen kommen zu können. Das aber darf
ich sagen, dass ich selber, während andere Leute
von Krankheiten heimgesucht wurden, gesund blieb,
und meine physischen wie geistigen Kräfte heute
größer sind als zuvor. Ich bin zwar nicht
imstande, schwere Lasten zu heben, aber ich verrichte
nun körperliche Arbeit mit mehr Ausdauer als
früher und ohne Müdigkeitserscheinungen.
Auch geistig arbeite ich mehr und zudem mit größerer
Entschiedenheit und Beharrlichkeit (als früher).
Ich habe die Fruchtnahrung vielen schwächlichen
Leuten empfohlen, und stets mit bestem Erfolg.
Nach der Früchtediät ist die vegetarische
die beste
Ich verstehe darunter
alle Arten von Küchenkräutern und Zerealien
wie auch Milch. Gemüse sind nicht so nahrhaft
wie Früchte, da ein Teil ihrer Kraft beim Kochen
verloren geht. Ungekocht aber sind Gemüse ungenießbar.
(Die Gemüse in Indien schon. Das habe ich selbst
erlebt. Hier aber nicht!) Wir wollen nun im folgenden
untersuchen, welche Gemüse für uns die besten
sind.
Weizen ist die beste
Getreideart. (Anmerkung: Das mag für Indien stimmen.
Aber bei uns ist Weizen inzwischen so stark mutiert,
dass wir ihn nicht mehr gut verwenden können,
ohne Schaden zu nehmen. Besser: Dinkel, Hafer, Amaranth,
Quinoja) Wir können von Weizen allein leben,
denn er enthält sämtliche für die Ernährung
notwendigen Stoffe im richtigen Verhältnis. Aus
Weizen lassen sich ganz verschiedene Nahrungsmittel
herstellen, die alle leicht verdaulich sind.
Das beste Mehl ist
dasjenige, das wir in unseren Handmühlen zu Hause
aus gut gesiebtem Weizen gewin-nen. Dieses Mehl sollte
ohne weitere Siebung verwendet werden. Die daraus
gebackenen Brote sind schmackhaft und bleiben lange
frisch. Mehl dieser Art ist zugleich ökonomischer,
da es viel nahrhafter und somit ausgiebiger ist.
Die andere und leichter herzustellende Weizenspeise
ist die folgende: Weizen wird in grobes Schrot zer-mahlen,
dieses hierauf gut gekocht und mit Milch und Zucker
vermischt. Das gibt ein ebenso schmackhaftes wie gesundes
Gericht.
Reis ist als Nahrungsmittel
völlig wertlos. Es ist fraglich, ob wir unter
Ausschaltung von so nahrhaften Zutaten wie Dhall (eine
Erbsenart), Ghi (Butterschmalz) und Milch von Reis
allein leben könnten. Von Weizen lässt sich
das nicht sagen (besser: von Weizen lässt sich
das schon sagen). Auch wer nur von in Wasser gesottenem
Weizen lebt, kann sich bei Kräften erhalten.
Die Küchenkräuter
werden hauptsächlich ihres Geschmackes wegen
gegessen. Sie wirken abführend und helfen somit
bis zu einem gewissen Grad das Blut zu reinigen. Im
Grunde haben wir in ihnen nur gewisse Spielarten von
Gräsern, die sehr schwer verdaulich sind. Wir
können nicht zuviel davon essen, ohne dass unsere
Eingeweide schlaff werden, unsere Verdauung mangelhaft,
wonach wir zu Pillen und Pulvern greifen müssen.
Wollen wir überhaupt davon essen, so soll es
mit Maß geschehen. Sämtliche Arten von
Hülsenfrüchten sind schwer verdaulich. Sie
haben den Vorzug, auf lange Zeit hinaus zu sättigen,
doch bewirken sie in den meisten Fällen Verdauungsstörungen,
Wer schwere körperliche Arbeit verrichtet, wird
sie verdauen und so einigermaßen ausnutzen.
Wir aber, die wir eine sitzende Lebensweise führen,
sollen Hülsenfrüchte nur selten essen.
In Indien werden Gewürze
so reichlich verwendet wie sonst nirgends in der Welt.
Wie erklärt es sich, dass wir in Indien soviel
Masala (indische Gewürzmischung) essen? Um die
Verdauung zu befördern und uns dadurch zu ermöglichen,
recht viel zu essen. Pfeffer, gewöhnlicher und
roter, Kümmel, Koriander und andere Gewürze
fördern den Verdauungsprozess und schaffen künstlichen
Hunger. Aber es wäre unrichtig, wenn man daraus
schließen wollte, dass sämtliche Nahrung
völlig verdaut und ins Blut übergegangen
sei. Wer zuviel Masala isst, läuft Gefahr, blutarm
zu werden und an Diarrhöe zu erkranken. Ich kenne
einen Mann, der im schönsten Alter starb, weil
er zuviel Pfeffer genossen hatte. Es ist also notwendig,
alle Gewürze zu vermeiden.
Was von Masala gesagt worden ist, gilt auch für
das Salz. Da unsere Gemüse bereits Salz genug
enthalten, ist es unnötig, ihm noch besonders
Salz beizufügen. Die Natur liefert soviel Salz,
wie für die Erhaltung der Gesundheit notwendig
ist. Das Salz, das wir den Speisen zufügen, ist
völlig überflüssig.
Ich weiß aus
Erfahrung, dass bei verschiedenen Erkrankungen, wie
zum Beispiel Hämorrhoiden und Asthma, der Verzicht
auf Salz dem Patienten sofort große Erleichterung
bringt. Anderseits ist mir kein einziger Fall bekannt,
dass jemandem der Verzicht auf das Salz übel
bekommen wäre. Ich selber habe seit zwei Jahren
auf den Salzgenuss verzichtet, und nicht nur habe
ich darunter nicht gelitten, sondern es hat mir in
mehr als einer Beziehung gut getan. Ich brauche nun
nicht mehr soviel Wasser zu trinken und fühle
mich frischer und energetischer. Wer das Salz völlig
aufgibt, befindet sich selbstverständlich während
einiger Tage unpässlich, bleibt er dabei aber
guten Mutes und unverzagt, so wird er auf die Dauer
von dem neuen Regime ganz gewaltig profitieren.
Die allgemeine Wertschätzung
der Milch als eines wichtigen Nahrungsmittels beruht
auf einem Aber-glauben. Die in der Luft lebenden Krankheitsträger
dringen im Augenblick, (wo sie das Euter verlässt,
und Kontakt mit der Luft hat,) in die Milch ein und
vergiften sie, so dass es sehr schwer fällt,
Milch völlig rein zu erhalten. In Südafrika
zum Beispiel sind für die Molkereien sehr weitläufige
Vorschriften ausgearbeitet worden, die sagen, wie
die Milch gekocht und kondensiert werden soll, wie
die Gefäße zu reinigen sind usw. Dann ist
nicht zu übersehen, dass die Reinheit der Milch
von dem Gesundheitszustand der Kuh abhängt und
dem Futter, das sie frisst. Wäre es also, da
der Genuss von Milch mit soviel Gefahren verbunden
ist, nicht klüger, überhaupt auf die Milch
zu verzichten, besonders wenn uns ganz ausgezeichnete
Ersatzmittel zur Verfügung stehen?
Milch lässt sich
bis zu einem gewissen Grad durch Olivenöl ersetzen.
Ein ganz vorzüglicher Ersatz aber ist die süße
Mandel. Die Mandeln werden eingeweicht, dann von den
Schalen befreit, gut zerquetscht und mit Wasser vermengt.
Das gibt ein Getränk, das die Vorzüge der
Milch hat, ohne mit ihren üblen Eigenschaften
behaftet zu sein. Sobald wir Zähne haben, sollten
wir lernen, von Früchten, z.B. Äpfeln und
Mandeln und von geröstetem (viel besser: eingeweichtem
oder gekeimten) Weizen zu leben. Obgleich hir nicht
der Ort ist, zu erwägen, wieweit sich durch den
Verzicht auf Milch Ersparnisse erzielen lassen, darf
doch auf diesen Punkt hingewiesen werden. Auch die
aus Milch hergestellten Produkte benötigen wir
dann nicht länger. Der saure Saft der Limette
ist ein hinreichender Ersatz für Buttermilch,
und statt Ghi begnügen sich auch heute schon
Tausende mit Öl.
Eine genaue Prüfung
des Baues des menschlichen Körpers zeigt, dass
Fleisch nicht die natürliche Nahrung des Menschen
ist. Fleisch bewirkt den Zerfall der Zähne, führt
zu Rheumatismen und erzeugt böse Leidenschaften
- Zorn zum Beispiel - die, (wie wir bereits gesehen
haben), nur eine Art von Krankheit sind. Es ist sehr
bezeichnend, dass einige der besonnensten und kultiviertesten
Menschen unter den Fleischessenden Völkern für
eine rein pflanzliche Diät eintreten.
Zusammenfassend können
wir sagen, dass nur wenige Menschen von Früchten
allein leben, dass sich aber sehr gut leben lässt
bei einer Ernährungsweise, die Früchte,
Weizen und Olivenöl enthält, und dass dadurch
die Gesundheit ganz außerordentlich gefördert
wird. Die Banane nimmt unter den Früchten entschieden
den ersten Rang ein. Aber auch Datteln, Trauben. Pflaumen
und Orangen, um nur einige Namen zu nennen, sind sehr
nahrhaft und können mit dem gerösteten (eingeweichten
oder gekeimten) Weizen kombiniert werden.
Die Verwendung von
Olivenöl tut der Schmackhaftigkeit des gerösteten
Weizens (eingeweichten oder gekeimten) keinen Abbruch.
Diese Diät schaltet Salz, Pfeffer, Milch und
Zucker aus und ist ebenso einfach wie billig. Zucker
um seiner selbst willen zu essen, ist töricht.
Wer zuviel Zuckerzeug isst, verdirbt sich die Zähne
und schadet seiner Gesundheit. Aus Weizen und Früchten
lassen sich ganz ausgezeichnete Gerichte herstellen,
die nicht bloss der Gesundheit zuträglich, sondern
auch sehr schmackhaft sind.
Wie viel und wie oft sollen wir essen?
Die meisten Ärzte
geben zu, dass neunundneunzig Prozent der Menschen
mehr essen als nötig ist. Man braucht keine Angst
zu haben, dass die Menschen ihre Gesundheit schädigen,
weil sie zu wenig essen. Und nur das eine tut Not,
die Menge unserer Nahrung zu verringern.
Wie ich bereits erklärt
habe, ist es von großer Wichtigkeit, unsere
Speisen gut zu kauen. Nur auf diese Weise sind wir
imstande, einem Minimum von Nahrung ein Maximum von
Nährstoffen zu entziehen. Erfahrene Leute weisen
darauf hin, dass die Fäkalien eines Menschen,
der nur bekömmliche Speise in geringer Menge
isst, fest, glatt und dunkel sind und ohne allen üblen
Geruch. Wessen Fäkalien nicht so beschaffen sind,
der hat zuviel gegessen und nicht richtig gekaut.
