wichtige Botschaften zu unserer Zeit
FRANZ SUSMAN - KIRCHENHISTORIKER
Und die Erde wird neu erblühen



Plutarch
"Weise Männer sind leicht zu bewirten"


 

Plutarch: "Weise Männer sind leicht zu bewirten"

Plutarch (etwa 45 - 125) Er lehrte zur Amtszeit von Trajan Philosophie in Rom und war hochan-gesehen.
Zu jener Zeit ging die klassische Epoche der römischen Literatur, die unter dem Konsulat von Cicera begonnen hatte, zu Ende und es begann eine neue Epoche, in der die griechische Sprache und Literatur ihren Rang behauptete und immer mehr an Einfluss gewann. Es war wie eine Nachblüte der griechischen Geistesbildung, die sich in der Philosophie und der Redekunst ausprägte. Unter der großen Menge der Schriftsteller aus dieser Periode ragt Plutarch heraus. Dieser geniale Schriftsteller von hohem und edlem Charakter legte in seinen Schriften besonderes Gewicht auf Ethik.

Plutarch soll etwa 300 Schriften verfasst haben, die zum Teil philosophisch bzw. mehr historisch ausgerichtet waren. Es sind uns nur 125 davon erhalten geblieben. In diesen Schriften finden sich viele Stellen, die an die Ethik des Pythagoras anknüpfen. Ich zitiere aus den diätetischen Vorschriften, einem Gespräch zwischen Moschion und Zeuxippus:

Es wurde davon gesprochen, dass die einfachste Kost immer die gesundeste sei (Man müsse sich vor allem vor Überfüllung, Betäubung und Genusssucht hüten, wenn ein Fest, eine Bewirtung der Freunde, ein Gastmahl bei einem König oder einem Adeligen oder sonst ein Festmahl bevorstünde. Dann müsse man seinen Körper geradezu auf einen bevorstehenden Sturm vorbereiten, denn es sei schwer, sich bei solchen Festlichkeiten in den gewöhnlichen Grenzen zu halten, ohne unhöflich bei allen aufzufallen.
Damit sich aber nicht Feuer auf Feuer, Überfüllung auf Überfüllung und Wein auf Wein häufe, müsse man jenen feinen Scherz des mazedonischen Königs Philipp nachahmen, der bei einem üppigen Gastmahl, das ihm zu Ehren bereitet wurde, seinen Freunden insgeheim sagen ließ, ein jeder sollte ein Plätzchen für den Kuchen übrig lassen. Alle erwarteten den Kuchen und hielten sich von den anderen Speisen etwas zurück.

Plutarch

Er wurde 39 nach Chr. Geb. zu Chäronea in Böotien geboren. Unter Trajan's Regierung lehrte er in Rom Philosophie und bekleidete mehrere bürgerliche Ehrenämter.
Die klassische Zeit der römischen Literatur, die eigentlich unter dem Konsulat des Cicero begonnen hatte, neigte sich ihrem Ende zu und es begann die Zeit, wo griechische Sprache und Literatur ihre Überlegenheit behaupteten und eine immer weitere Herrschaft in der geistigen Welt gewannen; eine neue Nachblüte der griechischen Geistesbildung, die ihre Wurzel vorzugsweise in Philosophie und Redekunst befestigte. Unter der großen Menge von Schriftstellern aus dieser Periode ragte Plutarch hervor, ein genialer Schriftsteller, der sich den moralischen Reichtum des klassischen Altertums zu eigen gemacht hatte und namentlich in seinen Biografien einen Schatz von Wissen, einen großen streng sittlichen Gehalt entfaltete und den redlichsten Charakter offenbarte.

Er soll gegen 300 teils philosophische, teils historische Schriften verfasst haben, wovon 125 erhalten geblieben sind.

In seinen philosophischen und moralischen Schriften finden sich viel Stellen, welche Anklänge an die Ethik des Pythagoras enthalten und namentlich auf die unmenschenwürdige Diät hinweisen. Wir zitieren viele Namen durch Plutarch. Die von Porphyrius sind verloren.
In den diätetischen Vorschriften, einem Gespräch zwischen Moschion und Zeurippus (Ethica (Moralia) ed. Wyttenbach, Oxford 1795-1801. lib. XI.):

Es wurde davon gesprochen, dass die einfachste Kost immer die gesündeste sei; man müsse sich besonders vor Überfüllung und Genusssucht hüten, wenn ein Fest, eine Bewirtung der Freunde, ein Gastmahl bei einem König oder Vornehmen oder sonst ein unvermeidlicher Schmaus bevorstehe; man müsse alsdann seinen Körper gleichsam bei gutem Wetter auf den bevorstehenden Sturm zuschicken und erleichtern. Denn es sei schwer, sich bei solchen Gastmahlen und Schmausereien in den gewöhnlichen Schranken zu halten, ohne durch Unhöflichkeit allen lästig und beschwerlich zu werden.

Damit sich also nicht Feuer auf Feuer, Überfüllung auf Überfüllung und Wein auf Wein häufe, müsse man jenen feinen Scherz des macedonischen Königs Philipp nachahmen, welcher bei einem schwelgerischen Gastmahl, welches ihm bereitet wurde, seinen Freunden insgeheim sagen ließ, ein Jeder möchte ein Plätzchen für den Kuchen übrig lassen. Sie taten dies und schonten der aufgetragenen Speisen, in Erwartung des Kuchens; und so war das Mahl für alle hinreichend.

Sokrates hatte zuerst gemahnt, sich vor Speisen und Getränken zu hüten, die uns reizen, ohne Hunger zu essen und ohne Durst zu trinken. Er untersagte den Gebrauch derselben aber nicht geradezu sondern lehrte, man müsse sich nur im Notfalle dazu verstehen, gleich den Staatsmännern, welche die zu Schauspielen bestimmten Gelder zu Kriegszwecken verwenden.

Denn eine Speise von angenehmer Beschaffenheit darf nur in so weit genossen werden, als sie einen Teil der wirklichen Nahrung ausmacht. Man muss das Angenehme essen, wenn man nach dem Notwendigen hungert, aber nicht die Esslust nach einzelnen Dingen besonders erwecken, wenn das gemeine Bedürfnis schon gestillt ist. So wie das Tanzen für Sokrates eine angenehme Leibesübung war, so gereicht auch der Nachtisch denjenigen nicht zu Schaden, der ihn zur ordentlichen Mahlzeit macht.

