Interview mit Finanzexperten
Bernard Lietaer
Jenseits von Gier und Knappheit
von Bernard Lietaer
Aus der KS-Zeitschrift
"YES" Nr.2, Frühling 1997
übersetzt von Erika Riemer-Noltenius
Es gibt nur wenige
Menschen, die das Geldwesen so durchschauen,
wie Bernard Lietaer. Er war fünf Jahre
in der Belgischen Zentralbank, wo seine Aufgabe
der Entwurf und die Durchsetzung der europäischen
Verrechnungseinheit ECU war.
Darüber hinaus war er Präsident des Belgischen
Elektronischen Zahlungssystems und hat für
transnationale Firmen Techniken entwickelt,
mit denen diese im Bereich von vielen unterschiedlichen
Währungen am besten operieren können. Er
hat Entwicklungsländern geholfen, ihre Devisenguthaben
zu vergrößern und unterrichtete an der
Universität seiner Geburtsstadt Louvain das Fach
"Internationale Finanzen".
Bernhard Lietaer war
außerdem Generalbevollmächtigter und
Währungshändler eines der größten
und erfolgreichsten Investmentfonds. Zur Zeit
ist er Gastprofessor für "Sustainable
Resources" an der Berkeley-Universität in
Kalifornien.
Die YES-Herausgeberin
Saran van Gelder hat mit Bernard Lietaer über
die Möglichkeiten neuer Währungssysteme
gesprochen, die besser für die
Gemeinschaft und die Umwelt geeignet sind.
Sarah:
Warum setzen
Sie so viel Hoffnung auf die Entwicklung alternativer
Währungen?
|
Bernard:
Geld ist wie ein
eiserner Ring, den wir durch unsere Nasen getrieben
haben. Wir haben vergessen, dass wir das Geld
erfunden haben und jetzt führt es uns im Kreis
herum. Ich denke, dass es an der Zeit ist, darüber
nachzudenken, wo wir eigentlich hin wollen - nach
meiner Ansicht in Richtung auf mehr Gemeinschaft und
mehr Nachhaltigkeit (substainability) - und
dann das Geldsystem zu entwickeln, das uns dorthin
führt.
Sarah:
Sie würden
also sagen, dass die heutige Geldordnung die
Ursache für vieles Dinge ist, die heute
in der Gesellschaft passieren, bzw. nicht passieren?
|
Bernard: Das
ist richtig. Während in Wirtschaftsfachbüchern
behauptet wird, dass Menschen und Firmen für
mehr Weltmarktanteile und Rohstoffe im Wettbewerb
stehen, behaupte ich, dass sie in Wirklichkeit für
höhere Profite kämpfen und Weltmarktanteile
und Rohstoffe nur dafür benützen. Deshalb
bedeutet die Entwicklung einer neuen Währungsordnung
auch die Neudefinition des Wirtschaftszieles.
Darüber hinaus glaube ich nicht, dass Gier und
Wettbewerb aus der unveränderbaren menschlichen
Natur resultieren. Ich bin zu der Überzeugung
gekommen, dass Gier und die Angst vor Knappheit durch
das jetzt praktizierte Geldsystem ständig
erzeugt und vergrößert werden.
Zum Beispiel sind
wir in der Lage, mehr als genug Nahrungsmittel für
alle Menschen zu produzieren, außerdem gibt
es ganz ohne Zweifel genug Arbeit für jeden einzelnen,
aber was wirklich knapp ist, ist das Geld, um dies
alles zu bezahlen. Die Knappheit liegt in unseren
nationalen Währungen. Tatsächlich ist es
die Aufgabe der Zentralbanken, diese Geldknappheit
zu produzieren und aufrecht zu erhalten. Die Folge
ist, dass wir alle gegeneinander kämpfen müssen,
um zu überleben.
Geld wird beschafft,
wenn Banken es beschließen. Wenn die Bank Ihnen
einen Kredit von 100000 Dollar gibt,
ist dies nur der Teil, den Sie ausgeben und der in
der Wirtschaft zirkuliert. Die Bank erwartet aber
von Ihnen, dass Sie im Laufe der nächsten 20
Jahre für diesen Kredit 200000 Dollar zurückzahlen,
aber sie schafft diese zweiten hunderttausend Dollar,
die Zinsen, nicht selbst. Statt dessen schickt die
Bank Sie in die feindliche Welt, um gegen jeden
zu kämpfen, damit Sie die zweiten hunderttausend
Dollar erarbeiten.
Sarah:
So müssen
also einige Leute verlieren, damit andere gewinnen?