Wer an Schlaflosigkeit leidet, wessen Schlaf durch
Träume gestört wird (Anmerkung Regina: Vorsicht:
als ich monatelang am reinsten aß, hatte ich
die klarsten Träume - Wahrträume - und fast
jede Nacht, oft visionär
Die Erfahrung sagt,
dass Menschen, die gar nicht träumen - die sich
also gar nicht erinnern können, schlechte Nahrung
zu sich nehmen oder sonstige "Ungewohnheiten"
haben wie z.B. Drogen, zu viel Kaffee, Rauchen
,
also besser: wirre Träume) , und wessen Zunge
am Morgen beim Aufwachen belegt ist, sollte daraus
schließen, dass er zuviel gegessen hat. Muss
er in der Nacht wiederholt aufstehen und das Wasser
abschlagen (besser: Wasser lassen
), so ist das
ein Beweis dafür, dass er zuviel Flüssigkeit
zu sich genommen hat. Wer solche und andere Tatsachen
beachtet, kann dahin gelangen, die für ihn nötige
Nahrungsmenge genau festzustellen. Viele Leute leiden
an übelriechendem Atem, was beweist, dass sie
nicht richtig verdauen. Überernährung führt
sehr oft zu Ausschlägen im Gesicht und zu Blähungen.
Die Ursache aller dieser Übel ist darin zu suchen,
dass wir, um das Kind beim Namen zu nennen, unseren
Magen in eine Latrine verwandelt haben und diese ständig
mit uns herumtragen. Wenn wir die Sache ganz nüchtern
prüfen, dann können wir nicht anders, als
uns selber verachten.
Wer sich das Laster
der Völlerei abgewöhnen will, der sollte
sich geloben, mit Festen aller Art ein für allemal
nichts mehr zu tun haben zu wollen. Natürlich
sollen wir unsere Gäste bewirten, aber ohne dabei
die Gesetze der Gesundheit zu verletzen.
Fasten
Da auch die besten
unter im sich zu überessen pflegen, haben unsere
weisen Vorfahren häufiges Fasten als eine religiöse
Pflicht vorgeschrieben. Vom gesundheitlichen Standpunkt
aus betrachtet ist es äußerst empfehlenswert,
alle zwei Wochen mindestens einmal zu fasten. Viele
unter den frommen Hindus essen während der Regenperiode
nur einmal täglich. Diese Gewohnheit beruht auf
wichtigen Einsichten. Wenn die Luft feucht und der
Himmel verhängt ist, sind unsere Verdauungsorgane
nicht so leistungsfähig wie sonst, daher sollten
wir auch weniger Nahrung zu uns nehmen.
Wir wollen nun die Frage prüfen, wie oft wir
während des Tages essen sollen.
Ungezählte Tausende
von Menschen sind in Indien mit zwei Mahlzeiten zufrieden.
Wer körperlich schwer arbeitet, isst dreimal
des Tages, aber seitdem die englischen Arzneien eingeführt
worden sind, hat man sich vielfach auch an vier Mahlzeiten
gewöhnt. Es sind in jüngster Zeit in England
wie in Amerika verschiedene Vereinigungen gegründet
worden, die für zwei Mahlzeiten im Tag eintreten.
Diese Leute verfechten den Standpunkt, dass der Mensch
morgens überhaupt nichts essen sollte, da ja
der Schlaf den Zweck des Frühstücks erfülle.
Statt sich an den Tisch zu setzen, sollte er sich
vielmehr an die Arbeit machen und erst frühstücken,
nachdem er drei Stunden gearbeitet hat. Ich kann aus
eigener Erfahrung sagen, dass wer das Jünglingsalter
hinter Sich hat und ausgewachsen ist, täglich
nicht mehr als zweimal zu essen braucht.
Bewegung
Bewegung, genau wie
die Nahrung, ist nicht bloß für den Körper,
sondern auch für den Geist wesentlich. Üben
wir den Geist nicht, dann erschlafft er. Geistesschwäche
ist tatsächlich auch eine Art von Krankheit.
Die Natur hat es so eingerichtet, dass wir uns gleichzeitig
physisch und geistig betätigen können.
Die überwiegende
Mehrzahl der Menschen lebt von der Feldarbeit. Der
Bauer muss acht bis zehn Stunden strenge körperliche
Arbeit verrichten, ja manchmal noch mehr, wenn er
essen und sich kleiden will. Er wird aber nur dann
erfolgreich arbeiten, wenn sich auch sein Geist in
gutem Zustand befindet. Er hat alle die ungezählten
Einzelheiten des Feldbaues zu überwachen, er
muss die Eigenschaften seines Bodens wie der verschiedenen
Jahreszeiten, vielleicht sogar die Bewegungen der
Sonne, des Mondes und der Sterne kennen. In diesen
Dingen dürfte auch der erfahrenste Mann vom Bauern
übertroffen werden. Der Bauer kennt seine unmittelbare
Umgebung bis in alle Winkel hinein, er versteht, sich
nachts nach den Sternen zu orientieren, und er weiß
manches zu erzählen von den Wegen der Vögel
und der Tiere. Er weiß zum Beispiel, dass es
bald regnen wird, wenn eine gewisse Art von Vögeln
sich zusammenschart und lärmt. Er versteht vom
Himmel und der Erde genau so viel wie ihm bei seiner
Arbeit förderlich ist. Da er Kinder aufzuziehen
hat, so muss er auch etwas von Dharma Shastra (dem
göttlichen und menschlichen Recht) wissen. Und
da er unter dem weiten offenen Himmel lebt, so erwacht
in ihm ein Gefühl für die Größe
Gottes.
Wir haben hier das
Leben des Bauern beschrieben aus der Überzeugung,
dass sein Leben das natürliche Leben für
den Menschen ist. In dem Masse, wie wir von den natürlichen
Lebensumständen abweichen, muß auch unsere
Gesundheit leiden. Das Leben des Bauern lehrt uns,
dass wir mindestens acht Stunden täglich arbeiten
und uns körperlich wie geistig betätigen
sollten
Aber was sollen wir,
die wir keine Bauern sind, tun? Die Betätigung,
die mit Kricket und anderen Spielen verbunden ist,
genügt nicht. Es muss sich dabei etwas anderes
finden lassen. Die gewöhnlichen Leute tun am
besten, wenn sie sich in der Nähe des Hauses
einen kleinen Garten halten und darin jeden Tag während
ein paar Stunden arbeiten. Wer für diese Art
der körperlichen Betätigung keine Zeit findet
oder keine Lust dazu hat, dem empfehle ich zu wandern.
Mit Recht ist das
Wandern als die Königin aller Leibesübungen
bezeichnet worden. Der Hauptgrund, weswegen unsere
Sadhus und Fakire so kräftig sind, liegt darin,
dass sie das Land von einem Ende zum anderen durchziehen,
und immer zu Fuß.
Bewegung sollte uns so zum Bedürfnis werden,
dass wir schließlich ohne sie nicht mehr auskommen
können.
Wir werden uns nur
selten bewusst, wie schwach und wertlos unsere geistige
Arbeit ist, wenn sie nicht von begleitet wird. Marschieren
setzt jeden Teil unseres Körpers in Bewegung
und bewirkt eine kräftige Zirkulation des Blutes,
denn wenn wir schnell gehen, atmen wir viel frische
Luft in die Lunge ein. Zudem erwacht in uns jene Freude
an den Schönheiten der Natur, die wir nicht hoch
genug einschätzen können. Wer nur eine oder
zwei Meilen geht, geht überhaupt nicht. Mindestens
zehn oder zwölf Meilen sind nötig. Wer nicht
jeden Tag so weit gehen kann, sollte dies wenigstens
am Sonntag für tun.
Wer an einem verdorbenen Magen oder einer ähnlichen
Krankheit leidet, mache sich auf die Beine. Die heilsame
Wirkung wird nicht lange ausbleiben.
Kleidung
Der primitive Mensch
hatte keine Kleider. Er ging nackt herum. Seine Haut
war abgehärtet und wider-standsfähig, er
vermochte die Sonnenhitze wie die Regenschauer zu
ertragen und litt nie an Erkältungen und ähnlichen
Übeln. Als dann die Menschen der kälteren
Zonen immer träger wurden, fingen sie an, ein
Bedürfnis nach Kleidung zu spüren. Sie vermochten
die Kälte nicht länger auszuhalten, und
die Kleidung kam in Gebrauch, bis diese schließlich
nicht mehr als Notwendigkeit, sondern als Schmuck
und als Kennzeichen der Rasse und des Berufes aufgefasst
wurde.
Die Natur hat uns
in der Haut eine ganz ausgezeichnete Kleidung gegeben.
Die Idee, dass der unbekleidete Körper unanständig
sei, ist absurd, denn die allerschönsten Gemälde
sind diejenigen, die den nackten Körper darstellen.
Wir bedecken unsere Gliedmassen, als ob wir uns ihres
natürlichen Zustandes schämten und die weise
Anordnung der Natur missbilligten. Je reicher wir
werden, um so mehr trachten wir danach, den Staat
und den Putz, in dem wir einher ziehen, zu vermehren.
Wir schmücken
den Körper auf die allerhässlichste Art
und sind dabei stolz auf unsere Schönheit. Wären
unsere Augen nicht mit Blindheit geschlagen, dann
würden wir einsehen, dass der Körper am
schönsten ist in seiner Nacktheit und sich auch
nur in diesem Zustand völlig gesund fühlt.
Die Kleider beeinträchtigen die natürliche
Schönheit des Körpers. Aber die Kleidung
allein genügt dem Menschen noch nicht: er muss
auch noch Schmuck tragen. Törichter Wahn! Wer
möchte behaupten, dass Schmuck die natürliche
Schönheit des Körpers auch nur im geringsten
zu erhöhen vermöchte? Aber die Frauen setzen
sich in diesen Dingen über alle Bedenken der
Vernunft wie der Scham hinweg.
Eine durchgehende
Kleiderreform fällt keinesfalls leicht, aber
wir alle könnten auf den Schmuck und über-flüssige
Bekleidung verzichten. Vielleicht werden wir ein paar
Dinge, der Konvention zuliebe, behalten. Den Rest
aber wegwerfen. Wer von dem Aberglauben frei ist,
dass Kleider schmücken, der kann in seiner Kleidung
manche Änderung anbringen und damit seine Gesundheit
fördern.
Die europäische
Kleidung mag zwar ein Schutz sein in den kalten Ländern
Europas, ist aber in Indien ganz untauglich. Der Inder,
sei er Hindu oder Mohammedaner, kann nur indische
Kleider tragen. Unsere Kleidung ist los und offen
und hält daher die Luft nicht ab. Und da sie
zumeist weiß ist, absorbiert sie die Hitze nicht.