Wenn seltene und köstliche Speisen aufgetragen werden, muss man eher eine Ehre in der Enthaltung als im Genusse suchen und deuten wie Simonides, welcher sagte, das Schweigen habe ihn niemals gereuet, wohl aber oft das Reden. So wird es auch uns nicht gereuen, ein Gericht auszuschlagen, oder statt des salernischen Weins (Kampanien Horaz) Wasser zu trinken; Wohl wird uns aber das Gegenteil gereuen.

Indessen darf man nicht bloß der Natur keine Gewalt antun, sondern muss auch, wenn man einmal dergleichen aus Not genießt, die Esslust immer wieder auf einfache Speisen richten, um der Gewohnheit und Übung willen.
Überzeugt, dass Schwelgerei und Üppigkeit vorzugsweise Empörungen und Unterdrückungen in den Staaten veranlassen, gab Krates, der Schüler des Diogenes, die scherzhafte Ermahnung: "Ziehe den Linsen nicht die leckeren Gerichte vor, damit du uns nicht in Aufruhr verwickelst." Ebenso muss jeder sich selbst ermahnen, den Linsen nicht leckere Speisen vorzuziehen, noch der Fische wegen Kresse und Oliven zu verschmähen, damit man dem Körper nicht Empörung und Unruhe verursache. Denn einfache Speisen erhalten die Esslust immer in den Schranken der Natur - die Künsteleien der Küche und Zuckerbäcker dagegen, diese arglistigen Gerichte und Gebäcke vermehren das Vergnügen ohne wirklichen Nutzen.
Ich begreife nicht, wie man diejenigen Weiber hasst, welche gegen ihre Männer Liebestränke und Zaubermittel gebrauchen und doch zugibt, dass Mietlinge und Sklaven unsere Speisen verzaubern und vergiften.

Den Athenern warf Demades vor, dass sie immer zur Unzeit kriegerisch wären und nach einer erlittenen Niederlage nur in schwarzen Kleidern Frieden schlössen. Ebenso denken auch wir nicht eher an eine mäßige und eingeschränkte Lebensweise, als bis wir uns von den Ärzten müssen brennen und bepflastern lassen. Auch alsdann suchen wir noch unsere Vergehen so viel wie möglich zu bemänteln und schieben, wie der Pöbel, die Schuld nicht auf die Unmäßigkeit und Leckerhaftigkeit, sondern auf die Luft, aber auf die ungesunde Gegend oder auf Landseuchen.

Für einen gesunden Körper schicken sich keine heftige, widerspenstigen und tobenden Begieren. Daher muss man einer ausschweifenden lüsternen Begierde widerstehen und ihr Klagen und drängen für lächerlich und kindisch halten. Man bedenke, dass die Esslust gestillt sein werde, sobald das Essen abgetragen worden ist, und dass die Begierde dann gelassen und ruhig den folgenden Tag erwarten wird.

Timotheus sagte, nachdem er beim Plato in der Akademie einem philosophischen und mäßigen Gastmahl beigewohnt hatte: "Wer beim Plato speist, der hat auch noch am andere Tage Lust, zu essen." Und von Alexander erzählt man, als die Königin Uda von Carien ihm Köche zugesandt, hätte er dieselben mit den Worten zurückgeschickt: er führe weit bessere Köche mit sich, für das Mittagsmahl den nächtlichen Marsch, für das Abendessen die dürftige Mittagsmahlzeit.

Allerdings können die Menschen auch durch Übermüdung, Erhitzung und Erkältung in Fieber verfallen. Allein wie der schwache Geruch der Blumen stärker wird, wenn man ihn mit Öl versetzt, ebenso gibt auch der Überfluss an Säften den äußerlichen Ursachen den Stoff: ohne diesen wäre nichts Schlimmes zu befürchten, sondern die äußerlichen Ursachen lassen sich gar leicht heben und zerteilen, begünstigt durch ein verdünntes Blut und einen freien Atem, welcher der Bewegung zu Statten kommt. Die überflüssige Menge von Säften aber pflegt, wie ein aufgerührter Schlamm, alles zu verunreinigen, zu verschlimmern und die Kur zu erschweren. Deshalb darf man den Leib nicht erst überladen und beschweren und alsdann wieder reinigen und ausspülen - so wie eifrige Schiffer aus Geiz zu viele Ladung in das Schiff nehmen, und nachher unaufhörlich das Gewässer auspumpen müssen - sondern man muss seinen Leib beständig in einem solchen Zustande halten, dass er sich wie Kork, vermöge seiner Leichtigkeit wieder emporheben kann, falls er ja einmal niedergedrückt wird.

Hauptsächlich hüte man sich vor der Unverdaulichkeit, welche vom Fleische herrührt, weil sie nicht bloß anfangs Beschwerden verursacht, sondern auch sehr üble Folgen zurücklässt. Am besten wäre es freilich, seinen Körper zu gewöhnen, dass er des Fleisches gar nicht bedarf. Die Erde bringt ja tausenderlei nicht bloß nahrhafte, sondern auch angenehme Dinge hervor, die man teils auf der Stelle ohne weitere Mühe genießen, teils auch durch Vermischung und mannigfaltige Zubereitung noch angenehmer machen kann.

Die Arzneien richten im Unterleib nichts als Zerrüttung an, verderben und lösen alles Vorhandene auf und erzeugen dadurch mehr schlechte Säfte als sie austreiben. Wer aus Verdruss über das griechische Gesindel, unter dem er lebt, die Stadt mit lauter Arabern und Leuten bevölkern wollte, der würde sehr lächerlich handeln; aber ebenso lächerlich handelt Derjenige, welcher sich, um den Körper zu reinigen, purgierende Körner und Kräuter und andere naturwidrige Arzneien, die eher selber einer Reinigung bedürfen, mit Gewalt einzwingt.