Einige müssen Schulden machen, damit andere
Zinsen kassieren?
|
Bernard: So
ist es. Alle Banken tun das Gleiche, wenn sie durch
Kreditvergabe Geld schaffen. Deshalb sind auch die
Entscheidungen der Zentralbanken, wie z.B. der Federal
Reserve Bank in USA, so wichtig, denn höhere
Zinsen bedeuten automatisch einen größeren
Anteil an Firmenpleiten. Wenn also die Banken Ihre
"Kreditwürdigkeit" überprüfen,
prüfen sie in Wirklichkeit, ob Sie in
der Lage sind, gegen andere Menschen zu kämpfen
und den Wettbewerb zu gewinnen, ob Sie es schaffen,
die zweiten hunderttausend Dollar aufzutreiben,
die nicht von der Bank geschaffen wurden. Und
wenn Sie es nicht schaffen, verlieren Sie Ihr Haus
oder was immer Sie sonst an Sicherheiten angegeben
haben.
Sarah:
Das beeinflusst
auch die Arbeitslosenquote.
|
Bernard: Das
ist sicher einer der Hauptfaktoren. Aber es gibt noch
mehr. Die lnformationstechnologie ermöglicht
es zunehmend, höhere Wachstumsraten zu erzielen,
ohne die Zahl der Beschäftigten zu vergrößern.
Ich glaube, dass wir jetzt eine der letzten Perioden
in Amerika beobachten, in denen noch neue Arbeitsplätze
geschaffen werden. Ich erinnere an Jeremy Rifkin,
der in seinem Buch "Das Ende der Arbeit"
darauf hingewiesen hat, dass Arbeitsplätze,
auch in wirtschaftlich guten Zeiten, kaum noch vorhanden
sein werden.
Eine Studie der Internationalen Metall-Arbeiter-Gewerkschaft
in Genf prophezeit, dass innerhalb der nächsten
30 Jahre 2-3 Prozent der Weltbevölkerung in der
Lage sein wird, alles zu produzieren, was wir auf
diesem Planeten zum Leben brauchen. Selbst wenn sie
sich um den Faktor 10 irren sollten, müssen wir
uns immer noch fragen, was 80% der Weltbevölkerung
tun kann.
Meine Prognose ist,
dass lokale Währungen wichtige Instrumente sein
werden, um die Gesellschaft im 21. Jahrhundert neu
zu entwickeln. Ich plädiere nicht dafür,
dass die lokalen Währungen die nationalen
Währungen ersetzen werden oder sollten; deshalb
bezeichne ich sie auch als "ergänzende"
Währungen. Die nationalen, wettbewerbserzeugenden
Währungen werden noch lange eine Rolle auf dem
globalen Wettbewerbsmarkt spielen. Trotzdem glaube
ich, dass ergänzende lokale Währungen viel
besser geeignet sind, lokale kooperative Wirtschaften
zu entwickeln.
Sarah:
Und diese
lokalen Währungen werden Arbeitsplätze
schaffen, die nicht bedroht sind?
|
Bernard: Das
ist richtig, als ein erster Schritt. Zum Beispiel
gibt es jetzt in Frankreich etwa 300 Tauschringe,
die "Grain de Sel" (Salzkorn) genannt
werden. Diese Tauschringe, die zu genau der Zeit gegründet
wurden, als die Arbeitslosenquote 12% erreichte, erleichtern
den Austausch von allem möglichen, von der Miete
bis zu organischen Produkten. Aber sie schaffen noch
etwas mehr: Alle 14 Tage gibt es in Kriege, in
Südwestfrankreich, eine große Party.
Menschen kommen nicht nur, um mit Käse, Früchten
oder Kuchen zu handeln, wie auf normalen Markttagen,
sondern auch, um Stunden auszuhandeln für Klempnerarbeiten,
Haarschnitte, Segel- oder Englisch-Unterricht, die
ausschließlich in lokaler Währung zu bezahlen
sind.
Lokale Währungen
schaffen Arbeit, und ich mache einen
Unterschied zwischen Arbeit und Job.
Ein Job ist, was man braucht, um zu überleben;
Arbeit ist, was Freude macht. Ich erwarte,
dass Jobs immer altmodischer werden, aber es wird
immer ein schier unerschöpfliches Quantum an
Arbeit geben.
Zum Beispiel finden
Sie in Frankreich Menschen, die Gitarrenunterricht
anbieten und dafür Deutschunterricht haben wollen.
Keiner wird in Französischen Francs bezahlen.
Das Gute bei diesen lokalen Währungen, wenn Menschen
ihr eigenes Geldsystem schaffen, ist, dass es überflüssig
wird, einen Knappheitsfaktor einzubauen. Und sie brauchen
kein Geld von irgendwo her, um mit dem Nachbarn Tauschhandel
zu treiben.