In schwarzen Kleidern wird einem heiß, da diese
die Sonnenstrahlen aufsaugen.
Es ist in Indien ganz
allgemein zur Sitte geworden, den Kopf mit einem Turban
zu bedecken. Nichtsdesto-weniger sollten wir soweit
wie immer möglich barhäuptig einhergehen.
Wir nennen die Schuhe "Beschützer der Füße"
und "Feinde der Dornen", womit gesagt wird,
dass wir nur Schuhe tragen sollten, wenn wir auf einem
dornigen Pfad oder auf sehr heißem oder sehr
kaltem Boden zu gehen haben, und dass nur die Fußsohle,
nicht aber der ganze Fuß bedeckt sein sollte.
Dieser Zweck wird ganz ausgezeichnet erfüllt
von der Sandale.
Geschlechtsleben
Frische Luft, reines
Wasser und gute Nahrung tragen natürlich viel
zu unserer Gesundheit bei. Aber wir können ebenso
wenig gesund bleiben, wenn wir unsere Gesundheit immer
wieder verausgaben, wie reich, wenn wir unsere Ersparnisse
verschleudern. Es ist eine unbestreitbare Tatsache,
dass Mann wie Frau nur stark und kräftig sein
können, wenn sie Brahmacharya üben.
Was bedeutet Brahmacharya?
Wir verstehen darunter, dass Mann und Frau enthaltsam
sein sollen, mit anderen Worten, sich nicht in Fleischeslust
umarmen und ihre Blicke und ihre Träume von allem
sinnlichen Begehren freihalten. Die geheime Kraft,
die uns Gott verliehen, muss in strenger Zucht gehalten
und nicht bloß in körperliche, sondern
auch in geistige und seelische Werte verwandelt werden.
Was aber sehen wir?
Männer und Frauen, alt und jung d in den Netzen
der Sinnenlust verstrickt. Blind vor Begier, wissen
sie nicht zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
Ich habe Knaben und Mädchen gesehen, die sich
unter dem Einfluss der Sinnlichkeit wie Wahnsinnige
gebärdeten. Auch ich bin ihr unter ähnlichen
Verhältnissen unterlegen, und wie hätte
es anders sein können? Um einer schnell vergänglichen
Lust willen opfern wir in einem Augenblick, was wir
an Lebenskraft aufgespeichert haben. Ist unsere Lust
einmal befriedigt, dann befinden wir uns in der allererbärmlichsten
Verfassung.
Der Körper schwach
und müde und der Geist arbeitsunfähig. Um
den Schaden wieder gut zu machen, greifen wir zu den
verschiedensten "nervenstärkenden Mitteln"
und liefern uns bedingungslos dem Arzte aus, damit
er uns die verlorene Kraft wiedergebe und wir wie
früher den Lügen huldigen können. So
gehen die Tage und Jahre vorbei, bis das Alter anklopft
und uns körperlich und geistig entkräftet
findet.
Das aber ist nicht
der Sinn des Naturgesetzes. Mit den wachsenden Jahren
sollte unser Verstand nicht ab-, sondern zunehmen.
Je länger wir leben, um so besser sollten wir
imstande sein, die Früchte unserer ge-sammelten
Erfahrung den Mitmenschen zu vermitteln. Das ist bei
jenen der Fall, die wahres Brahmacharya geübt
haben. Sie haben keine Furcht vor dem Tode und vergessen
Gott auch in der Stunde des Sterbens nicht, noch ergehen
sie sich in eitlem Gejammer. Sie scheiden aus dem
Leben mit einem Lächeln auf den Lippen und gehen
mutig dem Tage des Gerichtes entgegen. Wer so lebt
und stirbt, ist ein wahrer Mensch, und von ihm allein
darf gesagt werden, dass er seine Gesundheit nicht
vergeudet habe.
Wir sind uns kaum
der Tatsache bewusst, dass Eitelkeit, Zorn, Furcht
und Eifersucht ihre Wurzeln in der Unenthaltsamkeit
haben
Wenn wir unseren Geist nicht zügeln und uns täglich
einmal oder sogar öfters unbeherrschter als die
kleinen Kinder aufführen, so sind wir bewusst
oder unbewusst jeder Sünde fähig. Es ist
unsere Pflicht, immerfort die Folgen unserer Handlungen
zu überdenken, wie gemein und sündig sie
auch sein mögen.
Aber der Leser wird
vielleicht fragen. "Wer hat je einen Menschen
gesehen, der in diesem Sinne ein wahrer Brahmachari
gewesen wäre? Würden wir alle Bramacharis,
stürbe dann nicht die Menschheit aus und ginge
nicht die Welt zugrunde?" Wir wollen hier die
religiöse Seite des Problems unberücksichtigt
lassen und die Frage allein vom weltlichen Gesichtspunkt
aus betrachten. Nach meinem Dafürhalten zeugen
die beiden Fragen lediglich von unserer Schwäche
und unserer Feigheit. Wir haben nicht Willenskraft
genug, um Brahmacharya zu üben, und daher suchen
wir unsere Pflicht unter Ausreden zu umgehen. Warum
wollten wir, wenn die Befolgung von Brahmacharya den
Untergang der Menschheit bedeutete, diesen Untergang
beklagen? Sind wir Gott, dass wir uns so sehr um ihre
Erhaltung ängstigen? Er, der sie geschaffen hat,
wird sie gewiss erhalten.
Wir sollten Brahmacharya
ununterbrochen als ein Ideal vor unseren Augen behalten
und ihm mit allen unseren Kräften entgegenstreben.
Aber was, wenn wir bereits verheiratet sind? Das Naturgesetz
erlaubt einen Bruch des Brahrnacharya nur, wenn Mann
wie Frau ein starkes Sehnen nach einem Kinde empfinden.
Wer, den Willen der Natur befolgend, Brahmacharya
während vier oder fünf Jahren nur einmal
verletzt, kann nicht ein Sklave der Lust gescholten
werden, noch wird seine Lebenskraft deswegen eine
starke Verminderung erfahren.
Aber leider sind die
Männer und Frauen selten, die ihren fleischlichen
Gelüsten nur dann nachgeben, wenn sie ein Kind
haben wollen. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen
ergibt sich dem Geschlechtsgenuss einzig und allein,
um der Lust zu frönen, mit dem Ergebnis, dass
die Kinder gegen den Willen der Erzeuger auf die Welt
kommen. Im Taumel der Brunst denken wir nicht an die
Folgen unserer Handlung. Die Männer sind in dieser
Beziehung noch mehr zu tadeln als die Frauen. Der
Mann in seinem blinden Drange vergisst zu bedenken,
dass seine Frau schwach ist und kein Kind gebären
kann. Sollten wir in unseren schwachen, lüsternen,
verkrüppelten und unvermögenden Kindern
nicht eher den Beweis erblicken, dass uns Gott zürnt?
Was gibt es da zu
jubeln, wenn ein Elternpaar, das noch im Kindesalter
steht, einen Sprössling bekommt? Ist dies nicht
eher ein Fluch Gottes? Der Mann und die Frau müssen
es sich zur heiligen Pflicht machen, sich von dem
Augenblicke der Empfängnis bis zur Entwöhnung
des Kindes zu meiden. Wir aber vergessen diese heilige
Pflicht und lassen nicht ab, in unserer sorglosen
Art den Sinnen zu dienen. Dieses heillose Laster schwächt
unseren Geist und bewirkt, dass wir, nachdem wir uns
eine kurze Weile elendiglich dahingeschleppt haben,
ein frühzeitiges Ende fin-den. Verheiratete Leute
sollten sich der wahren Bestimmung der Ehe bewusst
sein und das Gesetz des Brahmacharya nur verletzen,
wenn sie ein Kind haben wollen für die Fortpflanzung
der Menschheit.
Dem aber stehen unter
unseren heutigen Verhältnissen große Schwierigkeiten
entgegen. Unsere Nahrung, unsere Lebensweise, unsere
Art der Unterhaltung wie das Milieu, in dem wir uns
bewegen, alles das ist gleich geeignet, unsere Begierde
zu erwecken und ständig zu unterhalten. Die Begierde
aber ist gleich einem Gift, das sich in unsere Eingeweide
einfrisst. Es mag Leute geben, die bezweifeln, dass
wir je dieser Sklaverei entrinnen werden. Dieses Buch
aber wurde nicht für die geschrieben, die mit
dem Zweifel im Herzen herumgehen, sondern nur für
diejenigen, denen es ernst ist und die den Mut haben,
an ihrer Rettung zu arbeiten.
Aus allem, was ich
gesagt habe, geht hervor, dass die, welche noch nicht
verheiratet sind, auch weiterhin unverheiratet bleiben
sollten. Können sie davon nicht lassen, so soll
es so spät wie möglich geschehen. Die jungen
Männer zum Beispiel sollten ein Gelübde
ablegen, dass sie nicht vor dem fünfundzwanzigsten
oder dreißigsten Altersjahr heiraten werden.
Die Eltern sollten nicht bloß ihre eigenen Interessen,
sondern auch die Wohlfahrt des Sohnes ins Auge fassen.
Sie sollten ihre Kastenvorurteile und ihre Auffassung
von "Schicklichkeit" über Bord werfen
und diese herzlose Unsitte ein für allemal verabschieden.
Liegt ihnen das Wohl ihrer Kinder wirklich am Herzen,
so sollten sie vielmehr darauf ausgeben, diese physisch,
geistig und moralisch zu fördern. Wie könnten
wir unseren Söhnen einen schlechteren Dienst
erweisen, als wenn wir sie zur Verheiratung zwingen
und sie, obwohl sie noch im Knabenalter stehen, mit
all den Verantwortlichkeiten und Sorgen der Ehe belasten.
Weiter verlangt das
Gesetz der Gesundheit dass der Mann, der seine Frau,
oder die Frau, die ihren Mann verliert, bis zum Tode
ledig bleiben. über die Frage, ob die jungen
Männer und Frauen überhaupt ihren Lebenssaft
entweichen lassen sollten, sind sich die Ärzte
nicht einig. Das berechtigt uns aber noch nicht zum
Sexualgenuss. Ich kann, ohne auch nur einen Augenblick
zu zögern, auf Grund meiner eigenen Erfahrung
wie derjenigen anderer Leute versichern, dass der
Geschlechtsverkehr für die Erhaltung der Gesundheit
nicht nur nicht förderlich, sondern geradezu
schädlich. Eine einzige Ejakulation ist gleichbedeutend
mit dem völligen Verlust der von uns langsam
angesammelten körperlichen und geistigen Energie,
wobei es lange dauert, bis die Verausgabung wieder
gutgemacht ist, wenn sie sich überhaupt je wieder
gutmachen lässt. Wie ich bereits ausgeführt
habe, lässt sich unsere Lebenskraft nur aufrechterhalten,
wenn Luft, Wasser, Nahrung und Gedanken rein sind.