Vom Kaiser Tiberius wird erzählt, er habe einst gesagt: "Ein Mann, der über sechzig Jahre alt ist und sich noch vom Arzte den Puls fühlen lässt, macht sich lächerlich." Dies mag zu weit gegangen sein, aber das bleibt ausgemacht, dass ein Jeder Kenntnis haben müsse von der Beschaffenheit seines Pulses, von der Mischung der Wärme und Trockenheit in seinem Körper und von den Dingen, die ihm nützlich oder schädlich sind. Denn demjenigen würde alle Selbstkenntnis abgehen und er wohnte taub und blind in seinem Körper, der dieses erst von Anderen erfahren und den Arzt befragen wollte, ob er im Winter oder im Sommer gesunder sei; ob Feuchtes oder Trockenes besser zusage; ob er einen schnellen oder langsamen Puls habe. Solche Kenntnis ist nicht bloß nützlich, sondern auch leicht, denn man kann beständig Erfahrung machen oder darauf achten. Man muss wissen, unter den Speisen die nützlichen vor den schmackhafteren zu wählen, was dem Magen nützlich und was ihm schädlich ist, was die Verdauung nicht stört und was bloß zum Gaumenkitzel dient. Wenn man den Arzt fragt, was leicht oder schwer zu verdauen ist, was den Magen stärkt oder verderbt, so ist dies ebenso schimpflich, als ihn zu fragen, was süß, bitter oder sauer sei.

Die Lebensart, für die wir die
innere und äußere Freiheit ernten

In der Schilderung des Gastmahls der sieben Weisen (Ethica, lib. XIII.)
setzt Plutarch diese diätetischen Lehren noch weiter fort:

Sie scherzten bei Tafel miteinander. Indessen bemerkte ich, dass die Mahlzeit viel einfacher als gewöhnlich war und ersah daraus, dass die Bewirtung weiser und biederer Männer keineswegs einen größeren, sondern vielmehr einen geringeren Aufwand erfordere und alle Verschwendung an künstlichen Gerichten, ausländischen Leckerbissen und künstlichen Weinen überflüssig mache. Vormals pflegte Beriander sich solcher Verschwendung wegen seiner Reichtümer und Würden täglich zu bedienen, jetzt aber sucht er vor diesen Männern eine Ehre in einem mäßigen und geringen Aufwand. Ebenso machte er es auch mit seiner Gemahlin, die ihren gewöhnlichen Schmuck hatte ablegen müssen und in einer ganz einfachen, sittsamen Kleidung erschienen war.

Ich lobe den Epimedes, sagte Thales im Scherz, dass er sich nicht erst die Mühe machen will, sein Essen zu mahlen und zu kochen, wie Pittalus tuet. Hesiod ist es, der dem Epimedes zuerst die Anweisung zu solcher Speise gab, versetzte Solon, indem er ihn aufforderte, zu untersuchen, welchen Nutzen die Malven und Asphodillen gewähren (Hesiod, Werke und Tage, B. 41.), womit er wahrscheinlich sagen wollte, dass man der gefährlichen Schiffahrt und der mühsamen Feldarbeit überhoben sei, wenn man sich mit solcher einfachen Kost begnügte.
Meinst du, sagte Periander, Hesiod hätte dies sagen und nicht vielmehr uns die einfachsten und gesündesten Speisen empfehlen wollen, wie er ja bei jeder Gelegenheit die Sparsamkeit erhebt? Die Malve ist angenehm zu essen und der Stengel der Asphodillen ist süß: jene Speise, oder vielmehr Arznei, wird dagegen, wie ich höre, aus Honig, ausländischem Käse und vielerlei seltenen Samen bereitet. Würde, mit Hesiod zu reden, wohl die Arbeit der Ochsen und Last tragenden Männer rasten dürfen, wenn man alle diese Sachen zu unserer Nahrung anschaffen müsste? Es wundert mich sehr, mein Solon, dass dein Gastfreund, als er seine große Weihe in Delos empfing, nicht bemerkte, dass daselbst die Proben der ältesten Nahrung zum Denkmal in den Tempel gebracht wurden und unter anderem auch Malven und Asphodillenstengel. Diese rühmt Hesiod auch ohne Zweifel deswegen, weil sie einfach und gewöhnlich sind. - Nicht allein deswegen, sagte Anacharsis, sondern auch weil beide als die Gesundheiten unter allen Kräutern gerühmt werden.

In den Marimen (Ethica. Lib. XVI u. XVII.) von Königen und Feldherren und in den lakonischen Marimen führt Plutarch berühmte Muster von einfach und naturgemäßer Lebensweise auf.
Der ältere Cato sagte einst, als er öffentlich über Verschwendung und Üppigkeit redete: "Wie schwer ist es, zum Bauche zu reden, der keine Ohren hat!"

Agesilans sagte zu einem, der sich über seine und der Lacedämonier Mäßigkeit in Kost und Kleidung wunderte:

Für diese Lebensart, o Fremdling, ernten wir die Freiheit."

Jemand wollte ihn überreden, von dieser Strenge abzulassen, da er ja nicht wissen könne, ob das Schicksal ihm immer Gelegenheit dazu geben würde. Er versetzte: "Ich gewöhne mich so, damit ich in keiner Veränderung eine Veränderung suche."

Auch im Alter setzte er diese Lebensweise fort. Als man ihn einst fragte, weshalb er als Greis bei strengem Winter ohne Unterkleid ausginge, sprach er: "Damit die Jüngeren nachahmen, wozu ihnen die Ältesten und Könige ein Beispiel geben."

Die Bewohner der Insel Thasus bei Thracien schickten ihm, als er durch ihr Land kam, Mehl, Gänse, Früchte, Honigkuchen und viele andere Speisen und köstliche Getränke. Er nahm aber von allem nur das Mehl und befahl den Überbringern, das Übrige zurückzunehmen, da es ihm unnütz wäre. Als die Abgeordneten ihn inständig baten, es anzunehmen, so ließ er es unter die Zeloten verteilen und gab als Grund an:

"Männer, welche sich großer Taten befleißigten,
dürfen solches Naschwerk nicht annehmen.
Was für Sklaven eine Lockspeise ist,
das schickt sich nicht für Freie
."