Edgar Cahn's "Zeit-Dollar"
ist ein klassisches Beispiel. Sobald sich zwei Menschen
über eine Transaktion in Zeit-Dollar einig werden,
schaffen sie in der Tat ihre eigene Währung,
d.h. die Währung ist niemals knapp bzw. Mangelware.
Das heißt nicht, dass sie unbegrenzt ist, denn
niemand kann mir 500000 Stunden geben, weil niemand
500000 Stunden zu vergeben hat. So gibt es eine natürliche
Begrenzung, aber keine künstliche Knappheit.
Anstatt, dass Menschen im Wettbewerb gegeneinander
kämpfen, hilft dieses System ihnen zu kooperieren.
Sarah:
Sie behaupten
also, dass Knappheit keine unerlässliche
Bedingung für ein Wirtschaftssystem ist.
Aber ist Knappheit nicht eine Grundbedingung
für die Wirtschaft, insbesondere in einer
Welt mit begrenzten Rohstoffen?
|
Bernard: Meine
Analyse dieser Frage basiert auf dem Werk von C.
G. Jung, weil er der einzige ist, der eine Theorie
der kollektiven Psychologie entwickelt hat.
Und Geld ist
in erster Linie ein Phänomen kollektiver Psychologie.
Ein Schlüsselbegriff von Jung ist der Archetyp,
der beschrieben werden kann als ein emotionales
Feld, das Menschen mobilisiert, einzeln und kollektiv,
in eine bestimmte Richtung. Jung hat gezeigt, dass,
wann immer ein bestimmter Archetyp unterdrückt
wird, zwei Schattenwesen auftauchen, die Antipoden
zueinander sind.
Zum Beispiel, wenn
mein höheres Selbst - das dem Archetyp
des Königs oder der Königin entspricht
- unterdrückt wird, verhalte ich mich entweder
als Tyrann oder als Schwächling. Diese beiden
Schatten sind miteinander verbunden durch Angst.
Ein Tyrann ist
tyrannisch, weil er Angst hat, als schwach zu gelten.
Ein Schwächling hat Angst, tyrannisch zu werden.
Nur jemand, der keine Angst vor diesen Schatten hat,
kann den Archetypen des Königs oder der Königin
verkörpern.
Wir wollen nun diese
Betrachtungsweise auf ein anderes, gut dokumentiertes
Phänomen anwenden:
Den Archetyp der Großen Mutter. Dieser
Archetyp der großen Mutter war in der Westlichen
Welt von sehr großer Bedeutung, seit
Beginn der Menschheitsgeschichte bis hin zu den lndo-Europäischen
Zeiten und sogar bis heute in einigen traditionellen
Kulturen. Doch dieser Archetyp wurde im Westen in
den letzten 5000 Jahren gewaltsam unterdrückt,
beginnend mit den lndo-Europäischen Invasionen,
verstärkt durch die Anti-Göttin-Haltung
des Juden- und Christentums, mit Höhepunkten
in drei Jahrhunderten Hexenverfolgung bis hin zur
Viktorianischen Epoche.
Wenn es die Unterdrückung
eines Archetyps in diesen Ausmaßen und über
einen so langen Zeitraum gibt, dann sind die sich
manifestierenden Schatten in der Gesellschaft gewaltig.
Nach 5000 Jahren betrachten die Menschen die Schattenverhaltensweisen
als "normal". Die Frage, die ich mir gestellt
habe, ist ganz einfach: "Welches sind die Schatten
des Archetyps der Großen Mutter?" Ich schlage
vor, dass diese Schatten Gier und Angst vor Knappheit
sind. So sollte es nicht verwundern, dass in Viktorianischer
Zeit ein schottischer Schulmeister namens Adam
Smith eine Menge Gier und Knappheit um
sich herum bemerkt hat und davon ausging, dass
diese Prinzipien allen "zivilisierten"
Gesellschaften zugrunde liegen. Smith, wie Sie
wissen, begründete die moderne Wirtschaftswissenschaft,
die definiert werden kann als der Weg, sich die knappen
Güter mit den Mechanismen der individuellen und
persönlichen Gier anzueignen.
Sarah:
Wenn Gier
und Knappheit die Schatten sind, was ist dann
der Archetyp der Großen Mutter in der
Wirtschaft?
|
Bernard:
Wir wollen zuerst unterscheiden
zwischen der Göttin, die alle Aspekte
des Heiligen verkörperte, und der Großen
Mutter, die speziell den Planeten Erde symbolisierte:
Natur, Fruchtbarkeit, der Strom des Überflusses
in allen Aspekten des Lebens.