So innig sind die
Beziehungen zwischen unserem Gesundheitszustand und
dem Leben, das wir führen, dass wir nie und nimmer
ganz gesund sein können, wenn nicht auch unser
Lebenswandel rein ist. Der kluge Mann, der von den
Irrtümern seiner Vergangenheit gelernt hat und
sich hinfort eines reinen Lebenswandels befleißigt,
wird bald die schönsten Früchte einheimsen.
Wer auch nur während dieser Zeit wahres Brahmacharya
übt, wird erfahren, dass sein Körper und
sein Geist sichtlich erstarken, und um keinen Preis
wird er sich von dem einmal erworbenen Schatz wieder
trennen.
Ich habe mir wiederholt
Fehltritte zuschulden kommen lassen, auch nachdem
ich den Wert des Brahma-charva erkannt hatte, und
schwer dafür büßen müssen. Scham
und Reue erfüllen mich, wenn ich bedenke, wie
schrecklich jedes Mal der Gegensatz war zwischen meinem
Zustand vor und nach dem Fehltritte. Aber meine früheren
Verfehlungen haben mich gelehrt, diesen Schatz unversehrt
zu erhalten, und mit Gottes Gnade werde ich ihn auch
fürderhin hüten, denn ich habe am eigenen
Leibe erlebt, wie ganz unschätzbar die Wohltaten
des Brahmacharya sind. Ich wurde in sehr frühen
Jahren verheiratet und war als Jüngling schon
Vater mehrerer Kinder. Als mir dann schließlich
die Augen aufgingen, fand ich mich in den tiefsten
Tiefen der Verworfenheit versunken. ich betrachte
mich für die Mühen, die mich dieses Buch
kostet, hinreichend belohnt wenn auch nur ein Leser,
durch meine eigenen Erfahrurigen und Verfehlungen
gewarnt, auf den rechten Weg gewiesen wird. Viele
Leute haben mir gesagt (und auch ich glaube es), dass
ich voller Energie und Enthusiasmus sei und mein 'Geist
durchaus nicht der Frische ermangele, ja ich bin sogar
der Heftigkeit bezichtigt worden. Weder mein Körper
noch mein Geist sind von Krankheit frei. Aber wenn
ich mich mit meinen Freunden vergleiche, darf ich
mich als völlig gesund und kräftig betrachten,
und dies, obwohl ich zwanzig Jahre lang den Sinnen
gefrönt habe. Um wie viel gesünder müsste
ich sein, wenn ich mich auch während jener zwanzig
Jahre eines reinen Lebens befleißigt hätte?
Ich bin völlig überzeugt, dass, wenn ich
Zeit meines Lebens als ein wahrer Brahmachari gelebt
hätte, meine Energie und mein Enthusiasmus heute
tausendmal größer wären, zu meinem
eigenen Nutzen wie zu dem meines Landes.
Wenn das Gesetz des Brahmacharya so streng ist, was
müssen wir dann von jenen halten, die geschlechtliche
Befriedigung in illegitimen Verhältnissen suchen?
Das Unheil, das aus
dem Ehebruch und der Prostitution erwächst, ist
eines der wichtigsten Probleme der Religion und der
Moral und kann in einer Abhandlung über die menschliche
Gesundheit nicht hinreichend behandelt werden. Ich
will hier lediglich darauf hinweisen, dass Tausende,
die diese Sünden begehen, mit Syphilis und anderen
unnennbaren Krankheiten behaftet sind. Der unbeugsame
Beschluss der Vorsehung verdammt glücklicherweise
diese Elenden zu einem Leben des qualvollsten Leidens.
Zum Schlusse möchte ich ganz kurz ausführen,
wie die verheirateten Leute ihr Brahmacharya bewahren
können.
Es genügt nicht,
die Gesetze der Gesundheit bezüglich Luft, Wasser
und Nahrung zu beobachten. Der Mann sollte nicht mit
seiner Frau in ein und demselben Zimmer schlafen.
Ein bisschen Nachdenken führt zur Einsicht, dass
die Ehepaare lediglich um des Sinnengenusses willen
zusammen schlafen. Sie sollten nachts getrennt voneinander
schlafen und den Tag in fördernder Arbeit verbringen.
Sie sollten Bücher lesen, die sie mit erhebenden
Gedanken erfüllen, über das Leben bedeutender
Menschen nachsinnen und sich ständig der Tatsache
bewusst sein, dass der Geschlechtsgenuss die Wurzel
alles Bösen ist. Fühlen sie sich zum Geschlechtsgenuss
gereizt, so mögen sie ein kaltes Bad nehmen,
damit die Hitze der Leidenschaft sich abkühle
und sich in nützliche Betätigung umsetze.
Das mag sehr schwer sein, aber wir sind in diese Welt
hineingeboren worden, damit wir mit den Schwierigkeiten
und Versuchungen ringen und sie schließlich
überwinden. Wer nicht willensstark genug ist,
wird nie und nimmer des Segens wahrer Gesundheit teilhaftig
werden.
Meine sündhaften
Gedanken sind verwundet, aber nicht getötet.
Hätte ich völlige Herrschaft über meine
Gedanken erlangt, so hätte ich nicht an Rippenfellentzündung,
Ruhr und Blinddarmentzündung leiden müssen,
wie es im Laufe der letzten zehn Jahre geschehen ist.
Ich glaube, dass, wenn die Seele sündenfrei ist,
auch der Körper, in dem sie wohnt, gesund ist.
Das heißt, in dem die Seele zur Freiheit von
Sünde fortschreitet, strebt auch der Körper
nach Immunität gegen Krankheit. Doch ein gesunder
Körper bedeutet in diesem Falle nicht einen kräftigen
Körper. Eine mächtige Seele lebt nur in
einem zarten Körper. Je mehr die Seele an Stärke
zunimmt, desto mehr welkt der Körper. Ein völlig
gesunder Leib kann dennoch ausgemergelt sein. Ein
kräftiger Körper ist oft krank. Und selbst
wenn er nicht krank ist nimmt solch ein Körper
leicht Infektionen an, während ein völlig
gesunder Leib sich gänzlicher Immunität
dagegen erfreut. Reines Blut hat die Fähigkeit
alle schädlichen Keime auszustoßen ...
Unser mächtigster
Verbündeter bei der Beherrschung der tierischen
Leidenschaften ist Ramanama (Wiederholung des Gottesnamens
"Rama") oder ein ähnliches Mantra ...
Man muss sich völlig in das Mantra verlieren,
das man sich wählt. Man sollte nicht dulden,
dass einen andere Gedanken während der Rezitation
stören ... Das Mantra wird für einen zur
Lebensstütze und hilft einem über jede Prüfung
hinweg.
Die kennzeichnende
Macht dieser Mantras liegt darin, dass sie als Wächter
dienen über jemandes persön-liche Reinheit,
und jeder eifrig Suchende wird dessen sogleich inne
werden. Man muss sich jedoch erinnern, dass das Mantra
nicht papageienhaft wiederholt werden darf. Man soll
in ihm seine Seele reinigen. Der Papagei wiederholt
solche Mantras mechanisch, wir müssen sie mit
Verstand wiederholen in der Hoffnung, dadurch unerwünschte
Gedanken zu vertreiben, und mit dem vollen Vertrauen
in die Kraft der Mantras, dies zu tun. ("Navaiivan",
5.6.24.)
Jede Wiederholung
oder Japa, wie sie heißt, hat einen neuen Sinn;
jede Wiederholung bringt einen näher und näher
zu Gott ... Ich kann Ihnen versichern, dass Sie hier
nicht mit einem Theoretiker reden, sondern mit jemandem,
der, was er sagt, in jeder Minute seines Lebens erfahren
hat - in dem Maße, dass es für das Leben
leichter ist aufzuhören als für diesen unaufhaltsamen
Prozess. Er ist ein bestimmtes Bedürfnis der
Seele... ("Harijan", 25.5.35.)
Ich bin ein Fremdling
in Yoga-Übungen. Die Übung, die ich befolge,
ist eine, die ich in meiner Kindheit von meiner Amme
lernte. Ich hatte Furcht vor Geistern. Sie pflegte
mir zu sagen: "Da sind keine Geister. Wenn du
dich aber fürchtest wiederhole Ramanama!"
Was ich in meiner Kindheit lernte, ist von ungeheurer
Be-deutung für mein geistiges Firmament geworden.
Es ist eine Sonne, die meine dunkelsten Stunden erhellt.
Ein Christ mag den gleichen Trost verspüren bei
der Wiederholung des Namens Jesu und ein Moslem beim
Namen Allah. All diese Dinge meinen im Grunde dasselbe
und erzielen unter gleichen Umständen die gleiche
Wirkung. Nur darf die Wiederholung nicht nur ein Lippendienst
sein, sondern sie muss Teil des echten Wesens sein.
("Harijan", 5.12.36.)
Mein Begriff von Naturheilung
hat, wie alles übrige, eine fortschreitende Entwicklung
durchgemacht; und seit Jahren habe ich geglaubt, wenn
jemand mit Gottes Gegenwart erfüllt ist und so
den Zustand der Leidenschaftslosigkeit erreicht hat,
so könne er die Hindernisse gegen Langlebigkeit
überwinden. Ich bin zu dem Schluss gekommen,
wenn ein Mensch zu vollkommenem, lebendigem Glauben
an die unsichtbare Macht gelangt und frei wird von
Leidenschaft, dann macht sein Körper eine innere
Veränderung durch. Das gelingt freilich nicht
durch bloßes Wünschen. Es erfordert ständige
Wachsamkeit und Übung, und trotz beidem bleibt
das menschliche Bemühen nichtig, wenn Gottes
Gnade sich nicht darauf herab lässt. ("Press
Report", 12.6.45.)
Die Rezitation des
Ramanama als Heilmittel für geistige Leiden ist
so alt wie die Berge. Doch das Größere
schließt das Geringere ein. Und ich behaupte,
dass das Rezitieren des Ramanama auch ein erstklassiges
Heilmittel für unsere körperlichen Leiden
ist. Ein Naturheiler wird seinem Patienten nicht sagen:
"Lass mich kommen, und ich werde dich von deinem
Leiden kurieren." Er wird nur von dem allheilenden
Prinzip sprechen, das in jedem Lebewesen ist, und
davon, wie man sich selbst heilen kann, indem man
es erweckt und zu einer wirkenden Kraft in seinem
Leben macht. Wenn Indien die Kraft dieses Prinzips
begriffe, würden wir nicht nur frei werden, sondern
auch ein Land der Gesundheit - nicht das Land der
Epidemien und Krankheiten, das wir heute sind.
