Der neue Mensch
im ersten und zweiten Jahrhundert
Eusebius von Caesarea
wird allgemein als der "Vater der Kirchengeschichtsschreibung"
angenommen. Er lebte ca. von 260 - 340 nach Christus.
Ungefähr um das Jahr 315 wurde er Bischof von
Caesarea. Im Jahre 324 wurde er von der Synode zu
Antiochia exkommuniziert, aber schon 325 in
Nicaea wieder rehabilitiert.
Er war der Sprecher
Kaiser Konstantins und daher gilt er mit diesem zusammen
als der Begründer der katholischen Kirche.
Eusebius versuchte,
als Historiker zu beweisen, dass die neue Kirche die
wahre Kirche schlechthin sei. Dazu galt es, die bisherige
Geschichte so zu ordnen, zu interpretieren oder auch
etwas zu erfinden, dass man alle Gegner der neuen
Kirche als gottwidrig einstufen konnte, ja sogar musste.
Aus historisch einwandfreien
Quellen wissen wir, dass im ersten Jahrhundert pythagoräische
Philosophen im östlichen Mittelmeerraum lebten.
Ihre Existenz und ihr Wert werden von solchen Historikern
bezeugt, die selbst kein Interesse hatten, diese Gruppe
besonders hervorzuheben.
Eusebius schreibt
nun im zweiten Buch seiner Kirchengeschichte, Kap.
16: "Markus soll als erster in Ägypten das
von ihm niedergeschriebene Evangelium gepredigt und
in Alexandrien selbst als erster Kirchen gegründet
haben.
So groß war schon beim ersten Beginnen die Menge
der daselbst gläubig gewordenen und in größter
Enthaltsamkeit und strengster Entsagung lebenden Männer
und Frauen, dass Philon ihr Leben, ihre Zusammenkünfte,
ihre Mahlzeiten und die ganze übrige Lebensführung
einer schriftlichen Darlegung würdigte.
Philons Berichte
Philon soll unter Claudius in Rom mit Petrus, als
er damals den Bewohnern predigte, verkehrt haben.
Dies dürfte nicht unwahrscheinlich sein. Denn
die Schrift, von welcher wir sprechen und welche Philon
später nach Jahren verfasst hat, enthält
offenbar Gemeinde-Vorschriften, welche noch heute
bei uns beobachtet werden. Da er das Leben unter Asketen
so deutlich wie möglich beschreibt, so dürfte
es auch klar sein, dass er die zu seiner Zeit lebenden
apostolischen Männer, welche, wie es scheint,
aus dem Judentum stammten und daher noch in echt jüdischer
Weise die meisten alten Bräuche beobachteten,
nicht nur kannte, sondern auch voll Bewunderung anerkannte.
In der Schrift, welche er betitelte "Das beschauliche
Leben" verwahrt er sich zunächst dagegen,
dass er seiner Darstellung über die Tatsachen
hinaus noch etwas aus eigenen Bräuchen und eigenem
Geist beifügte.
Lebensweise der
Therapeuten
Er berichtet sodann, dass man jene Männer Therapeuten
und die gemeinsam mit ihnen lebenden Frauen Therapeutriden
nenne. Diese Bezeichnung begründete er entweder
damit, dass diese Leute gleich Ärzten die Seelen
derer, die zu ihnen kommen, von der Sünde der
Leidenschaften (apoche) befreien, um sie zu heilen
und gesunden zu lassen, oder damit, dass sie Gott
in reinem lauterem Dienst verehren.
Ob Philon selbst ihnen
diese Bezeichnung beilegt, das heißt, sie ganz
ihrer Lebensweise entsprechend so benennt, oder ob
schon von Anfang an, als der Name 'Christen' noch
nicht überall verbreitet war, die Stifter selbst
tatsächlich diesen Namen gebrauchten, ist wohl
nicht zu erörtern.
Philon bezeugt vor allem von ihnen, dass sie auf Besitz
verzichteten. Er erzählt, dass sie, sobald sie
anfin-gen, sich ihrer Philosophie zu widmen, ihr Vermögen
an ihre Verwandten abtraten. Nachdem sie alle Sorgen
um das Leben abgeworfen hatten, verließen sie
die Mauern (ihrer Städte) und nahmen ihre Wohnungen
an einsamen Orten und in Gärten, da sie wohl
wussten, dass der Verkehr mit Andersgesinnten unnütz
und schädlich ist. Im mutigen, glühenden
Glauben lebten sie das Prophetenleben derer nach,
welche wohl schon dereinst in gleicher Weise als Asketen
gelebt hatten. In der als echt anerkannten Apostelgeschichte
ist nämlich berichtet, dass alle Schüler
der Apostel ihr Hab und Gut verkauften, um es an alle
unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des
einzelnen zu verteilen, so dass es unter ihnen keine
Armen gab.