Jemand, der den
Archetyp der Großen Mutter darstellt, vertraut
auf die Fülle des Universums.
Nur wenn jemand kein Vertrauen hat, benötigt
er ein dickes Bankkonto.
Der erste Mensch,
der damit begonnen hat, eine Menge Güter anzuhäufen,
als Schutz gegen die Unwägbarkeiten der Zukunft,
musste damit automatisch anfangen, seinen Besitz gegen
den Neid und die Bedürfnisse anderer Menschen
zu verteidigen. Wenn eine Gesellschaft Angst vor Knappheit
hat, wird sie eine Atmosphäre schaffen, in der
die Ängste wohlbegründet sind. Es handelt
sich hier um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Wir haben lange Zeit unter dem Glauben gelebt, dass
wir Knappheit schaffen müssen, um Werte zu schaffen.
Obwohl dies in einigen materiellen Bereichen auch
zutrifft, haben wir diesen Grundsatz auch auf andere
Bereiche übertragen, wo er nicht unbedingt zutreffen
muss.
Zum Beispiel gibt
es nichts, was uns daran hindert, Informationen frei
zu verbreiten. Die Grenzwerte der Informationskosten
sind praktisch gleich Null. Trotzdem werden Copyrights
erfunden und Patente, mit der Absicht, die Knappheit
aufrecht zu erhalten.
Sarah:
Es ist also
die Angst vor Knappheit, die die Gier und das
Horten erzeugt, die wiederum die Knappheit erzeugen,
vor der sie sich fürchten. Und im Gegensatz
dazu die Kulturen, die die Große Mutter
verehren und die auf Fülle und Freigiebigkeit
basieren. Diese Ideen sind enthalten in dem,
wie Sie "Gemeinschaft" definieren,
nicht wahr?
|
Bernard: Eigentlich
ist es nicht meine Definition, es ist etymologisch.
Der Ursprung des Wortes "Gemeinschaft" -
Community - kommt vom lateinischen Wort "munus"
das bedeutet "Geschenk" und das "cum"
bedeutet "zusammen, miteinander".
So heißt buchstäblich das Wort community
(Gemeinschaft): untereinander zu schenken. Deshalb
definiere ich meine Gemeinschaft als eine Gruppe von
Menschen, die meine Geschenke annimmt und respektiert
und von der ich vernünftigerweise erwarten kann,
Gegengeschenke zu erhalten.
Sarah:
Eine lokale
Währung kann den Austausch von Geschenken
erleichtern.
|
Bernard: Die
meisten lokalen Währungen, die ich kenne, haben
mit dem Ziel begonnen, Beschäftigung zu erzeugen.
Aber da ist eine wachsende Zahl von Menschen,
die lokale Währungen gründen, um Gemeinschaft
zu bilden. Zum Beispiel würde ich mir sehr
komisch vorkommen, wenn ich meinen Nachbarn im Tal
anrufe und zu ihm sagen würde:
"Ich habe bemerkt, dass Sie viele Birnen auf
Ihren Bäumen haben. Kann ich die haben?"
Ich hätte das Gefühl, dass ich eine Gegenleistung
anbieten müsste. Doch wenn ich ihm meine knappen
Dollars anbieten würde, könnte ich ebenso
gut gleich in den Supermarkt gehen; im Endeffekt würden
wir die Birnen nicht verwenden. Wenn ich aber eine
lokale Währung habe, gibt es keine Knappheit
im Tauschmittel; so gesehen bedeutet die Aneignung
der Birnen einen Vorwand, miteinander zu kommunizieren.
In Takoma Park, Maryland, hat Olaf Egeberg eine lokale
Währung gegründet, um diese Art von Austausch
innerhalb der Gemeinde zu erleichtern. Und die
Teilnehmer sind sich einig, dass dies tatsächlich
passiert.
Sarah:
Das wirft
die Frage auf, ob lokale Währungen auch
genutzt werden können, damit die Menschen
ihre Grundbedürfnisse wie z.B. Nahrung
und Unterkunft dadurch erfüllen können;
oder müssen diese Sektoren Teil der Wettbewerbswirtschaft
bleiben?
|
Bernard: Es
gibt eine Menge Leute, die gern gärtnern, aber
die davon in einer wettbewerbsorientierten Wirtschaft
nicht leben können. Wenn ein Gärtner arbeitslos
ist, und ich auch, dann würden wir beide in der
normalen Wirtschaft verhungern. Mit der ergänzenden,
lokalen Währung jedoch kann er meinen Salat anpflanzen,
den ich mit lokaler Währung bezahle. Ich habe
diese lokale Währung erworben, weil ich einem
Dritten Dienste geleistet habe.