Die Wirkkraft des
Ramanama ist jedoch gewissen Bedingungen und Begrenzungen
unterworfen. Ramanama ist nicht eine Art schwarzer
Magie. Wenn einer sich überessen hat und von
den Nachwirkungen befreit werden möchte, um sich
bei Tisch wieder gehen lassen zu können, ist
Ramanama nichts für ihn. Ramanama darf nur zu
einem guten, nie zu einem üblen Zweck gebraucht
werden ... Das Heilmittel bei Überfüllung
ist Fasten, nicht Gebet. Gebet darf erst kommen, wenn
Fasten sein Werk getan hat. Es kann dazu verhelfen,
Fasten leichter zu ertragen. In ähnlicher Weise
wird die Übung zu einer sinnlosen Farce, wenn
man gleichzeitig seinen Körper mit Medizinen
voll stopft
Ramanama reinigt, während es
heilt, und bewirkt daher eine Erhebung. Darin liegt
sein Nutzen so gut wie seine Beschränkung. ("Harijan",
7.4.46.)
Ramanama hat nichts
mit Aberglauben zu tun. Es ist oberstes Naturgesetz.
Wer es übt, ist frei von Unwohlsein und umgekehrt.
Dasselbe Gesetz, das einen vor übel bewahrt,
lässt sich auch zu seiner Heilung anwenden, Eine
berechtigte Frage ist warum ein Mensch, der Ramanama
regelmäßig rezitiert und ein reines Leben
führt, überhaupt je krank werden kann. Der
Mensch ist von Natur unvollkommen. Der denkende Mensch
strebt nach Vollkommenheit aber erreicht sie nie.
Er strauchelt unterwegs, jedoch unwissentlich. Da
Ganzheit von Gottes Gesetz verkörpert sich in
einem reinen Leben.
Die Hauptsache ist
- seine Grenzen zu begreifen. Es dürfte einleuchten,
dass man in dem Augenblick erkrankt, wenn man diese
Grenzen überschreitet. So sichert etwa eine ausgewogene,
unseren Bedürfnissen angemessene Diät einem
Freiheit von Krankheit. Wie aber kann jemand wissen,
was für ihn die geeignete Diät ist? Man
kann sich mancherlei derartige Rätselfälle
vorstellen. Der Sinn von alledem ist, dass jeder sein
eigener Doktor sein und selbst seine Grenzen herausfinden
solle. Der Mensch, der dies tut, wird sicherlich 125
Jahre alt werden. ("Harijan", 19.5.46.)
Meine Naturheilmethode
ist nur für Dorfbewohner und Dörfer bestimmt.
In ihr ist daher kein Platz für Mikro-skope,
Röntgenstrahlen und ähnliches, ebenso wenig
für Medikamente wie Chinin, Brechmittel und Penicillin.
Persönliche Sauberkeit
und gesunde Lebensweise sind vornehmlich wichtig.
Und sie sollen genügen. Wenn jeder sich darin
völlig ausbildet, kann er nicht krank werden.
Und wenn man alle Naturgesetze befolgt, um Krankheit,
wenn sie auftritt, zu heilen, liegt das Hauptmittel
in Ramanama. Aber diese Heilung durch Ramanama kann
nicht im Handumdrehen allgemeiner Brauch werden. Um.
dem Patienten Vertrauen einzuflößen, muss
der Arzt eine lebende Verkörperung der Kraft
des Ramanama sein. Inzwischen muss all das ergriffen
und benutzt werden, was man möglicherweise aus
den fünf Elementen der Natur schöpfen kann,
Sie sind Erde, Wasser, Äther, Feuer und Luft.
Das ist nach meiner Meinung die Grenze des Natur-heilverfahrens.
("Harijan", 11.8.46.)
Ein vollkommener Geist
kommt aus einem vollkommenen Herzen - nicht jenem
Herzen, das der Doktor mit dem Stethoskop behorcht,
sondern aus dem Herzen, das Gottes Wohnung ist. Es
wird richtig behauptet Gottes Verwirklichung im Herzen
mache es einem unsauberen oder müßigen
Gedanken unmöglich, in den Geist einzudringen.
Krankheit ist unmöglich, wo Reinheit des Denkens
besteht. Solch ein Zustand mag schwer erreichbar sein.
Doch erste Schritt im Aufstieg zur Gesundheit ist
mit seiner Erkenntnis getan. Der nächste wird
getan, wenn der entsprechende praktische Versuch gemacht
wird. Diese radikale Änderung in jemandes Leben
ist natürlich begleitet von der Beobachtung aller
anderen bisher von Menschen entdeckten Naturgesetze.
Man kann sich nicht über sie hinwegsetzen mit
der Behauptung, ein reines Herz zu haben.
Es kann mit Recht gesagt werden, der Besitz eines
reinen Herzens sei genau so heilsam auch ohne Ramanama.
Nur kenne ich keinen anderen Weg, um Reinheit zu erlangen.
Und es ist dies der
Weg, den die alten Weisen in der ganzen Welt gegangen
sind. Sie waren Gottesmänner, nicht Abergläubische
oder Scharlatane.
Wenn das die Christian Science ist, habe ich keinen
Streit mit ihr. Der Weg des Ramanama ist nicht meine
Entdeckung. Er ist vielleicht weit älter als
die christliche Zeit
Chirurgische Operationen
sind oft unnötig. Wo sie erforderlich sind, sollen
sie ausgeführt werden. Doch ein Gottesmann betrübt
sich nicht über den Verlust eines Gliedes. Ramanama
ist weder ein empirisches Verfahren noch ein Notbehelf.
("Harijan", 9.6.46,)
Ein Anhänger
Ramas kann mit dem Standhaften (Sthitapragnya) der
Gita gleichgesetzt werden. Wenn man etwas tiefer eindringt,
zeigt es sich, dass ein wahrhaft Gottgläubiger
gläubig den fünf Elementarkräften der
Natur gehorcht, Wenn er das tut, wird er nicht krank
werden. Wenn er es zufällig wird, so wird er
sich selbst mittels der Elemente heilen. Es ziemt
sich nicht für den Bewohner des Körpers,
den Körper auf jede Weise kuriert zu bekommen.
Wer glaubt, nichts anderes als Körper zu sein,
der wird natürlich bis ans Ende der Erde wandern,
um den Körper von seinen Leiden geheilt zu bekommen.
Wer aber überzeugt ist, dass die Seele etwas
Selbständiges gegenüber dem Körper
ist obwohl sie im Körper steckt, dass sie unvergänglich
ist im Gegensatz zum vergänglichen Körper,
der wird nicht bestürzt sein oder jammern, wenn
die Elemente versagen. Im Gegenteil wird er den Tod
als Freund begrüßen. Er wird sein eigener
Heiler werden, statt nach dem Medizinmann zu suchen.
Er wird im Bewusstsein der inwendigen Seele leben
und zuerst und zuletzt auf das Wohl dieses Einwohners
achten.
Ein solcher Mensch
wird mit jedem Atemzug Gottes Namen trinken. Sein
Rama wird wach bleiben, auch wenn der Körper
schläft. Rama wird immer bei ihm sein, was er
auch tue. Den tatsächlichen Tod wird für
einen so frommen Menschen der Verlust dieser heiligen
Gemeinschaft bedeuten.
Als eine Hilfe, diesen
Rama bei sich zu behalten, wird er annehmen, was ihm
die fünf Elemente zu geben haben. Das heißt,
er wird die einfachste und leichteste Methode wählen,
um allen Nutzen zu haben von Erde, Luft, Wasser, Sonnenschein
und Äther. Diese Hilfe tritt nicht ergänzend
zu Ramanama hinzu. Sie ist nur ein Mittel seiner Verwirklichung.
Aber angeblich an Ramanama glauben und gleichzeitig
zu Ärzten rennen, verträgt sich nicht miteinander
...
Die Bewahrung der
Lebenskraft ist angesammeltem Reichtum vergleichbar,
doch es ist allein die Macht des Ramanama, die ihn
in einen fließenden Strom stets wachsender geistiger
Stärke verwandelt, die schließlich einen
Fall unmöglich macht.
Ebenso wie der Körper
nicht ohne Blut existieren kann, so bedarf die Seele
der unvergleichlichen und reinen Kraft des Glaubens.
Diese Kraft vermag die geschwächten körperlichen
Organe bei jedermann zu erneuern. Daher heißt
es, wenn Ramanama im Schrein des Herzens sei, bedeute
das die Wiedergeburt des Menschen. Dieses Gesetz gilt
gleichermaßen für jung und alt, Mann und
Frau. ("Harijan", 29.6.47)
Die, welche an Selbstzucht
glauben, dürfen keine Hypochonder werden... Wie
alles samt, was gut ist, erheischt auch die Selbstzucht
einen unerschöpflichen Vorrat an Geduld. Es ist
durchaus kein Grund zum Verzagen, und es darf kein
Brüten geben. Es sollte auch keine bewusste Anstrengung
gelebt werden, um üble Gedanken zu verjagen.
Dieses Verfahren ist selber eine Art Nachgeben gegen
sich.
Vielleicht ist die
beste Vorschrift Nicht-Widerstand, nämlich das
Vorkommen übler Gedanken zu ignorieren und sich
ständig mit den Aufgaben zu beschäftigen,
die gerade vor einem liegen. Das setzt das Vorhandensein
irgendwelches einen völlig beanspruchenden Pflichtenkreises
voraus, der die Konzentration von Geist, Seele und
Leib auf sich fordert ...
Üble Gedanken,
geschweige denn Übeltaten, sind unmöglich,
wenn wir solchermaßen völlig beschäftigt
sind. Eifrige Arbeit nach dem Maße unserer körperlichen
Fähigkeit ist daher durchaus nötig für
die, welche das für den Fortschritt des Individuums
wie des Ganzen gleichermaßen unentbehrliche
Gesetz der Selbstzucht befolgen wollen. (Self-restraint
v. self-indulgence, Vorrede zur 3. Auflage, 1928)
Mögen jene, die
nicht aus der Selbstzucht eine Religion gemacht haben,
die aber darum ringen, die ver-lorene Selbstkontrolle
wiederzugewinnen,... in der Durchsicht dieser Seiten
etwas Hilfe finden. Zu ihrer Leitung mögen die
folgenden Weisungen von Nutzen sein:
- Denkt daran, wenn
ihr verheiratet seid, dass eure Frau euer Freund,
Gefährte und Mitarbeiter ist und nicht ein
Werkzeug geschlechtlicher Lust.
- Selbstkontrolle
ist das Gesetz unseres Wesens. Daher darf der Geschlechtsakt
nur vollzogen werden, wenn beide ihn wünschen,
und dies zudem entsprechend den Regeln, über
die sich beide bei klarem Bewusstsein einig geworden
sind.
- Wenn ihr unverheiratet
seid, so schuldet ihr es euch selbst, der Gesellschaft
und eurem zukünftigen Partner, euch rein zu
erhalten. Wenn ihr diesen Sinn für Treue pflegt,
werdet ihr in ihm einen unfehlbaren Schutz gegen
alle Versuchungen finden.
- Denkt immer an
die unsichtbare Macht, die, mögen wir sie auch
nie erblicken, wir doch alle in uns spüren
als einen Wächter, der jeden unreinen Gedanken
vermerkt, und ihr werdet in dieser Macht stets einen
Helfer finden.