Die Schrift sagt:
"Alle nun, welche Grundbesitz oder Häuser
hatten, verkauften dieselben und brachten den Erlös
und legten ihn zu den Füßen der Apostel,
so dass jedem gegeben werden konnte, was er brauchte."
Nachdem Philon ähnliches
berichtet hatte, fährt er wörtlich fort:
"Das Geschlecht (der Therapeuten) findet sich
an vielen Orten auf dem Erdkreis. Sowohl die griechischen
als die barbarischen Länder sollten an dem vollkommenen
Gut teilhaben. Stark vertreten ist es in Ägypten
und zwar in jedem der so genannten Distrikte (í)
vor allem in der Umgebung von Alexandrien.
Von allen Seiten her ziehen die edelsten Menschen
in die Heimat der Therapeuten, um sich anzusiedeln;
sie begeben sich an einen sehr günstigen Ort,
der jenseits des Mareiasees auf einer etwas sanften
Anhöhe infolge seiner Sicherheit und der Reinheit
der Luft sehr glücklich gelegen ist."
Nachdem Philon sodann
die Beschaffenheit ihrer Wohnungen beschrieben hat,
sagt er von den überall im Lande zerstreuten
Versammlungsräumen: "In jedem Haus ist ein
heiliges Zimmer, welches Heiligtum und Einsamkeit
genannt wird. Hier vollbringen sie in Abgeschlossenheit
die Geheimnisse ihres würdigen Lebens. Nichts,
weder Trank noch Speise noch sonst etwas, was für
den Unterhalt des Leibes notwendig ist, nehmen sie
mit sich hinein, sondern Gesetze, von Gott eingegebene
Worte der Propheten, Gesänge und anderes, wodurch
Weisheit und Frömmigkeit gefordert und vervollkommnet
werden."
Später fährt
er fort: "Ihre ganze Zeit zwischen Morgen und
Abend gehört der Askese. Sie treiben Philo-sophie
nach Art ihrer Väter, indem sie die heiligen
Schriften lesen und allegorisch erklären. Sie
halten nämlich die gebräuchlichen Worte
für Sinnbilder eines verborgenen Wesens, das
sich in Allegorien offen-bare. Sie besitzen auch Schriften
alter Männer, welche Urheber ihrer Richtung waren
und zahlreiche Denkmäler ihrer Art zu allegorisieren
hinterlassen haben. Sie benützen diese als Muster,
um ihre geistige Art nachzuahmen."
So spricht offenbar ein Mann, der es mit eigenen Ohren
hörte, wie sie die heiligen Schriften auslegten.
Die bei ihnen gebräuchlichen Schriften der Alten,
von denen Philon spricht, dürften wohl die Evangelien,
die Schriften der Apostel und wahrscheinlich Erklärungen
der alten Propheten sein, wie sie der Brief an die
Hebräer und noch mehrere andere Briefe des Paulus
enthalten.
Über ihre Dichtung
neuer Psalmen schreibt er sodann: "Sie geben
sich also nicht nur der Betrachtung hin, sondern verfassen
auch Gesänge und Hymnen auf Gott in verschiedenen
Versmaßen und Gesangsweisen; doch bedienen sie
sich hierbei, wie notwendig, nur würdiger Maße."
Zwar behandelt Philon noch viel anderes Einschlägiges
im gleichen Buch. Doch scheint es mir notwendig, nur
das zu erwähnen, was für das Gemeinde-Leben
charakteristisch ist. Wenn aber jemand glauben wollte,
die erwähnten Bemerkungen bezögen sich nicht
auf das evangelische Leben, sie könnten viel
mehr auch auf andere als die Genannten passen, so
möge er sich wenigstens durch die weiteren Worte
Philons belehren lassen, durch welche er, wenn er
klar denkt, ein unbestreitbares Zeugnis hierüber
erhält.