In lthaca werden sogenannte
"lthaca Hours" - wie die lokale Währung
heißt - im Farmer's Markt akzeptiert.
Die Farmer können die lokale Währung dafür
nutzen, jemanden einzustellen, der bei der Ernte hilft.
Einige Hausbesitzer nehmen die "lthaca Hours"
auch als Miete, insbesondere, wenn sie keine
Hypotheken mehr in knappen Dollars abzahlen müssen.
Wenn Sie eine lokale Währung haben, stellt sich
schnell heraus, was lokal ist und was nicht. Der Supermarkt
wird nur Dollars akzeptieren. Seine Lieferanten sitzen
in Hongkong, in Singapur oder Kansas City. Aber lthaca's
lokaler Supermarkt nimmt "hours" genauso
gern wie Dollars. Durch die Verwendung der lokalen
Währung ebnen wir den Weg zu lokaler Nachhaltigkeit.
Sarah:
Lokale Währungen
bilden für die Gemeinschaften auch eine
Art Pufferzone gegen die Höhen und Tiefen
der globalen Wirtschaft. Sie waren aktiv im
internationalen Finanzgeschäft tätig
und haben sogar globale Finanzsysteme entworfen.
Warum sollte sich jemand davon isolieren wollen?
|
Bernard: Zunächst
einmal hat die heutige Geldordnung so gut wie nichts
mehr mit der realen Wirtschaft zu tun.
Nur um Ihnen eine
Idee davon zu vermitteln: 1995 weisen die Statistiken
aus, dass der Tagesumsatz der ausgetauschten Währungen
weltweit die Summe von 1,3 Billionen (1300 Mrd.) US-Dollar
beträgt. Dies
ist 30 Mal mehr als das tägliche Bruttosozialprodukt
aller entwickelten Länder der Welt zusammen.
Das jährliche Bruttosozialprodukt der USA
wird auf den Finanzmärkten in 3 Tagen erreicht.
Von diesem Finanzvolumen
werden nur 2-3% für die reale Wirtschaft (Handel,
Investitionen usw.) benötigt. Der
Rest wird verwendet im Spekulationsgeschäft des
globalen Cyber Casinos. Das bedeutet, dass die
reale Wirtschaft degradiert wurde zu einer
reinen Dekoration auf dem Spekulationskuchen,
eine genaue Umkehrung dessen, was noch vor 2 Jahrzehnten
galt.
Sarah:
Was hat das
für Auswirkungen? Was bedeutet das für
diejenigen von uns, die nicht an transnationalen
Geschäften über alle Grenzen hinweg
beteiligt sind?
|
Bernard:
Zunächst einmal,
die Macht hat sich unwiderruflich von den Regierungen
zu den Finanzmärkten verlagert. Wenn eine Regierung
etwas beschließt, was den Finanzmärkten
nicht gefällt, wie die Briten 1991, die Franzosen
1994 oder die Mexikaner 1995, dann setzt sich niemand
an einen Tisch und sagt "das sollten Sie aber
nicht tun". Es passiert einfach eine Finanzkrise
in der betreffenden Währung. Ein paar hundert
Menschen, die weder gewählt wurden noch irgendeine
kollektive Verantwortung tragen, entscheiden u.a.
wieviel Ihr Pensionsfond wert ist.
Sarah:
Sie haben
auch über die Möglichkeit eines crash
(Zusammenbruch) dieses Systems gesprochen.
|
Bernard: Ja,
ich sehe dies jetzt als eine 50/50 Chance innerhalb
der nächsten 5-10 Jahre. Viele Menschen sagen,
es sei 100 Prozent sicher und in einem viel kürzeren
Zeitraum. George Soros, der einen Teil seines
Lebensunterhaltes mit Währungsspekulationen verdient
(was ich auch mal getan habe) meint:
"Die Instabilität nimmt so sehr zu, dass
ein eventueller Zusammenbruch des freien Devisenaustausches
praktisch unvermeidbar ist".
Jose Kurtzmann,
der frühere Herausgeber der "Harvard
Business Review", benennt sein letztes Buch
"Der Tod des Geldes" und prophezeit
einen unmittelbar bevorstehenden Kollaps aufgrund
der exzessiven Spekulationen. So etwa könnte
es aussehen: Die Gesamtreserven aller OECD-Länder
zusammen belaufen sich auf 640 Milliarden Dollar.
In einer Krisensituation, wenn alle Zentralbanken
beschließen würden zusammenzuarbeiten (was
sie aber niemals tun werden), und wenn sie alle ihre
Reserven einsetzen würden, um die Krise zu meistern
(was sie ebenfalls niemals tun werden), hätten
sie doch nur Mittel in der Größenordnung
der Hälfte eines Tagesumsatzes der Finanzmärkte,
um die Währungen zu stabilisieren und zu kontrollieren.