- Die Gesetze, die
ein Leben der Selbstzucht beherrschen, müssen
notwendig von einem Leben der Nachgiebigkeit gegen
sich verschieden sein. Daher müsst ihr Ordnung
halten in eurem Umgang, eurer Lektüre, euren
Erholungen und eurer Nahrung.
- Ihr müsst
die Gesellschaft des Guten und Reinen suchen. Ihr
müsst euch entschlossen der Lektüre Leidenschaft
aufpeitschender Geschichten und Magazine enthalten
und solche Werke lesen, welche die menschliche Gesittung
pflegen.
- Ihr müsst
ein Buch zu eurem ständigen Begleiter machen,
an das ihr euch zur Leitung halten könnt.
- Ihr müsst
Theatern und Kinos fernbleiben. Erholung ist da,
wo ihr euch nicht zerstreut, sondern zusammenholt.
( Wortspiel mit "recreation" und "recreate",
was wörtlich "sich selbst neu schaffen"
bedeutet. Anmerkung des Übersetzers)
- Ihr müsst
nicht essen, um euren Geschmack, sondern um euren
Hunger zu stillen. Ein sich selbst nachgebender
Mensch lebt, um zu essen; ein Mensch mit Selbstzucht
isst, um zu leben. Daher müsst ihr enthalten
aller aufreizenden Gewürze, des Alkohols, der
die Nerven erregt, und der Narcotica, die den Sinn
für Recht und Unrecht abtöten. Ihr müsst
das Quantum und die Zeit eurer Mahlzeiten regeln.
- Wenn Eure Leidenschaft
euch zu übermannen drohen, so werft euch auf
die Knie und ruft Gott um Hilfe an. Mein unfehlbares
Mittel ist Ramanama. Als äußere Hilfe
nehmt ein Sitzbad
, und ihr werdet finden,
dass sich eure Leidenschaft sofort abkühlt.
Bleibt ein paar Minuten darin sitzen, sofern ihr
nicht krank seid und Gefahr lauft, euch zu erkälten.
- Macht an der freien
Luft einen raschen Spaziergang am Morgen und abends,
ehe ihr zu Bett geht.
- "Früh
zu Bett und früh wieder heraus - dabei wird
der der Mensch gesund, reich und weise." Das
ist ein gutes Sprichwort. Um neun Uhr zu Bett gehen
und um vier aufstehen ist eine gute Regel. Geht
mit leerem Magen zu Bett. Daher soll eure letzte
Mahlzeit nicht nach sechs Uhr nachmittags sein.
- Vergesst nicht,
dass der Mensch Gottes Vertreter im Dienst an allem,
was lebt ist, der dadurch Gottes Würde und
Liebe zum Ausdruck bringt. Lasst diesen Dienst eure
ganze Freude sein, dann braucht ihr im Leben kein
anderes Vergnügen. (ebd. Aus der Vorrede zur
2. Auflage)
Ich bemitleide mich
selbst, wenn mich die Leute einen Naishthika Brahmachari
nennen. Wie könnte eine solche Bezeichnung auf
jemanden zutreffen, der, wie ich, verheiratet ist
und Kinder hat? Ein Naishthika Brahmachari würde
niemals an Fieber, Kopfschmerzen, Husten oder Blinddarmentzündung
leiden, wie ich es getan habe. Ärzte sagen, eine
Blinddarmentzündung könne sogar von einem
Apfelsinenkern verursacht werden, der in den Eingeweiden
stecken bleibt. Aber in einem gänzlich gesunden
Körper kann sich ein Apfelsinenkern nicht ständig
aufhalten. Werden die Eingeweide geschwächt,
so vermögen sie solche Fremdkörper nicht
mehr auszustoßen. Meine Eingeweide müssen
somit geschwächt gewesen sein, daher kam es bei
mir zur Blinddarmentzündung...
Brahmacharya bedeutet
nicht, dass jemand eine Frau, selbst seine Schwester,
unter keinen Umständen berühren dürfe.
Aber es bedeutet, dass sein Geisteszustand während
der Berührung so ruhig und gelassen sein muss,
wie wenn jemand, sagen wir, ein Stück Papier
berührt. Eines Menschen Brahmacharya taugt nichts,
wenn er zögern muss, seine kranke Schwester zu
pflegen. Er muss bei der Berührung des schönsten
Mädchens der Welt ebenso frei von Erregung sein,
wie wenn er eine Leiche berührte. Wenn ihr wünscht,
dass eure Kinder solches Brahmacharya erlangen, so
muss der Entwurf ihres Lebensplanes nicht von euch
abhängen, sondern von einem Brahmachari wie mir,
so unvollkommen ich auch sein mag. ("Navajivan"
26.2.25.)
- Esst mäßig
und verlasst stets den Speiseraum mit einem angenehmen
Hungergefühl.
- Scharf gewürzte
und fette vegetarische Speisen müssen vermieden
werden. Besondere Fettzutaten sind ganz unnötig,
wenn eine entsprechende Beigabe von Milch zu erhalten
ist. Ein geringes Nahrungsquantum genügt, wenn
weniger Lebenskraft vergeudet wird.
- Körper und
Geist müssen stets mit sauberen Verrichtungen
beschäftigt sein.
- Früh zu Bett
und früh wieder heraus ist eine Notwendigkeit.
- Vor allem setzt
ein Leben der Zucht ein intensiv lebendiges Verlangen
nach Vereinigung mit Gott voraus. Wenn dieses zentrale
Faktum zu einem Herzensanliegen geworden ist, so
wird das Vertrauen ständig größer,
dass Gott sein Werkzeug rein und in Ordnung halten
wird. Die Gita sagt: "Leidenschaften kehren
trotz Fasten wieder und wieder zurück, doch
selbst das Verlangen schwindet, wenn das Göttliche
erblickt wird." Das ist buchstäblich wahr
...
Ich glaube, dass Asanas
(Körperhaltungen) und Pranayama (Atemregulierung)
in der Übung der Selbstzucht einen wichtigen
Platz haben. Doch meine eigenen Erfahrungen in dieser
Richtung sind, wie ich leider sagen muss, nicht berichtenswert.
Nach meiner Kenntnis gibt es sehr wenig Literatur,
die auf konkrete Erfahrung sich gründet. Doch
ist das ein Gebiet, das zu erforschen sich lohnt ich
möchte jedoch den uner-fahrenen Leser warnen,
es zu versuchen oder die Weisungen des erstbesten
Hathayogi, der ihm in den Weg kommt, anzunehmen. Er
mag gewiss sein, dass ein enthaltsames und gutes Leben
völlig ausreicht, jede wünschbare Zucht
zu erreichen. ("Young India", 2.9.26.)
Liebe, die auf der
Willfährigkeit gegenüber der tierischen
Leidenschaft beruht, ist bestenfalls eine Sache der
Selbstsucht und zerbricht beim leisesten Druck. Und
warum sollte der Geschlechtsakt bei der Menschengattung
ein Sakrament sein, wenn er dies nicht ist beim niederen
Tier? Warum sollen wir ihn nicht als das ansehen,
was er wirklich ist nämlich ein einfacher Akt
der Fortpflanzung, zu dem wir unausweichlich getrieben
werden, um die Gattung zu erhalten. Nur der Mensch,
der in gewissem Grade mit freiem Willen ausgestattet
ist, kann das menschliche Vorrecht ausüben, sich
selbst zu verleugnen im Dienste eines höheren
Zieles, für das er geboren ist, nicht aber seine
Tierbrüder. Es ist die Macht der Gewohnheit,
die uns denken lässt, der Geschlechtsakt sei
nötig und wünschbar zur Befestigung der
Liebe, abgesehen von der Fortpflanzung. Es beweisen
aber zahllose Erfahrungen im Gegenteil, dass er die
Liebe nicht vertieft und keineswegs zu ihrer Erhaltung
und Bereicherung nötig ist. Es können in
der Tat Beispiele dafür angeführt werden,
dass das Liebesband bei Abstinenz stärker geworden
ist. Zweifelsohne muss solche Abstinenz ein freiwilliger
Akt sein, der zu gegenseitiger moralischer Förderung
unternommen wird.
Die menschliche Gesellschaft
ist ein ständiges Wachstum, eine Entwicklung
in Richtung auf Spiritualität. Ist dem so, dann
muss sie auf stets strengere Zucht gegenüber
den Wünschen des Fleisches sich gründen.
Daher muss die Ehe als ein Sakrament angesehen werden,
das den Partnern Disziplin auferlegt, indem es die
körperliche Vereinigung auf sie und auf die Fälle
beschränkt, in denen beide Partner Fortpflanzung
wünschen und dazu reif sind. ("Young India",
16.9.26.)
Wenn einmal die Vorstellung,
dass die einzige und große Funktion des Geschlechtsorganes
die Zeugung ist, von Mann und Frau Besitz ergriffen
hat, wird die Vereinigung zu irgend einem anderen
Zweck für eine ebenso verbrecherische Vergeudung
des Lebenssaftes unter begleitender Erregung von Mann
und Frau gehalten werden wie eine gleich verbrecherische
Vergeudung kostbarer Energie. Es ist nun leicht zu
ver-stehen, warum die alten Gelehrten solchen Wert
auf das Lebensfluidum gelegt, und warum sie so nach-drücklich
auf seiner Verwandlung in die höchste Form der
Energie zum Wohl der Gesellschaft bestanden haben.
Ich erkläre kühn, dass jemand, der eine
völlige Kontrolle über seine geschlechtliche
Energie erreicht hat, sein ganzes Dasein - das physische,
geistige und spirituelle - stärkt und Kräfte
bekommt, die durch keine anderen Mittel zu erlangen
sind.
Der Leser möge
sich nicht dadurch irritieren lassen, dass es nicht
viele, ja kaum einen lebenden Vertreter solcher Riesen-Brahmacharis
gibt. Die Bramacharis, die wir heute unter uns sehen,
sind recht unvoll-kommene Beispiele. Bestenfalls sind
sie Anfänger, die Kontrolle über ihren Körper,
aber nicht über ihren Geist erlangt haben. Sie
sind nicht fest geworden gegen Versuchungen. Das ist
nicht deshalb so, weil Brahmacharya so schwer zu erreichen
wäre. Sondern die soziale Umgebung steht dem
im Wege; und die meisten derer, die eine ehrliche
Anstrengung machen, isolieren, ohne es zu wissen,
die animalische Leidenschaft von allen anderen Leidenschaften,
während die Anstrengung, soll sie Erfolg haben,
die Kontrolle über alle Leidenschaften einschließen
muss, deren Beute der Mensch ist. Brahmacharya ist
durchaus nicht unerreichbar für den durchschnittlichen
Mann oder Frau; aber man darf nicht meinen, es erfordere
weniger Anstrengung als jene, die ein Durchschnittsstudent
aufwenden muss, dessen Herz daran hängt, Meister
irgendeiner Wissenschaft zu werden. Erlangung von
Brahmacharya indem hier gemeinten Sinn bedeutet Meisterschaft
in der Wissenschaft des Lebens. ("Harijan",
21.3.36.)