Enthaltsamkeit
als Grundlage
Philon schreibt: "Zunächst
pflanzen sie in ihre Seele die Enthaltsamkeit gewissermaßen
als Grundlage, um dann die übrigen Tugenden darauf
zu bauen. Vor Sonnenuntergang dürfte wohl keiner
von ihnen Speise oder Trank zu sich nehmen. Denn zu
philosophieren betrachten sie als des Lichtes würdig;
als der Finsternis würdig dagegen erklären
sie die Befriedigung des Körpers. Jenem widmeten
sie daher den ganzen Tag, dieser dagegen nur einen
kurzen Teil der Nacht. Einige, in denen ein besonderes
Verlangen nach Weisheit wohnt, denken erst nach drei
Tagen an Nahrung. Wieder andere sind durch die Weisheit,
welche reichlich und neidlos ihnen ihre Lehre spendet,
so sehr mit Freude und Wonne gesättigt, dass
sie gewohnt sind, noch einmal so lange zu fasten und
kaum alle sechs Tage die notwendige Nahrung zu sich
nehmen."
Unseres Erachtens
beziehen sich diese Redewendungen Philons deutlich
und unwidersprechlich auf unsere Religion. Wenn
aber jemand trotzdem noch hartnäckig widersprechen
sollte, dann möge er sich bekehren und überzeugen
lassen durch noch auffälligere Merkmale, welche
nirgends als nur in der christlichen, evangelischen
Religion zu finden sind. Wie nämlich Philon
erzählt, befinden sich in den erwähnten
Kreisen auch weibliche Personen. Die meisten
von ihnen waren bejahrte Jungfrauen, welche aber nicht
wie manche griechische Priesterinnen aus Zwang die
Jungfräulichkeit bewahrten, sondern vielmehr
in freiwilligem Entschluss aus eifrigstem Verlangen
nach Weisheit. Da sie mit der Weisheit zusammenzuleben
strebten, verachteten sie die fleischlichen Freuden
und verlangten nicht nach sterblichen, sondern
nach unsterblichen Nachkommen, welche nur
eine gottliebende Seele aus sich zu gebären vermag.
Etwas später
schreibt Philon noch deutlicher: "Die heiligen
Schriften werden von ihnen bildlich durch Allegorien
erklärt. Nach Meinung dieser Leute gleicht die
ganze Gesetzgebung einem lebenden Wesen, dessen Körper
der Wortlaut des Gesetzes, dessen Seele aber der in
den Worten verborgene geheime Sinn ist. Diese Schule
begann vor allem diesen Sinn zu betrachten; sie schaute
im Spiegel der Worte sich offenbarende übermäßige
Schönheit der Ideen."
Soll ich außerdem noch ihre gemeinschaftlichen
Zusammenkünfte, ihre einheitliche, aber von Männern
und Frauen getrennt ausgeführte Beschäftigung
erwähnen und ihre religiösen Übungen,
welche noch bis auf den heutigen Tag bei uns in Brauch
sind und welche sich bei uns besonders am Fest des
Erlöserleidens in Fasten, nächtlichen Wachen
und Betrachtungen des göttlichen Wortes zu äußern
pflegen?
Diese Übungen
beschreibt der erwähnte Schriftsteller genauso,
wie sie einzig und allein bei uns noch heute beobachtet
werden, in seiner Schrift. Er erwähnt die Nachtwachen
mit den frommen Übungen am großen Fest
und die bei uns üblichen Hymnen und berichtet,
dass, während ein einziger nach dem Takt würdevoll
vorsingt, die übrigen still zuhören und
nur am Schluss der Gesänge mit einstimmen; dass
sie an den genannten Tagen auf Stroh am Boden liegen,
sich, wie er ausdrücklich schreibt, vollständig
des Weines, aber auch jeglicher Fleischspeise enthalten
und nur Wasser und dazu Brot mit Salz und Ysop genießen.
Ferner beschreibt er die Art und Weise, in welcher
diejenigen, welche zur Verrichtung und Diensten in
der Gemeinde ( í ) und zu der allerhöchsten
Würde der Oberaufsicht ( ) erwählt worden
sind, ihres Amtes walten.
Wer hierüber noch genauere Aufschlüsse wünscht,
kann sie aus dem erwähnten Bericht Philons erhalten.
Jedem dürfte aber klar sein, dass Philon, als
er hierüber schrieb, an die ersten Verkündiger
der evangelischen Lehre und an die ursprünglichen
von den Aposteln überlieferten Bräuche dachte.
Beredt in der Sprache und reich an Gedanken, kühn
und hochstrebend in der Auslegung der göttlichen
Bücher, verfasste Philon mannigfaltige und verschiedenartige
Erklärungen der heiligen Schriften.