An einem Krisentag könnte sich der Tagesumsatz
an den Finanzmärkten aber leicht verdoppeln oder
verdreifachen, so dass die Reserven sämtlicher
OECD-Zentralbanken nur für 2-3 Stunden reichen
würden.
Sarah:
Und was würde
dabei herauskommen?
|
Bernard: Wenn
das passiert, würden wir plötzlich in einer
anderen Welt leben. Im Jahre 1929 brach der Aktienmarkt
zusammen, aber der Goldstandard hielt und das Währungssystem
hielt. Hier aber handelt es sich um etwas, was
viel weitreichender ist. Das einzige historische Vorbild,
das mir bekannt ist, ist der Zusammenbruch des römischen
Reiches, das auch die römische Währung beendete.
Das war natürlich zu einer Zeit, als es noch
150 Jahre dauerte, bis das ganze römische Reich
untergegangen war. Heute würde es nur wenige
Stunden dauern.
Sarah:
Lokale Währungen
könnten also eine Art Bollwerk für
die Gemeinschaften bilden und ihnen helfen,
den Zusammenbruch der Währungen oder anderer
internationaler Zusammenbrüche zu überleben.
Sie haben auch erwähnt, dass lokale Währungen
helfen können, den Umweltschutz zu fördern.
Wo ist da die Verbindung?
|
Bernard: Um
dies zu verstehen, müssen wir das Verhältnis
der Zinsraten zu den Zukunfts-Abschlags-Erwartungen
betrachten.
Wenn ich frage: "Willst Du 100 Dollar jetzt oder
in einem Jahr?" Würden die meisten Menschen
sagen: "Jetzt", weil man dieses Geld risikolos
auf die Bank bringen kann und dann etwa 110 Dollar
ein Jahr später kassiert. Anders ausgedrückt:
Wenn ich Ihnen 100 Dollar in einem Jahr anbieten würde,
entspräche dies einem so genannten Barwert von
etwa 90 Dollar heute. Dieser Zukunftsabschlag wird
auch bei uns als "discounted cash flow"
bezeichnet. Das bedeutet, dass es bei dem jetzigen
Geldsystem Sinn macht, Bäume zu fällen und
das Geld auf die Bank zu bringen. Das Geld in
der Bank "wächst" schneller als die
Bäume. Es macht Sinn, schlecht isolierte Häuser
zu bauen, weil die Abschlagskosten des zusätzlichen
Energieverbrauchs niedriger sind als die bessere Isolierung
beim Hausbau. Man "spart" also Geld.
Wir können
aber auch ein Geldsystem einführen, durch das
das Gegenteil passieren würde. Es würde
ein langfristigeres Denken und Handeln bewirken durch
etwas, was ich als "Vorhaltekosten" oder
"Nutzungsgebühr" bezeichnen
möchte. Die Vorhaltegebühr ist ein Konzept,
das Silvio Gesell vor etwa 100 Jahren entwickelt
hat. Seine Idee war, dass Geld ein öffentliches
Gut ist - wie das Telefon oder der Busverkehr - und
dass wir eine kleine Gebühr bezahlen müssten,
wenn wir es benutzen. Mit anderen Worten, wir
schaffen eine negative statt einer positiven Zinsrate.
Was würde das bewirken? Wenn ich Ihnen
100 Dollar geben würde und Ihnen sagte, dass
Sie am Ende eines Monats 1 Dollar bezahlen müssten,
damit Ihr Geld gültig bleibt, was würden
Sie tun?
Sarah:
Ich denke,
ich würde versuchen, es irgendwo zu investieren.
|
Bernard: Sie
haben es erfasst. Sie kennen den Ausdruck "Geld
ist wie Dünger, es ist nur gut, wenn es verteilt
wird."
In dem System von
Silvio Gesell würden Menschen Geld nur als Tauschmittel
verwenden, aber nicht zur Anhäufung von Reichtümern.
Dadurch würde Arbeit entstehen, weil es den Geldumlauf
beschleunigen würde, und es würde den Anreiz
für kurzfristige Investitionen umkehren. Anstatt
Bäume zu fällen und das Geld in die Bank
zu bringen, würden Sie Ihr Geld lieber in Baumpflanzungen
stecken und eine gute Isolierung in Ihr Haus einbauen
lassen.