Die Mahlzeiten der lacedämonischen Jünglinge waren sehr karg, denn sie sollten (nur?) ihren Hunger befriedigen und dadurch kühn und verschlagen werden; überdies wollte man sie auch gewöhnen, sich niemals zu überladen und im Notfall nur brauchbarer sein, wenn sie Beschwerden ertragen könnten, sondern sie würden auch mäßiger und enthaltsamer sein, wenn sie lernten, mit Wenigem lange auszukommen. Auch sollten sie mit der ersten besten Speise vorlieb nehmen, wenn sie keine Zukost hätten. Durch eine solche Lebensart, glaubte man, würde nicht bloß der Körper sich gesund erhalten, sondern auch einen schlanken Wuchs bekommen, indem der Atem, da er nicht durch übermäßige Speise in die Breite und Tiefe gedrückt werde, den Körper in die Höhe treibe und ihm ein schönes Ansehen gäbe. Denn eine schlanke, schmächtige Leibesbeschaffenheit befördert viel eher die Ausbildung der Glieder als eine dicke, fleischige, welche derselben durch ihre Schwere widersteht.
In den Tischreden von Plutarch findet sich ein Gespräch zwischen Ulysses, Kirke und Gryllus, worin nachgewiesen wird, dass die Tiere Vernunft haben. (griechische Fußnote auf Seite 239)

Gryllus bewegt den Ulysses, einzugestehen, dass die Seelen der Tiere zu Tugenden geeignet sind (insofern sie dieselben ohne Unterricht vollbringen), so die Natur die Saat aus einem unbebauten Feld aufwachsen lässt und dass sie die Tugenden sogar in höherem Maß besitzen als die weisesten unter den Menschen. Gryllus zeigt ferner, dass die Natur den Tieren, nicht aber den Menschen, Mut und Herzlichkeit verliehen habe; dass sie ferner durch ihre Begierden der Natur keine Gewalt antun, wie es bei den Menschen häufig vorkomme, dass überhaupt der Abstand von einem Tier zum anderen nicht so groß sei, wie sich die Menschen untereinander an Geist, Vernunft und Gedächtnis unterscheiden. Zum Schluss macht Gryllus auch die Folgerung: "Wie ein Baum nicht mehr und nicht weniger leblos ist als die anderen, sondern alle an Empfindlichkeit gleich sind, weil alle eine Seele haben; ebenso müsste auch unter den Tieren keines dümmer und ungelehriger sein als die anderen, da alle mit Verstand und Vernunft begabt wären, nur das eine mehr, das andere weniger."

Im 8. Buch der Tischreden wird über die Pythagorischen Symbole gesprochen und weshalb die Pythagoäer sich der Fische enthielten.
Es lasse sich schwer nachweisen, meinte Lucius, dass Pythagoras ein Etrurier gewesen sei; so viel aber sei sicher, dass er lange Zeit mit den ägyptischen Weisen Verkehr gehabt und vieles von ihnen angenommen habe, wie die priesterlichen Reinigungen. Dazu gehöre auch die Ablehnung der Bohnen. Denn Herodot erzähle (2. Buch, Kap. 37), dass die Ägypter weder säen noch ernten. So wissen wir auch - fuhr er fort, dass die Priester sich noch heute der Fische enthalten und, der Reinigung halber, auch den Gebrauch des Salzes vermeiden und keine Speise anrühren, die mit Meersalz vermischt ist.

Plutarch fügt hinzu: Man ersieht aus den Schriften der Alten und aus ihren Opfern, dass sie nicht nur das Essen sondern auch das Schlachten eines Tieres, das keinen Schaden anrichtet, als eine sündhafte und gottlose Handlung betrachten. Da sie aber durch die zunehmende Menge der Tiere bedrängt wurden - ihnen auch ein Orakel aus Delphi die Feldfrüchte zu schützen befahl - so fingen sie an, den Göttern zu opfern, aber noch immer mit Furcht und Bangigkeit. Daher brauchten sie auch von der Opferhandlung die Wörter "handeln" und "verrichten", weil sie das Schlachten eines lebendigen Geschöpfes als ein großes und schweres Geschäft ansahen. Auch noch jetzt darf ein Tier nicht eher geschlachtet werden, bis es mit dem Trankopfer begossen, durch ein Nicken mit dem Kopfe seine Einwilligung gegeben hat. So vorsichtig hütete man sich vor jeder Art von Ungerechtigkeit. Das Schlachten wurde anfangs nur aus Notwendigkeit eingeführt, so kann man es doch jetzt schwer abschaffen, da man Vergnügen am Fleischessen gefunden hat.
Anders verhält es sich mit den Seeltieren, da diese in einem anderen Element als wir leben und unseren Früchten keinen Schaden anrichten; der Fischfang sei daher nur ein Werk der Gefräßigkeit.

Die Pythagoreer aber hätten sich vorzugsweise der Fische enthalten, weil sie jede Ungerechtigkeit nicht nur gegen Menschen, sondern auch gegen alle unschädlichen Tiere vermieden.
Im 4. Buch der Tischreden handelt es sich um die Frage, ob eine vielfache Nahrung besser zu verdauen sei als eine einfache.

Der Unterschied der einfachen -
und der vielfachen Nahrung


Zu Gunsten der Letzteren spricht Philinus: Philon sagt uns ja bei jeder Gelegenheit, erstens, dass die wilden Tiere eine ganz einfache und einförmige Nahrung genießen und daher viel gesunder sind, als die Menschen; diejenigen dagegen, welche in Ställen eingeschlossen gefüttert werden, sind häufigen Krankheiten ausgesetzt und leiden an Verdauungsbeschwerden, weil sie eine gemischte und künstlich bereitete Nahrung erhalten. Zweitens sagt er, noch niemals sei ein Arzt so verwegen und neuerungssüchtig gewesen, dass er einem Fieberkranken eine vielfache Nahrung verordnet habe; in solchen Fällen werden nur einfache, leicht verdauliche Speisen ohne Fett gestattet. Jede Speise muss doch durch die Kraft der inneren Organe verarbeitet werden.

Einfache Farben färben die eingekochten Stoffe am leichtesten und kräftigsten; geruchloses Öl schickt sich am besten zur wohlriechenden Salbe. Ebenso lässt sich auch eine einfache Speise am leichtesten verdauen. Wenn aber vielerlei Stoffe, oft von entgegen gesetzter Beschaffenheit zusammenkommen, so geraten sie in Kampf und verderben und es geht damit wie mit dem gemischten und zusammengelaufenen Gesindel in einem Staate: sie gelangen zu keinem ruhigen, gleichförmigen Zustand, weil jedes sich mit dem Gleichartigen zu vereinigen strebt und die Verbindung mit dem Fremdartigen meidet.