Der größte
Schaden, den die Reklame für empfängnisverhütende
Mittel anrichtet, besteht darin, dass sie das alte
Ideal verwirft und an seine Stelle eines setzt, dessen
Verwirklichung die moralische und physische Vernichtung
der Rasse bedeuten muss. Der Abscheu, mit dem die
alten Schriften die nutzlose Vergeudung des Lebensfluidum
betrachteten, war nicht ein aus Unwissenheit stammender
Aberglaube. Was würden wir von einem Haushalter
sagen, der die beste Saat, die er besitzt, auf steinigen
Acker auswirft oder von einem Grundeigentümer,
der auf seinem Feld mit gutem Boden gute Saat unter
Umständen auswirft, die ihr Anwachsen unmöglich
machen? Gott hat den Mann mit Samen gesegnet der die
höchste Keimkraft besitzt, und die Frau mit einem
Acker, der reicher ist als die beste Erde, die man
irgendwo auf der Welt findet. Es ist sicher verbrecherische
Narrheit, dem Mann zu erlauben, sein kostbarstes Besitztum
zu vergeuden. Er muss es vielmehr mit mehr Sorgfalt
hüten, als er die köstlichsten Perlen in
seinem Besitz bewahren wird. Ebenso macht sich die
Frau einer verbrecherischen Tollheit schuldig, die
in ihrem lebengebärenden Acker den Samen empfängt
mit der Absicht, ihn zugrunde gehen zu lassen. Beide,
er und sie, werden des Missbrauches jener Gaben schuldig
befunden werden, die ihnen gegeben waren, und er und
sie werden ihres Besitzes enteignet werden. Der Geschlechtstrieb
ist ein feines und edles Ding, Es gibt keinen Grund,
sich seiner zu schämen. Aber er ist einzig zum
Zeugungsakt bestimmt. jeder andere Gebrauch von ihm
ist Sünde gegen Gott und die Menschheit. ("Harijan",
28.3.36.)
Für die Moral
sind Ethik und Religion vertauschbare Begriffe. Ein
moralisches Leben ohne Beziehung zur Religion ist
wie ein auf Sand gebautes Haus. Und Religion, getrennt
von Moralität, ist wie "klingendes Erz"
nur dazu gut, Lärm zu machen und die Köpfe
zu verwirren. Moralität umfasst Wahrheit, Ahimsa
und Enthaltsamkeit. Jegliche Tugend, welche die Menschheit
je geübt hat, ist zurückführbar auf
und ableitbar von diesen drei Grundtugenden. Nicht-Gewalt
und Enthaltsamkeit ihrerseits sind ableitbar von der
Wahrheit, die für mich Gott ist.
Ohne Enthaltsamkeit
richten Mann und Frau sich zugrunde. Seine Sinne nicht
unter Kontrolle haben ist wie
das Segeln in einem steuerlosen Schiff, das dazu bestimmt
ist am ersten Felsen zu scheitern, mit dem es in Berührung
kommt. Daher mein ständiges Drängen auf
Enthaltsamkeit ... Wenn gegenseitiges Einverständnis
einen Geschlechtsakt moralisch rechtfertigt, sei es
in der Ehe oder außerhalb - und nach der entsprechenden
Logik auch unter Menschen gleichen Geschlechtes -,
dann wird die ganze Grundlage der Geschlechtsmoral
aufgegeben, und nichts als Elend und Niedergang steht
der Jugend des Landes bevor. ("Hatijan",
3.10.36.)
Der spirituellen Entwicklung
sollte bei der Wahl des Ehepartners der erste Platz
eingeräumt werden. Dann sollte die Stellung kommen.
Familien-Erwägungen und Interessen sozialer Natur
sollten den dritten Platz bekommen und die gegenseitige
Zuneigung oder "Liebe" den vierten und letzten
Platz. Das bedeutet dass "Liebe" allein,
wo die anderen drei Bedingungen nicht erfüllt
werden, nicht als ausreichender Heiratsgrund angesehen
werden kann. Zugleich sollten freilich auch Ehen,
bei denen es keine Liebe gibt, selbst dann ausgeschlossen
sein, wenn alle anderen Bedingungen völlig erfüllt
sind. Geschlechtsverkehr zum Zwecke fleischlicher
Befriedigung ist Rückfall in die Tierheit, und
es sollte daher das Bestreben des Menschen sein, sich
darüber zu erheben. Doch wenn das im Verhalten
zwischen Mann und Frau misslingt, so kann das nicht
als Sünde oder als Anlass zum Tadel angesehen
werden. Millionen auf dieser Welt essen, um ihrem
Gaumen zu schmeicheln; in ähnlicher Weise geben
Millionen von Männern und Frauen ihrer fleischlichen
Lust nach und werden das weiterhin tun und ebenso
die unerbittliche Strafe zahlen in Gestalt zahlloser
Leiden, mit denen die Natur alle Aussehreitungen dieser
Art. heimsucht. Das Ideal des völligen Brahmacharya
oder des Brahmacharya unter Eheleuten ist für
jene, die einem höheren spirituellen Leben nachtrachten;
für ein solches Leben ist es die conditio sine
qua non. ("Harijan", 5.6.37.)
Ob es wünschbar
ist, jungen Leuten eine Kenntnis über Gebrauch
und Funktion der Zeugungsorgane zu geben? Mir scheint
es notwendig, ihnen solche Kenntnis bis zu einem gewissen
Maße zu geben. Heute sind sie sich oft selbst
überlassen und schnappen dann irgendwie Kenntnis
darüber auf mit dem Ergebnis, dass sie zu missbräuchlichen
Handlungen verleitet werden. Wir können den Geschlechtstrieb
nicht eigentlich kontrollieren und unter Beherrschung
bringen, wenn wir uns ihm gegenüber blind stellen.
Ich bin daher entschieden dafür, dass man jungen
und Mädchen über Bedeutung und rechten Gebrauch
ihrer Zeugungsorgane belehren soll. In meinem eigenen
Leben habe ich versucht, jungen Leuten beiderlei Geschlechts,
für deren Ausbildung ich verantwortlich war,
diese Kenntnis beizubringen.
Aber die Geschlechtserziehung,
für die ich eintrete, muss die Beherrschung und
Sublimierung des Ge-schlechtstriebes zum Ziel haben.
Eine solche Erziehung sollte automatisch dazu dienen,
den Kindern die wesentliche Unterscheidung zwischen
Mensch und Tier beizubringen, sie zu der Einsicht
zu bringen, dass es des Menschen Vorrecht und Stolz
ist mit den Fähigkeiten von Kopf und Herz gleichermaßen
ausgestattet zu sein; dass er nicht weniger ein denkendes
als ein fühlendes Wesen ist, und dass also der
Verzicht auf die Herrschaft der Vernunft über
die blinden Instinkte den Verzicht auf das Menschsein
bedeutet. Im Menschen belebt und leitet die Vernunft
das Gefühl. Im Tier verbleibt die Seele stets
im Schlafzustand. Das Herz erwecken heißt die
schlafende Seele erwecken, Vernunft wecken und die
Unterscheidung zwischen Gut und Böse einschärfen.
Wer soll diese echte Wissenschaft vom Geschlecht lehren?
Offenbar jener, der seiner Leidenschaften Herr geworden
ist ... ("Harijan", 23.11.36.)
Brahmacharya bedeutet
nicht nur physische Selbst-Kontrolle. Es bedeutet
völlige Kontrolle über alle Sinne. So ist
ein unreines Denken ein Bruch von Brahmachatya, ebenso
Ärger. Alle Kraft kommt von der Erhaltung und
Sublimierung der Vitalität, die für die
Erzeugung von Leben verantwortlich ist. Wird diese
Vitalität gespart, statt verschwendet zu werden,
so wird sie in schöpferische Energie der höchsten
Art verwandelt. Diese Vitalität wird ständig,
sogar ohne es zu wissen, durch üble oder selbst
durch herumschweifende, ungeordnete, unnötige
Gedanken vergeudet. Und da Denken die Wurzel allen
Redens und Tuns ist, so entspricht die Qualität
dieses der jenes (nicht gut zu verstehen???). Daher
ist völlig überwachtes Denken an sich Kraft
von höchster Potenz und kann selbst-handelnd
werden. Das scheint mir der Sinn des schweigenden
Herzens-Gebetes zu sein. Wenn der Mensch nach Gottes
Bild gemacht ist, braucht er innerhalb der ihm zugemessenen
Sphäre nur etwas zu wollen, und es wird. Aber
solche Macht steht dem nicht zu, der seine Energie
auf irgendwelche Weise vergeudet ... Der Geschlechtsakt,
der nicht bewußtermassen dem Ziel der Zeugung
gilt, ist ein typischer Fall plumper Vergeudung; daher
ist er im besonderen mit Recht der Verdammung verfallen.
Bei jemandem aber, der große Menschenmassen
zu gewaltloser Aktion zu organisieren hat, muss die
vollständige von mir beschriebene Kontrolle versucht
und verwirklicht werden.
Diese Kontrolle ist
nicht zu erreichen, wenn Gottes Gnade nicht mithilft.
Diese Kontrolle ist nicht mechanisch oder temporär.
Einmal erlangt, geht sie nie wieder verloren. In diesem
Zustand wird die vitale Energie aufgespeichert ohne
irgendeine Möglichkeit, durch die zahllosen Ausgänge
zu entweichen. ("Harijan", 23.7.38.)
Wieso die Frau das
schwächere Geschlecht ist, kann ich nicht einsehen.
Wenn damit gemeint wird, ihr fehle der rohe Instinkt
des Mannes oder sie besitze ihn nicht in demselben
Maße wie der Mann, mag die Behauptung zugegeben
werden. Doch dann wird die Frau, so wie sie ist, zum
edleren Geschlecht. Wenn sie schwach ist im Schlagen,
so ist sie stark im Ertragen. Ich habe die Frau als
die Verkörperung von Opfer und Ahimsa beschrieben.
Sie muss es lernen, sich zum Schutz ihrer Ehre nicht
auf den Mann zu verlassen. Ich kenne kein einziges
Beispiel, dass ein Mann die Tugend einer Frau verteidigt
hätte. Er kann das nicht, selbst wenn er wollte...
Niemand verliert die Ehre oder Selbstachtung außer
mit seiner Zustimmung. Eine Frau verliert ihre Ehre
und Tugend dadurch, dass ein Rohling sie betäubt
und schändet, so wenig wie ein Mann die seine
verliert, wenn ihm ein schlechtes Weib eine einlullende
Droge eingibt und ihn zu tun zwingt, was er nicht
will ...