Zuerst
behandelte er der Ordnung und Reihe nach die Ereignisse
der Genesis unter dem Titel: |
|
"Allegorische
Auslegung der heiligen Gesetze" |
Dann
schrieb er Sonderuntersuchungen mit Fragen und
Antworten über wichtige Probleme der Bibel,
welchen er die entsprechende Überschrift
gab: |
|
"Untersuchungen
und Erklärungen zu Genesis und Exodus" |
Weitere
Spezialstudien sind: |
|
Zwei
Bücher über den Ackerbau |
|
Zwei
Bücher über die Trunkenheit |
Noch
andere Schriften (über die Genesis) mit eigenen
kennzeichnenden Titeln sind: |
|
Segenswunsch
und Fluch des Noe, als er nüchtern geworden
war |
|
Die
Sprachverwirrung |
|
Flucht
und Wiederfinden |
|
Zusammenkommen
um der Nachkommenschaft willen |
|
Der
Erbe der göttlichen Güter oder die Teilung
in gleiche, einander gegenüberliegende Stücke |
|
Die
drei Tugenden, welche Moses nebst anderen beschrieben
hat. |
|
Die Namensänderung
und der Grund dafür
|
In
der letzten Schrift weist er hin auf seine zwei
Bücher |
|
Über
die Testamente |
Ferner
verfasste er: |
|
Die
Auswanderung ... und: |
|
Das
Leben eines Weisen, der durch Gerechtigkeit vollendet
wurde |
|
Ungeschriebene
Gesetze |
Einen ausgezeichneten
Kommentar zu diesen Ausführungen von Eusebius
finden wir bei Robert Taylor: "The Diegesis".
Taylor (1784 - 1844) war einer der gebildetesten Menschen
seiner Zeit. Schon in der Volksschule konnte er jedes
Gedicht auf Anhieb auswendig aufsagen. Er war Priester
in der Anglikanischen Kirche und gleichzeitig Arzt.
Wegen seiner Veröffentlichungen, die die historischen
Fälschungen aufdeckten, war er mehrere Jahre
im Gefängnis. Sein Werk müsste jeder freie
Mensch kennen. Natürlich verhinderten die Sektierer,
dass sein Werk bekannt wurde, eben weil er ihnen bewies,
dass sie Sektierer waren.
Das Wort "Diegesis" kommt oft im NT vor
und bedeutet: das ursprüngliche Evangelium.
Robert Taylor beendete dieses Buch am 19. Februar
1829 im Gefängnis. Mir liegt die Ausgabe von
1894 vor, die in Boston erschien. Nach Taylor
beschäftigten sich noch viele mutige Forscher
mit der Frage der Fälschungen. Doch hat mich
besonders das Buch "Diegesis" bei meinen
folgenden Ausführungen inspiriert.
Eusebius zitiert in
seiner Kirchengeschichte Philon. Philon schrieb
etwa im Jahre 10 nach Christus. Und er sagte,
dass die weit verbreiteten Therapeutengruppen nach
alten "kirchlichen Vorschriften" lebten,
welche "noch heute (man bedenke zur Zeit Konstantins!)
bei uns beobachtet werden." Weiter sagt Eusebius,
dass Philon im Jahre 10 "die apostolischen Männer
kannte und auch voll Bewunderung anerkannte."
Jene Männer und Frauen,
die nach sehr alten Büchern und philosophischen
Traditionen lebten, wurden Therapeuten genannt, weil
sie gleich Ärzten, die Menschen von den
Leidenschaften
befreiten. Die so Gereinigten
dienten rein und lauter Gott. Eusebius weiß
weiter nicht, ob die Therapeuten von Anfang an so
hießen oder ob erst Philon sie so nannte und
dies im Jahre 10. Jene "apostolischen Männer"
haben also, nach Eusebius, einen sehr alten Ursprung.
Sie lebten an einsamen
Orten in Gärten. Dorthin zogen sie sich zurück,
um sich ganz ihrem Studium zu widmen. Es wird auch
gesagt, dass sie sich in die Wüste zurückzogen.
Lebten sie aber dennoch in Gärten, so mussten
sie in der Wüste Bäume angepflanzt haben.
Es wird ausdrücklich von ihnen gesagt, dass sie
sich der Fleischspeisen enthielten. Sie aßen
weder Lämmer, noch Schafe und natürlich
auch keine Heu-schrecken. Übrigens hätten
sie bei der Haltung von Schafen keine Gärten
anlegen können, da diese jedes aufkeimende Grün
sofort wegfressen.