Dieser Auseinandersetzung widerspricht Marlion, indem er bestreitet, dass die Tiere eine einfachere Nahrung genießen als die Menschen; von der Diät der Kranken lasse sich ferner kein Schluss ziehen, denn beim Gesunden werde die Verdaulichkeit der Speisen durch Körperübung und andere Umstände gefördert. Unser Körper bestehe aus verschiedenartigen Bestandteilen und bedürfe daher auch verschiedenartiger Stoffe, deren Eigenschaften eben durch die Verdauungskraft umgewandelt werden. Das Mannigfaltige sei angenehm und das Angenehme lasse sich auch leicht verdauen, wenn nur das Übermaß vermieden werde. Marlion schließt mit den Worten:
Solche Dinge hingegen, welche die Esslust nicht reizen, lassen sich schwer verdauen und treiben sich im Körper umher. Die Natur verwirft sie entweder ganz oder nimmt höchstens damit vorlieb, wenn ihr nichts Besseres geboten wird. Übrigens sind unter Mannigfaltigem keineswegs jene aus vielerlei Stoffen zusammengesetzte Pasteten und Brühen zu verstehen, welche ganz überflüssig und entbehrlich sind. Aber auch Platon gestattet seinen braven und edlen Bürgern verschiedene Speisen, indem er ihnen Zwiebeln, Oliven, Kohl, Käse und allerhand andere Gerichte vorsetzt, ihnen nicht einmal den Genuss des Zuckergebäcks untersagt.

Erste Rede
eine beredte Anklageschrift gegen das
karnivore Menschengeschlecht

Höchst wichtig sind Plutarch's 2 Abhandlungen über das Fleischessen, eine beredte Anklageschrift gegen das karnivore Menschengeschlecht, worin er in ergreifender Rede die barbarischen Greuel des Schlachthauses und die aus dem Fleischgenusse entspringenden Übel schildert.

Du fragst mich, aus welchem Grunde wohl Pythagoras sich des Fleischessens enthalten habe:

ich dagegen möchte wohl wissen, welche Leidenschaft, welche Seelenverfassung oder welcher Grund zuerst den Menschen verleitet haben möge, Blut mit dem Mund zu berühren und das Fleisch eines toten Tieres an seine Lippen zu bringen; wie er darauf verfiel, Leichname als Zukost oder Speise auf seine Tafel zu setzen und Glieder zu verzehren, welche kurz vorher noch brüllten, schrieen, sich bewegten und sahen; wie er den Anblick ertrug, das arme Tier schlachten, abhäuten und zerstückeln zu sehen; wie die Nase den üblen Geruch davon ertragen konnte und wie es dem Gaumen nicht vor der Verunreinigung ekelte, fremde Geschwüre zu berühren und den Eiter aus tödlichen Wunden zu saugen.
Wenn es heißt:
Ringsum krochen die Häute, es brüllte das Fleisch an den Spießen. Rohes zugleich und gebratenes und laut wie Kindergebrüll scholl's. (Olyssee, XII. 395)

So ist das allerdings nur eine Fabel und Erdichtung. Aber ein schauerliches Gastmahl muss es doch gewesen sein, da man nach Tieren hungerte, die noch brüllten; da man ein Beispiel gab, wie noch lebende und schreiende Tiere sich verzehren ließen, und anordnete, wie sie bereitet, gebraten und aufgetragen werden sollten. Man müsste also nach dem fragen, der das zuerst anfing, nicht nach dem, der es später wieder unterließ.

Griechischer Text Opp. Lips. 1866. V. pag 507, Latein. De Esu Carnium part 1 u. 2. - Welche Stellung unsere Philologen, Physiologen und philosophische Kulturhistoriker von jeher gegen den Lehrsatz gefasst haben, den wir in dem vorliegenden Werk als Basis der ethischen Fortbldung des Menschengeschlechts darlegen: das beweist der Umstand, dass diese beiden Abhandlungen des Plutarch ganz unbeachtet blieben, 1797 zum ersten Male in's Deutsche übersetzt erschienen und dass bei dieser Gelegenheit der Übersetzer, Professor Kaltwasser sie für eine vermutliche Jugendarbeit und "Übungs-Deklamation" des Plutarch erklärt, indem darin bewiesen werde, dass der Mensch sich des Fleisch-Essens gänzlich enthalten müsse.

Allerdings lässt sich annehmen, dass die Menschen, die zuerst Fleisch zu essen wagten, durch Mangel und Not dazu bewogen wurden. Denn diese Menschen waren noch nicht so sehr von unerlaubten Begierden beherrscht, lebten auch nicht in solchen Überfluss, dass sie aus bloßem Übermut auf jene seltsame und unnatürliche Lust verfallen wären; sie könnten im Gegenteil, wenn sie in jetziger Zeit Bewusstsein und Sprache bekämen, uns zurufen: "O, ihr seligen, beglückten Menschen, ihr Günstlinge der Götter! In welchem glücklichen Zeitalter seid ihr geboren! Welches Überflusses an allen Arten von Gütern könnt ihr genießen! Wie vieles wächst euch zu! Welchen Reichtum könnt ihr von den Fluren, welche Wonne von den Pflanzen ernten! Es ist euch vergönnt, etwas vom Leben zu haben, ohne euch zu besudeln; aber unser Leben fiel gerade in die traurigste und schrecklichste Zeit, wo die Schöpfung noch neu war und wir mit dem äußersten Elend und Mangel zu kämpfen hatten.

Noch war der Himmel durch düstere Luft verborgen, die Sterne noch mit trüber, undurchdringlicher Feuchtigkeit, mit Feuer und tobenden Stürmen umhüllt. Die Sonne hatte noch nicht ihren bestimmten unveränderlichen Lauf; sie schied weder die Morgenröte von der Abenddämmerung, noch brachte sie die Wiederkehr der wechselnden Jahreszeiten, geschmückt mit fruchtreichen Ährenkränzen. Durch das Austreten schrankenloser Stürme war die Erde verwüstet, viele Gegenden waren durch brausende Gewässer entstellt oder durch Sümpfe, unfruchtbare Gebüsche und Waldungen verwildert. Man konnte nicht daran denken, genießbare Früchte zu erzeugen: es gab keine künstlichen Werkzeuge und Maschinen. Der Hunger gönnte dazu keine Zeit und wenn selbst das Säen bekannt gewesen wäre, so ließ sich doch nicht auf die gewisse Rückkehr der Jahreszeiten rechnen, welche die Reife zu fördern hatten. So ist es kein Wunder, wenn wir uns, der Natur zuwider, des Tierfleisches bedienten, da man sogar Schlamm aß, Baumrinden benagte und es für ein großes Glück schätzte, grünes Gras oder eine saftige Wurzel zu finden. Die Menschen, welche Eicheln oder Buchenecker zu kosten oder zu essen fanden, tanzten vor Freude um den Eichenbaum oder die Buche und nannten den Baum einen Vater des Lebens und einen Ernährer. Das war das einzige Fest, welches die Menschen jener Zeiten kannten; alles Übrige war traurig, unlustig und schmerzensvoll. Aber welche Wut treibt denn euch zur Mordsucht an, bei dem jetzigen Überfluss? Warum lügt ihr, die Erde sei nicht im Stande, euch zu ernähren? Was bewegt euch, die Gesetzgeberin Gottes so zu beleidigen und den holden, liebreichen Bacchus so zu beschimpfen, als bekämet ihr von beiden keine hinlängliche Nahrung? Schämt ihr euch nicht, die milden, genießbaren Früchte mit Blut und Mord zu verunreinigen? Ihr nennt Schlangen, Panther und Löwen grausam, und mordet doch selber ohne Scheu und stehet ihnen an Grausamkeit nicht im Mindesten nach. Denn Jene morden, um sich zu ernähren, ihr aber bloß der Schwelgerei wegen."