Sarah:
Ist dies jemals ausprobiert worden?
|
Bernard:
Ich habe nur drei
Epochen gefunden:
Das klassische Ägypten,
etwa dreihundert Jahre im europäischen Mittelalter
und einige wenige Jahre um 1930. Im alten Ägypten
bekam jemand, der Getreide lagerte, einen Gutschein,
der eingetauscht werden konnte und damit eine Art
Währung bildete. Wenn Sie nach einem Jahr mit
10 Gutscheinen zurückkehrten, bekamen Sie
nur Getreide im Wert von 9 Gutscheinen, weil Ratten
und Plünderung den Vorrat verringerten und weil
die Wächter des Getreides bezahlt werden mussten.
Dies wirkte wie eine Art Liegegeld. Ägypten war
damals der Brotkorb der antiken Welt, ein Geschenk
des Nils. Warum? Weil, anstelle der Aufbewahrung des
Reichtums in Form von Geld, jedermann in produktive
Anlagen investierte, die ihren Wert nicht verloren,
- so wurden z.B. Leistungen wie Landverbesserung im
großen Stil durchgeführt oder Bewässerungssysteme
gebaut.
Der Beweis,
dass dieses Geldsystem etwas mit dem Wohlstand zu
tun hatte, liegt darin, dass alles sofort beendet
war, als die Römer diese Getreidewährung
mit ihrer eigenen römischen Geldwährung,
bei der es positive Zinssätze gab, ersetzten.
Ägypten hörte bald auf, die Kornkammer der
Welt zu sein und wurde zu einem Entwicklungsland,
wie wir es heute nennen.
In Europa im Mittelalter
vom 10.-13. Jahrhundert wurden lokale Währungen
von den Fürsten ausgegeben und dann immer wieder
eingezogen und, versehen mit einer Steuer, neu herausgegeben.
Auch dies war eine Art von Liegegeld (Vorhaltegeld),
so dass es unattraktiv war, Geldreichtum anzuhäufen.
Das Ergebnis war
ein Aufblühen der Kultur, ein allgemeiner Wohlstand,
der genau in der Zeit herrschte, als lokale Währungen
verwendet wurden.
Praktisch alle Kathedralen wurden in dieser Zeit
gebaut. Wenn man bedenkt, was es für einen kleinen
Ort bedeutete, solche Kirchen zu bauen, dann ist das
eine gewaltige Leistung.
Sarah:
Weil es mehrerer
Generationen bedarf, um solche Kathedralen zu
bauen?
|
Bernard: Nicht
nur deswegen. Neben der offensichtlichen symbolischen
und religiösen Bedeutung, die - ich keineswegs
schmälern will - sollte man nicht vergessen,
dass Kathedralen eine bedeutende wirtschaftliche Funktion
hatten. Sie zogen Pilger an, die vom Wirtschaftsstandpunkt
gesehen die gleiche Rolle spielten wie heute die Touristen.
Diese Kathedralen wurden für die Ewigkeit gebaut
und schufen einen langfristigen Geldzustrom für
die Gemeinde. Dies war ein Weg, Wohlstand für
sich selbst und für 13 Generationen zu schaffen.
Der Beweis ist,
dass dies auch heute noch funktioniert: in Chartres
z.B. lebt die Mehrzahl der Einwohner immer noch von
den Besuchern der Kathedrale, die vor 800 Jahren gebaut
wurde.
Als die Erfindung
des Schießpulvers im frühen 14. Jahrhundert
die Fürsten in die Lage versetzten, ihre Macht
zu zentralisieren, war das Erste was sie taten,
das Monopol des Geldsystems durchzusetzen.
Was passierte? Es wurden keine Kathedralen mehr
gebaut. Die Bevölkerung war genauso fromm
im 14. und 15. Jahrhundert wie vorher, aber der Anreiz
für langfristige Investitionen war verloren gegangen.
Ich benutzte die Kathedrale nur als Beispiel.
Erzählungen aus dem 12. Jahrhundert berichten,
dass z.B. die Wartung von Mühlen und anderen
Produktionsstätten auf einem solch hohen Niveau
stand, dass mit der Erneuerung von Teilen begonnen
wurde, bevor sie kaputt gingen. Neueste Forschungen
haben ergeben, dass die Lebensqualität für
Arbeiter in Europa im 12. und 13. Jahrhundert am höchsten
war, wahrscheinlich sogar höher als heute. Wenn
man keine Ersparnisse in Form von Geld bilden kann,
investiert man es in etwas, das Werte in der Zukunft
bildet. Also diese Geldform produzierte den
unglaublichen Wohlstand.