Wenn die Gesellschaft
nicht durch unsinnige Kriege von Nationen gegen Nationen
und noch unsinnigere Kriege gegen ihre moralischen
Grundlagen zerstört werden soll, so werden die
Frauen ihre Rolle spielen müssen - nicht nach
Männerweise, wie es manche zu tun versuchen,
sondern nach Frauenweise. Sie werden die Menschheit
nicht verbessern, wenn sie mit den Männern in
der Geschicklichkeit wetteifern, Leben zumeist ohne
Zweck zu vernichten. Möge es ihr Vorrecht sein,
den irrenden Mann von seinem Irrtum abzubringen, der
in seinen Untergang auch den der Frau hineinziehen
wird. ("Harijan", 14.11.36.)
Die besonderen sachlichen
Belehrungen, die ich euch während meiner Tour
geben möchte, sind: wie ihr das Wasser im Dorf
und euch selbst sauber halten könnt; welchen
Gebrauch ihr besonders von der Erde machen könnt,
woraus eure Körper gemacht sind; wie ihr die
Lebenskraft vom unermesslichen Himmel gewinnen könnt,
der sich über euren Köpfen ausbreitet; wie
ihr eure Lebensenergie aus der Luft stärken könnt
die euch umgibt, und welch besonderen Gebrauch ihr
vom Sonnenlicht machen könnt. Ich will, heißt
das, versuchen, euch zu lehren, wie ihr euer verarmtes
Land in ein Goldland verwandeln könnt, indem
ihr von den verschiedenen Elementen den rechten Gebrauch
macht ... ("Harijan" 26.1.47)
Nicht-Gewalt in Frieden und Krieg
Gandhis Entwurf einer Kongressverfassung,
aufgesetzt am Tag vor seiner Ermordung
Nachdem Indien, obwohl
zweigeteilt, durch die vom Indian National Congress
empfohlenen Mittel politische Unabhängigkeit
erlangt hat, hat der Kongress in seiner jetzigen Gestalt
und Form, nämlich als Propaganda Werkzeug und
parlamentarische Maschine, sich überlebt. Indien
muss noch soziale, moralische und wirt-schaftliche
Unabhängigkeit erlangen im Hinblick auf seine
siebenhunderttausend von den Städten und Großstädten
unterschiedenen Dörfer. Der Kampf um den Vorrang
der zivilen vor der militärischen Macht muss
stattfinden, damit Indien in Richtung auf die Demokratie
sich fortentwickeln kann. Es muss heraus-gehalten
werden aus ungesundem Wettbewerb zwischen politischen
Parteien und religiösen Körperschaften.
Aus diesen und ähnlichen
Gründen beschließt das "All-Indian
Congress Committee" die bestehende Kongressorganisation
aufzulösen und in eine Vereinigung zum Dienst
am Volke (Lok Seva Sangh) zu überführen.
Für diese
sollen die folgenden Bedingungen gelten, die, wenn
Anlässe es fordern, abgeändert werden können:
Jedes Panchayat von fünf erwachsenen Männern
oder Frauen, die Dorfbewohner oder ländlich gesinnt
sind, so eine Einheit bilden.
Zwei solcher benachbarter Panchayats sollen eine Arbeitsgemeinschaft
unter einem von ihnen gewählten Leiter bilden.
Wenn es hundert solcher Panchayats gibt, sollen die
fünfzig Leiter des ersten Grades aus ihrer Mitte
eine Leiter zweiten Grades wählen und so fort,
wobei die Leiter des ersten Grades gleichzeitig unter
dem Leiter des zweiten Grades wirken. Parallele Gruppen
von zweihundert Panchayats sollen weiterhin gebildet
wer-den, bis sie ganz Indien bedecken, wobei jede
folgende Gruppe von Panchayats einen Leiter zweiten
Grades nach der Art des erstgradigen wählen soll.
Alle Leiter zweiten Grades sollen zusammen für
ganz Indien und jeder für seinen betreffenden
Bezirk Dienst tun. Die Leiter zweiten Grades können,
wann immer sie es für nötig befinden, aus
ihrer Mitte einen Führer erwählen, der für
eine Dauer je, nach Bedarf allen Gruppen Weisungen
und Befehle geben soll ...
- jeder Werker soll
regelmäßig Khadi tragen, das aus selbstgesponnenem
Garn gefertigt oder von der "All-India Spinners
Association" beglaubigt ist. Auch muss er Abstinenzler
sein. Ist er ein Hindu, so muss er der Unberührbarkeit
in jeder Form für seine eigene Person oder
seiner Familie abgeschworen haben und muss glauben
an das Ideal der Einheit unter den Glaubensbekenntnissen,
der gleichen Ehrfurcht und Achtung vor allen Religionen
und der Gleichheit der Chancen und Bedingungen für
alle, ohne Rücksicht auf Rasse, Glauben oder
Geschlecht
- Er soll zu jedem
Dorfbewohner seines Bezirks in persönliche
Beziehungen treten.
- Er soll unter den
Dorfbewohnern Werker anwerben und ein Register von
all diesen führen.
- Er soll über
seine Tätigkeit von Tag zu Tag Protokoll führen.
- Er soll die Dörfer
derart organisieren, dass sie sich durch ihren Ackerbau
und ihr Handwerk selbst unterhalten.
- Er soll die Dorfbewohner
in Gesundheitspflege und Hygiene unterrichten und
alle Vorkehrungen treffen, um Krankheiten und Seuchen
unter ihnen zu verhüten ...
- Er soll jene, die
noch nicht die gesetzliche Qualifikation besitzen,
um das Stimmrecht zu erhalten, ermutigen, sie zu
erwerben.
- Zu den oben genannten
Zwecken und zu anderen, die von Zeit zu Zeit hinzugefügt
werden mögen, soll er
sich üben und ausbilden gemäß den
Regeln, die vom Sangh zu angemessener Pflichterfüllung
aufgestellt werden... ("Harijan", 15.2.48)
Persönliches
und Anekdotisches
Faszination der Einseitigkeit
Heilige pflegen keine
bequemen Mitmenschen ihrer Umwelt zu sein. Gandhi,
der sich dagegen verwahrte, ein Heiliger zu sein,
besaß neben manchen anderen "heiligen"
Qualitäten auch die, kein bequemer Mitmensch
zu sein. Er, der sich in peinlichster Weise als Opfer
kultischer Verehrung der Mitlebenden empfand, würde
selbst am lebhaftesten gegen falsche Idealisierung
und Harmonisierung seines Bildes durch die Nachwelt
protestieren. Er wusste, dass ihm manches abging,
was eine Zierde und menschliche Bereicherung eines
"normalen" Daseins sein kann, etwa ein intimes
Verständnis für die Schöpfungen der
Kunst.
Mit souveräner
Gleichgültigkeit hat er bei einem Besuch in Rom
die vatikanischen Sammlungen durchquert, bis ihn eine
Kreuzigungsgruppe fast zu Tränen bewegte. Und
als ihm Romain Rolland Lieblingsstücke von Beethoven
spielte, antwortete er mit der Offenheit, die nie
eine nicht empfundene Bewunderung affektierte: "Das
muss schön sein, da Sie mir das sagen".
Nein, Gandhi war kein ausge-wogener Idealmensch; er
war von genialer Einseitigkeit - wie jeder, der sich
als Träger eines zutiefst religiösen Auftrags
weiß. Er, der seinen Lebensstil bewusst dem
Standard der ärmsten seiner Landsleute anpasste,
besaß zudem eine ungeheure Willensenergie, die
ihn nicht nur selbst alle Entbehrungen mühelos
ertragen, sondern sie auch seinen Nächsten zumuten
ließ. Und doch strahlte dieser unschöne
Asket auf alle, die mit ihm in Berührung kamen,
eine Faszination aus, der sich kaum einer entziehen
konnte, Wie die Klarheit und Reinheit seines ruhigen
und konzentrierten Blickes sofort den abstoßenden
Eindruck der abstehenden Ohren, des zahnlückigen
Mundes vergessen ließ, so wurde die äußere
Härte seines Gebarens durchglüht vom Feuer
einer Liebe, die nicht sentimental, sondern gotterfüllt
und wahrheitsbegeistert war. Wo sie verwandte Saiten
berührte, da mochte sie Menschen aus ganz anderer
Lebenssphäre zu unbedingten Folgern des "Bapu"
(Vater) machen.
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(1919-22). Auswahl von Romain Rolland und Madeleine
Rolland. Deutsch von Emil Roniger. Rotapfel-Verlag,
Erlenbach-Zürich. 1924.
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Gesundheit. Deutsch von Fritz Bodmer und Emil Roniger.
ebd. 1925.
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Leidenszeit. Deutsch von Emil Roniger. ebd. 1925.
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The Story of my Experiments with Truth. Second Edition.
Reprinted 1948.
- Non-Violence in
Peace and War. Vol. 1. Third Edition. 1948 Vol.
Il. 1949.
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A collection of Gandhijis speeches in England and
Mahadev Desai's account of the sojourn, September
to Decernber 1931. Second Edition. 1947.
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1949.
- Delhi Diary. Prayer
Speeches from 10.09.47 to 30.01.48. 1948.
- Ramanama. Second
Enlarged Edition. 1949.
- The Gospel of Selfless
Action or The Gita according to Gandhi Translation
of the original in Gujarati with an additional introduction
and commentary by Mahadev Desai. Third Impression.,
1951.
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v. Self-Indulgence. 1947.
- Satyagraha in South
Africa. 1928.
- Gandhiji's Correspondence
with the Government 1942-44. 1945.
- Gandhi's Letters
to a Disciple. Victor Gollancz Ltd., London. 1951.
- Madhuri Desai:
Begegnung mit Gandhi. Des Mahatma Leben und Lehre,
nach seinen Gesprächen und Schriften dargestellt.
Deutsch von Hans Zbinden. Verlag Herbert Lang &
Cie., Bern. 1949.
- C. F. Andrews:
Mahatma Gandhis Lehre und Tat. Deutsch von Karl
Lerbs. Insel-Verlag, Leipzig. o. J.
Gandhi, der Heilige und der Staatsmann in eigenen
Aussprüchen. Ausgewählt und eingeleitet
von B. P. L. Bedi und Freda M. Houlston. Geleitwort
von Rudolf Otto. Verlag Ernst Reinhardt, München.
3. Aufl. 1933.
- Otto Wolff: Mahatma
und Christus. Eine Charakterstudie Mahatma Gandhis
und des modernen Hinduismus. Lettner-Verlag, Berlin.
o. J.
- Romain Rolland:
Mahatma Gandhi. Deutsch von Emil Roniger. Rotapfel-Verlag,
Erlenbach-Zürich. 1923.
Inde. Journal 1915-43. Editions Vineta, Paris, Lausanne,
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Mahatma Gandhi - Der Mann, sein Werk und seine Wirkung.
Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen.
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The Mahatma and the World. Thacker & Co., Ltd.,
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Gandhiji's First Struggle in India. 1955.
- Chandrashanker
Shukla: Gandhi's View of Life. Bharatiya Vidya Bhavan,
Chaupatty, Bombay. 1956.
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