Wir essen freilich keine Löwen und keine Wölfe, um uns an ihnen zu rächen. Derartige Tiere lassen wir in Ruhe: aber die unschädlichen und zahmen, die weder Stacheln noch Zähne haben, uns zu verletzen, fangen und töten wir: Tiere, welche die Natur wirklich nur der Zierde und Schönheit wegen hervorgebracht zu haben scheint.

Nichts vermag uns zu rühren, weder die Schönheit der Farben noch die Anmut der melodischen Stimme, noch die geistige Fähigkeit, weder die saubere, reine Lebensart noch die vorzügliche Klugheit der armen Tiere. Um eines Bissen Fleisch willen rauben wir ihnen Seele, Sonne, Licht und Leben, zu deren Genuss sie doch geschaffen und bestimmt sind. Ist ihr Geschrei, ihr Girren, das wir für eine unverständliche Stimme halten, nicht eine flehentliche Bitte und eine Mahnung, welche uns sagt: "Ich habe nichts gegen deine Bedürfnisse, aber gegen deine Schwelgerei. Töte mich immerhin, wenn du dich nähren musst, morde mich aber nicht, um deinen Genuss zu erhöhen!" Welche Grausamkeit! Es ist schon grässlich, die Tafel der reichen Leute zu sehen, die von Fleischern und Köchen mit Leichnamen besetzt wird: aber noch größeren Abscheu erregt es, die Tafel wieder abtragen zu sehen. Denn es bleibt immer mehr übrig, als verzehrt worden ist.

Manche scheuen sogar das aufgetragene Fleisch, indem sie es nicht aufschneiden oder zerstücken lassen: der lebenden Tiere aber wollen sie nicht scheuen (Anmerkung Regina: in Frankreich ist es ein beliebter "Fress-Sport" unter den Reichen, lebenden Affen die Köpfe aufschlagen zu lassen, um das Gehirn frisch herauszulöffeln).

Die Ausflucht:
"Der Mensch sei von Natur zum Fleischesser bestimmt"

Wir wollen nun die Ausflucht jener Leute betrachten, welche behaupten, der Mensch sei von der Natur zum Fleischessen bestimmt. Dass der Genuss des Fleisches dem Menschen nicht natürlich ist, zeigt sich schon zuerst in der Einrichtung und dem Bau seines Körpers. Denn der Leib des Menschen hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Tieren, die zum Fleischessen bestimmt sind. Er ist nicht versehen mit gebogenem Schnabel, nicht mit scharfen Krallen und spitzigen Zähnen, nicht mit der Stärke des Magens und der inneren Wärme, welche die schweren Fleischspeisen verwandeln und verdauen kann. Die Glätte der Zähne, die Kleinheit des Mundes, die Weichheit der Zunge und die schwache Verdauungskraft beweisen hinlänglich, dass die Natur uns von vorn herein nicht zu Fleischessern bestimmte. Behauptest du dennoch, du seist zu solchen Speisen geschaffen, so töte selber eigenhändig, was du verzehren willst, aber ohne ein Schlachtmesser, eine Keule oder ein Beil zu gebrauchen, so wie Wölfe, Bären und Löwen die Tiere töten, die sie fressen. Erwürge einmal einen Stier durch einen Biss, oder zerreiße ein Schwein, ein Lamm, einen Hasen mit dem Rachen und verzehre, wie jene, deine Beute noch halb lebend! Wartest du aber, bis das Tier, das du essen willst, eine Leiche geworden ist, schreckt dich die noch im Fleisch wohnende Seele zurück, weshalb isst du dann, der Natur zuwider, was eine Seele hat?

Aber auch das entseelte und tote Tier isst niemand so, wie es ist, sondern es muss erst gesotten, gebraten, durch Feuer und Gewürze verwandelt und der Mord durch tausenderlei Brühen versteckt und verwischt werden, damit der getäuschte Geschmack das Widernatürliche ohne Widerwillen annehme.
Treffend war die Antwort jenes Lacedämoniers. Als er sich in einem Wirtshaus einen Fisch kaufte und der Wirt zur Zubereitung Käse, Essig und Öl verlangte, rief er aus: Ei, wenn ich das hätte, so brauchte ich keinen Fisch zu kaufen." Wir hingegen schweifen in der Mordlust dermaßen aus, dass wir das Fleisch nur eine Zukost nennen und alsdann zum Fleisch wieder andere Zukost gebrauchen, indem wir Öl, Wein, Honig, Salzlake, Essig, syrische und arabische Gewürze dazu mischen und es wie einen wirklichen Leichnam einbalsamieren. Das Fleisch, welches auf diese Weise aufgelöst, erweicht und gewissermaßen in Fäulnis geraten ist, lässt sich äußerst schwer verdauen, und selbst wenn der Magen stark genug ist, es zu bewältigen, so verursacht es dennoch oft Unverdaulichkeit und andere unangenehme Beschwerden
O.C 412 + 323 Kyniker, Schüler des Antiochones 455-36? D. Laertios und des tollgewordenen Sokrates?