"Sie lebten das
Prophetenleben derer nach, welche wohl schon dereinst
in gleicher Weise als Asketen gelebt hatten."
Jene Menschen, von Philon Therapeuten genannt, lebten
asketisch, d.h. sie hatten schöne, sportliche
Körper und trainierten ebenso für eine edle
Seele.
In der hellenistischen Welt wusste noch jeder, dass
ein guter Geist in einem schönen Körper
wohne. Das war nichts anderes als das alte pythagoreische
Ideal aller Propheten der damaligen Zeit. Aus anderen
Berichten wissen wir auch, dass die Essener ein sehr
hohes Alter erreichten, weil sie ihren Körper
und ihre moralischen und geistigen Fähigkeiten
übten. Propheten waren dann auch die Männer
und Frauen, die dem Volk den Willen des Schöpfers
deuteten. Sie übten die Gabe der Inspiration
aus höheren Welten bei besonderen Zusammenkünften.
"Unter ihnen gab es keine Armen", weil sie
alles miteinander teilten. Und so befiel sie auch
keine Existenzangst, keine Hungersnot und kein Neid.
Dagegen hatten sie sehr viel Zeit für die Dinge
auf die es im Leben ankommt.
Ausbreitung der
Therapeuten, Propheten, Essener
der später sogenannten (Ur)-Christen
Diese Therapeuten, Propheten, Essener, oder
wie sie später rückwirkend "Christen"
genannt wurden, waren schon im Jahre 10 in den
griechischen Ländern sehr verbreitet, und ebenso
in den nichtgriechischen. Es ist anzunehmen, dass
Philon sagen wollte, sie wären im ganzen römischen
Imperium heimisch.
Überall hatten sie ihre Prophetenschulen: in
Nordafrika, im heutigen Spanien, in Frankreich, in
Deutschland, im Balkan, in Kleinasien und in Palästina.
"Sowohl die griechischen als die barbarischen
Länder sollten an dem vollkommenen Gut teilhaben,"
sagt Philon und Eusebius zitiert ihn. Die Therapeuten
also hatten das vollkommene Gut ihrer Lebensweise.
Unter Kaiser Augustus war es nicht verboten, dieses
pythagoreisch-essenische Lebensideal zu verwirklichen,
und so verbreitete es sich gerade in der Zeit besonders
rasch. Auch heute noch würde sich diese Lebensweise
in alle Länder ausbreiten, wenn nicht die kirchliche
Ignoranz und das politische System des Materialismus
diese Verbreitung mit allen Mitteln verhinderte. Nicht
mal das Wissen, dass eine solche Lebensweise möglich
ist, kann ungehindert verbreitet werden.
Die Therapeuten waren
die Vorbilder, an denen sich das Volk orientieren
konnte in seiner Suche nach dem Glück und dem
Sinn des Lebens. "Von allen Seiten her ziehen
die edelsten Menschen in die Heimat der Therapeuten,
um sich anzusiedeln."
Wo liegt diese Heimat,
das Zentrum der Therapeuten? Es liegt sehr günstig,
sagt Philon: auf einer Anhöhe, wo die Luft rein
ist. Hinter dem See Mareotis erhebt sich die schöne
Oase mit Palmen, Johannisbrotbäumen, Dattelpalmen,
Feigenbäumen. Die Luft stinkt nicht nach
den Exkrementen von Kühen und Schafen. Kein Staub
liegt wie eine Dunstglocke über dem Therapeutenzentrum.
Im Gegenteil die Luft hier ist frischer als anderswo,
in den Bäumen nisten unbekümmert die Vögel,
denn die Therapeuten sind ihre Beschützer. Ihre
Lebensweise ist umweltfreundlich.
Arnold Toynbee,
der bekannte Historiker hat sie die beste Gemeinschaft
in der Geschichte genannt, und er kannte den Aufstieg
und den Niedergang vieler Nationen. Kein Wunder, wenn
sich "die edelsten Menschen bei den Therapeuten
ansiedeln" wollten. Ihre Siedlungen waren auch
vor Räubern und Seuchen geschützt, weil
sich die Siedler untereinander halfen und kannten.
Überall im Land
gab es Versammlungsräume. Diese Säle für
ihre Zusammenkünfte waren etwas Besonderes. Es
war ein geschützter Raum, in dem die Luft immer
rein gehalten wurde. Keine Speise durfte dort aufbewahrt
werden und es durfte auch nichts verzehrt werden.