Sarah:
Und doch war
diese Epoche der Höhepunkt des Christentums
in Europa, in der der Archetyp der Großen
Mutter völlig unterdrückt wurde.
|
Bernard: Interessanterweise
erlangte gerade in dieser Zeit ein religiöses
Symbol eine große Bedeutung: Die berühmte
schwarze Madonna. Es gab hunderte von diesen Madonnen
im 10.-13. Jahrhundert, die ursprünglich
Statuen der Göttin Isis mit ihrem Sohn Horus,
der auf ihrem Schoß sitzt, waren.
Diese Figuren wurden
von den ersten Kreuzrittern direkt aus Ägypten
importiert. Ihr spezieller waagerechter Stuhl wurde
"cathedra" genannt, (daher kommt
auch der Name Kathedrale), und interessanterweise
war es gerade dieser Stuhl, der im alten Ägypten
das Symbol für Isis war.
Die Statuen der schwarzen Madonna wurden im Mittelalter
auch identifiziert mit der Alma Mater, der "Großzügigen
bzw. Großen Mutter", ein Ausdruck,
der auch heute noch in vielen Ländern für
die Universität gebraucht wird.
Die schwarzen Madonnen waren direkte Nachfolgerinnen
der Großen Mutter in einer ihrer ältesten
Formen. Sie symbolisierte Geburt und Fruchtbarkeit,
den Reichtum des Landes. Sie symbolisierte den Geist,
der in der Materie inkarniert war, bevor die patriarchalen
Gesellschaften die Materie und den Geist voneinander
trennten.
Hier haben wir also
eine direkte archetypische Verbindung zwischen zwei
Kulturen, die beide ein Geldsystem mit Nutzungsgebühren
verwendeten und damit einen ungewöhnlichen Wohlstand
für alle Menschen erzeugten: das alte Ägypten
und das Europa des 10-13. Jahrhunderts. Diese
Verwendung dieser Geldsysteme korrespondiert genau
mit der Verehrung dieses Archetyps (Fruchtbarkeit,
Reichtum).
Sarah:
Sehen Sie
eine Möglichkeit, durch lokale Währungen
den Archetyp der Großen Mutter und damit
Überfluss und Großzügigkeit
in unserem Wirtschaftssystem heute zu stärken?
|
Bernard: Die
größten Probleme, die die Menschheit heute
zu lösen hat, sind die Ungleichheit und der Zusammenbruch
von sozialen Gemeinschaften, die Spannungen schaffen,
die sich zunehmend in Gewalt und Krieg entladen.
Wir können beide Probleme (Ungleichheit und
den Zusammenbruch von sozialen Gemeinschaften) durch
dasselbe Mittel lösen, in
dem wir bewusst Währungen schaffen, die Gemeinschaft
und Nachhaltigkeit fördern.
In den vergangenen
Jahrzehnten haben wir ein ganz klares Wiedererwachen
des weiblichen Archetyps erlebt. Das spiegelt
sich nicht nur in der Frauenbewegung, sondern auch
im dramatischen Anwachsen ökonomischer Anliegen,
in Bewegungen zur Integration von Geist und Materie,
aber auch in neuen Technologien, die uns erlauben,
Hierarchien durch Netzwerke (wie z.B. das Internet)
zu ersetzen.
Zählt man zu diesen Trends die Tatsache, dass
wir zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte im
Besitz von Produktionstechnologien sind, die niemals
da gewesenen Überfluss erschaffen können,
so ergibt sich daraus eine außerordentliche
Chance, beides - die Hardware, d.h. Technologien
des Überflusses, und die Software, d.h. den Wechsel
des Archetyps - zu verbinden. Solch eine Verbindung
war weder in diesem Maßstab noch mit der erreichbaren
Geschwindigkeit bisher möglich.
Sie erlaubt, uns bewusst ein Geldsystem zu schaffen,
welches für uns arbeitet, anstatt dass wir für
das Geldsystem arbeiten. Ich schlage vor, wir
entscheiden uns, ein Geldsystem zu entwickeln, das
es uns ermöglicht, Nachhaltigkeit zu erreichen
und die Heilung von Gemeinschaften auf lokaler und
globaler Ebene zu fördern. Diese Ziele sind im
Zeitraum von weniger als einer Generation zu erreichen.
Ob wir sie tatsächlich erleben, wird davon abhängen,
inwieweit wir fähig sind, miteinander zu kooperieren,
um unser Geldsystem bewusst neu zu erfinden.
OueIle:
|
YES
PO BOX 10818 - Bainbridge Island, WA 98710-0878
USA |
Literatur:
|
Silvio
Gesell, Die natürliche Wirtschaftsordnung |
Margrit
Kennedy, Geld ohne Zinsen und Inflation |
Creutz
Helmut, Das Geldsyndrom Wachstum bis zur Krise |
Hermann
Benles, Wer hat Angst vor Silvio Gesell? |
|