Diogenes wagte es, einen Tintenfisch roh zu verzehren, um die Zubereitung durch Kochen entbehrlich zu machen. Da viele Priester und andere Leute herum standen, hüllte er sich in seinen Mantel, hielt ein Stück Fleisch vor den Mund und rief: "Seht, um euretwillen setze ich mich der Gefahr aus!" - Wahrlich, eine rühmliche Gefahr! Denn der Philosoph wagte sein Leben nicht, wie Pelopidas für die Freiheit der Thebaner, nicht um der Athener willen, wie Harmodius und Aristogeiton, sondern er kämpfte mit einem rohen Tintenfisch, um das menschliche Leben zu der vorigen Urnatur zurückzuführen.
Das Fleischessen widerstrebt aber nicht bloß der Natur unseres Körpers, sondern es macht auch die Seele dumm durch Überladung.

Durch Wein und reichlichen Fleischgenuss wird zwar der Körper stark und kräftig, aber die Seele wird entkräftet; und um mich nicht mit den Athleten zu verfeinden, will ich unsere Landsleute als Beispiel anführen. Früher nannten die Athener uns Böotier dumme und gefühllose Dickköpfe, vorzugsweise wegen der Gefräßigkeit. Andere nannten uns böotische Schweine und Menander hieß uns: die mit den tapferen Kinnbacken. Pindarus sagt in der 6. Sieges-Hymne: "Auf, treibe deine Genossen, Aeneas, damit wir der alten Schmähung entgehen, die uns böotische Eber schimpft."

Eine dürre Seele ist die weiseste, meint Heraklit: Leere Fässer klingen, wenn man daran schlägt: die vollen aber antworten nicht auf die Schläge. Dünne kupferne Gefäße verbreiten einen Schall weithin, bis man die Schwingung durch Auflegen der Hand dämpft. Ein Auge, das mit zu viel Feuchtigkeit angefüllt ist, wird dunkel und untauglich zum Sehen. Sehen wir die Sonne durch eine feuchte, mit dicken Dünsten angefüllte Luft, so erscheint sie uns, anstatt in reinem Glanz, nur in düsterem, nebligem und gebrochenem Licht. Durch einen dicken, übersättigten und mit fremdartiger Nahrung angefüllten Körper muss auf gleiche Weise die Heiterkeit, das Licht der Seele, in dem Maß geschwächt und verdunkelt werden, dass sie alle Kraft verliert, über seine und schwierige Dinge richtig zu denken.

Wenn wir aber auch dieses Alles nicht hervorheben wollen, in Anschlag bringen wollen, ist nicht die Gewöhnung zur Menschenliebe etwas herrliches und Bewundernswertes? Denn wer würde einen Menschen kränken wollen, der mild und liebreich gesinnt ist gegen fremde Geschöpfe, die mit ihm in seiner Verbindung stehen? Ich bemerkte schon in meinem Vortrag über Xenokrates, dass die Athener einst jemanden bestraften, weil er ein Schaf lebendig geschunden hatte. Ein lebendiges Tier martern ist aber in meinen Augen nicht streitbarer, als es zu töten und des Lebens zu berauben. Wie es aber scheint, so haben wir nicht Empfindung für das Gewohnheitsmäßige, als für das Naturwidrige.

Die bisher angeführten Gründe sind freilich etwas gewöhnlich und bekannt, aber ich trage Bedenken, in meiner Rede den geheimnisvollen und erhabenen Ursprung jenes Lehrsatzes über das Enthalten vom Fleischessen zu berühren, in der Weise, wie der Steuermann das Schiff im Sturm bewegt oder wie der Dichter auf dem Theater plötzlich vermittelst einer Maschine einen Gott erscheinen lässt: denn dieser Ursprung würde stumpfsinnigen und - wie Platon sagt - nur auf das Vergängliche gerichteten Menschen unglaublich erscheinen. Ja dessen ist es vielleicht nicht ganz überflüssig, wenn ich mich vorläufig auf jene Stelle des Empedokles (490-430 - 4 Ehemaliges Werden und Vergehen) berufe, wo er in Sinnbildern erzählt, dass die Seelen an sterbliche Körper gefesselt werden, zur Strafe dafür, dass sie gemordet, Fleisch gegessen und einander verzehrt haben.

Diese Erklärung scheint aber weit älter zu sein als Empedokles, dem die Fabeln von der Zerstückelung des Bacchus, von den Vergehen, welche die Titanen an ihm begingen, von ihrer Bestrafung und Zerschmetterung durch den Blitz, weil sie von seinem Leichnam gegessen hatten, - dies alles sind nur eine dunkle Anspielung auf die Wiedergeburt: denn das Unvernünftige, Ungeordnete und Gewaltsame in uns, das nicht göttlichen Ursprungs ist, nannten die Alten "Titanen" und dies ist es, was gestraft und gezüchtigt wird.


Zweite Rede

Die Wichtigkeit der Sache erfordert es, zu der angefangenen Untersuchung über das Fleischessen mit neuem, frischen Eifer und Nachdenken zurückzukehren: denn, wie Cato sagte: es ist schwer, zu Bäuchen zu reden, die keine Ohren haben. Wir alle haben aus dem Becher der Gewohnheit getrunken, der, wie der Weinmost der Circe mit Betrug, mit Jammer und Weh und Schmerzen gemischt ist (Odyssee 10, 230), und die Angel des Fleischgenusses ist durch die Lüsternheit so tief eingedrungen und steckt so fest, dass sie sich nichtleicht herausziehen lässt.

Freilich wäre es gut, wenn wir, so wie die Ägypter dem Verstorbenen bei Sonnenschein den Leib aufschneiden und die Eingeweide als Ursache aller Sünden wegwerfen, uns selber die Gefräßigkeit und Mordsucht wegschnitten und künftighin ein reines unschuldiges Leben führten. Denn der Bauch ist keineswegs der Sitz der Mordbegierde, sondern wird nur durch unsere Unmäßigkeit damit verunreinigt. Wenn es jedoch ganz unmöglich wäre, jene Sünde gänzlich zu vermeiden, so wollen wir dieselbe wenigstens aus Scham auf eine vernünftige Art begehen. Wenn wir Fleisch essen, so geschehe es aus Hunger, nicht aus Völlerei; wenn wir Tiere töten, so geschehe es mit Bedauern und einem Gefühl des Mitleids, nicht aus Mitwillen und unter grausamen Worten, wie es heute vielfach stattfindet.