Für das Abendmahl wurde ein anderer Raum benutzt.
Was geschah bei den Zusammenkünften? Es wurden
die Naturgesetze und die Gesetze des Lebens erklärt.
Man sang und man hörte die Worte der Propheten.
Die Propheten waren die Männer und Frauen, die
die besondere Gabe der Vermittlung zwischen Diesseits
und Jenseits besaßen. Die Heiligkeit des Versammlungsraumes
wurde genauso geschützt wie wir es von den Sitzungsräumen
der alten Ägypter her kennen oder von den modernen
Räumen der Spiritualisten.
Weil die Therapeuten
die Menschheit auf eine höhere Ebene heben wollten,
mussten sie im Kontakt mit der geistigen Welt sein.
Schon damals konnten sie beobachten, wie der menschliche
Geist sich irren kann, wenn er sich selbst überlassen
bleibt, oder sich überheblich dünkt, den
Willen Gottes selbst interpretieren zu können.
Wie spielte sich der
Tageslauf bei den Therapeuten ab? Sie übten den
ganzen Tag hindurch ihren Körper und ihren Geist.
Sie studierten die Philosophie nach der Art ihrer
Väter, in dergleichen Art wie auch Pythagoras
und Platon ihre Schüler angeleitet hatten. Sie
lernten nützliche Dinge für die Entwicklung
des Menschen in Form von Gleichnissen. Sie betrieben
einen anschaulichen Unterricht: denn Gleichnisse,
alle Allegorien und alle Geschichten, die sie besprachen,
waren auf die jeweilige Gegenwart bezogen.
In der Allegorie (Beispiel)
des Auszugs der Juden aus Ägypten lernten sie
zu verstehen, in welcher Sklaverei diese und mit ihnen
die damalige Menschheit lebten und wie man sich daraus
befreien konnte. Sie studierten die Ursachen der Krankheiten
und des Elends beim Volk, um ihm zu helfen. Sie lasen
und studierten mit Vorliebe solche Schriften, wo sie
etwas Praktisches lernen konnten. An der äußeren
Geschichte waren sie nicht interessiert, weil sie
sagten, die Vergangenheit ist vorbei und kann nicht
mehr geändert werden. Sie wollten nur in der
Wirklichkeit der Gegenwart leben.
Eusebius meint, dass die Therapeuten des Jahres 10
hauptsächlich die Evangelien, die Schriften der
Apostel und der alten Propheten studierten. Also hatten
die wichtigsten Philosophen der damaligen Zeit jene
Bücher in der Hand, die wir heute Evangelien
und Apostelgeschichte nennen. Etwa 50 Jahre bevor
irgendein Evangelium in der heutigen Form bestand,
wussten sie schon Bescheid. Sie schrieben auch selber
neue Psalmen und lebten voll in der neuen Zeit der
Wende.
Indem sie mit ihren Gemeinden im Mittelmeerraum verbunden
waren, wussten sie auch, wo größere Propheten
auftraten. Rasch griff diese Lebensweise um sich.
Besonders Flavius
Josephus weiß vieles über dieses Erwachen
zu berichten.
Gerechtigkeit als
die Tugend,
welche die Menschen aus ihrem Leid führt
Gerechtigkeit als
die Tugend, welche die Menschen aus ihrem Leid führt
In jedem Fall praktizieren
sie die Gerechtigkeit als die Tugend, die alle Menschen
zu einem Ideal führen könnte. Deswegen hatte
auch der "Lehrer der Gerechtigkeit" bei
den Therapeuten auch solch einen hohen Rang.
Die Pharisäer
kannten die Gerechtigkeit nicht. Sie besaßen
Geld und aus Geld machten sie mehr Geld, und das geschah
auf folgende Weise: die Armen bekamen Geld ausgeliehen,
wenn sie in Not waren. Die Pharisäer nutzten
aber die Lage aus, sie verlangten von ihren Gläubigern
mehr, als sie selbst gaben.
Dies war der Hintergrund
auf dem das Bild der Tauschwirtschaft gesehen werden
muss, von der im Evangelium die Rede ist: du darfst
nie mehr verlangen als du gegeben hast!
Es waren die Essener
mit ihrem Gerechtigkeitssinn die die ursprüngliche
Ordnung wieder ins Volk bringen wollten. Sie lehrten
und zeigten es im lebendigen Beispiel.
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