Denn Einige stoßen den Schweinen glühende Bratspieße in die Gurgel, damit das im Körper verbrei-tete Blut durch das heiße Eisen gelöscht und das Fleisch zarter und weicher werde; Andere treten den trächtigen Säuen, die bald gebären würden, mit Gewalt auf das Euter, um Blut, Milch und den Eiter von den getöteten Jungen unter einander zu mischen und alsdann - welch ein Greuel! - diese entzündeten Teile des Tieres zu verzehren. Noch Andere nähen den Kranichen und Schwänen die Augen zu, sperren die Tiere ein, mästen sie in der Finsternis und suchen durch Fasten (für die Tiere) und allerlei gemischte Kost das Fleisch zu Leckerbissen zu machen. Daraus ergibt sich deutlich, dass man das Unrecht zu einem Vergnügen macht, nicht der Nahrung wegen sondern aus Übermut, Gaumenkitzel und Schwelgerei.

So wie sich die Wollust, wenn sie sich mit dem natürlichen Genuss nicht begnügt, alles versucht und zuletzt in die schändlichsten Ausschweifungen verfällt, so hat auch die Unmäßigkeit im Essen den natürlichen und notwendigen Zweck überschritten und die Esslust vermehrt durch Grausamkeit und Verbrechen. Die Sinneswerkzeuge teilen einander ihre Krankheit mit und sobald eines aus den natürlichen Schranken gewichen ist, so werden auch die anderen leicht zu Ausschweifungen und Vergehen hingerissen. Auf diese Weise hat ein krankes Gehör die Musik verdorben und das verweichlichte Gefühl schändliche Betastungen und Kitzel eingeführt. Ebenso erfreut sich das Gesicht nicht mehr an kriegerischen Tänzen oder an künstlichen Gebärden und Pantomimen, nicht an Bildsäulen und Gemälden, sondern macht Blut und Tod von Menschen, Wunden und mörderische Kämpfe zu einem ergötzlichen Schauspiel. So folgen auf schwelgerische Tafeln schamlose Vergewaltigungen, auf schändliche Ausbrüche der Wollust unsittliche Belustigungen des Gehörs, auf unzüchtige Gesänge und Unterhaltungen unnatürliche Schauspiele, und auf die grausame Augenlust endlich Härte und Gefühllosigkeit gegen andere Menschen.

Aus diesem Grunde verordnete der göttliche Likurg (Sparta 11-8, Herodot) in den Gesetzen, dass die Türen und Decken der Häuser bloß mit Säge und Beil gearbeitet und keine andern Werkzeuge dazu gebraucht werden sollen: damit wollte er nicht die Bohrer, Hobel und andere nützliche Arbeitsgeräte verbannen, sondern er beabsichtigte, dass durch solche Türen kein mit Gold ausgelegtes Ruhebett getragen würde, dass man in ein einfaches Haus nicht silberne Tische, purpurne Teppiche und kostbare Steine brächte und dass ein Haus, Bett, Tisch, Becher von schlichter Art auch zu einem einfachen Abendessen und einem gewöhnlichen Mittagstisch führen werde. Dem Anfang zur ausschweifenden Lebensart folgt gar bald die ganze Üppigkeit und Schwelgerei nach, wie ein säugendes Füllen der Mutter folgt.

Wo gäbe es jetzt noch ein kostbares Gastmahl, wobei nicht irgendein beseeltes Geschöpf ums Leben gebracht würde? Halten wir denn eine Seele für einen so geringen und unbedeutenden Aufwand? Ich will nicht sagen, vielleicht die Seele des Vaters, der Mutter, eines Freundes oder eines Kindes, wie Empedokles behauptete, aber doch immer eine Seele, welche Empfindung, Gesicht, Gehör, Vorstellungskraft und Verstand besitzt, womit die Natur jedes Tier versehen hat, damit es suche, was ihm dienlich, und fliehe, was ihm schädlich ist.

Überlege einmal, welche Philosophen uns menschlicher und sanftmütiger machen!

Diejenigen, welche uns lehren, unsere verstorbenen Kinder, Freunde, Eltern und Gattinnen zu essen; oder vielmehr Pythagoras und Empedokles, die uns gewöhnen auch gerecht zu sein gegen Arten von Geschöpfen? Du lachst über denjenigen, der nicht von einem Schaf essen will; Jene aber werden sagen: Wir können nicht lachen, wenn wir sehen, dass einer von seinen verstorbenen Eltern Stücke abschneidet, sieden abwesenden Freunden zuschickt und die gegenwärtigen einlädt, von dem aufgetragenen Fleisch reichlich zu essen!

Wir verständigen uns vielleicht schon, wenn wir die Schriften jener Philosophen berühren, ohne unsere Augen, Ohren, Hände und Füße zu reinigen, es müsste denn für eine Reinigung gelten, dass man nur davon spricht und, wie Platon sagt, sich das salzige Gehör mit süßem Wasser ausspült. Vergleicht man aber die Schriften und Bücher miteinander, so ist jenes die Philosophie der Skythen, der Svadianer und Melanchlaner, von welchen Herodot (484-424 vor Christus: Skythen: Iranisches Reitervolk 8. Jh. vor Christus zwischen Don und Aman; im 3. Jh. vor Christus von den Sarmaten verdrängt) erzählt und an die niemand glaubt; die Lehren des Pythagoras und des Empedokles hingegen sind Gesetze, Verordnungen und Sitten der alten Hellenen, welche den Grundsatz hatten, dass man auch den unvernünftigen Tieren Pflichten schuldig sei.

Wer sind nun aber diejenigen, welche späterhin jene andere Lebensart einführen, welche zuerst zum Schlachten das mordende Messer geschmiedet, und es wagten zuerst, den pflügenden Stier zu verzehren?
Gewöhnlich machen die Tyrannen den Anfang mit ihren Hinrichtungen, wie jene in Athen, die zuerst den nichtswürdigen Fuchsschwänzer töten ließen, von dem die Leute sagten: Es geschieht ihm recht.
Dann folgte der zweite und dritte und endlich wurden Athener der Sache so gewohnt, dass sie auch müßig zuschauten, als man Nileratus, den Sohn des Nilias, den Feldherrn Theremenes und den Philosophen Polemarchus hinrichtete. In gleicher Weise wurde auch zuerst ein wildes, schädliches Tier verzehrt, dann ein Vogel oder Fisch. Die Mordsucht, an diesem Geschöpf erregt und ausgeübt, ging dann über auf den arbeitenden Stier, auf das Schaf, das uns kleidet, und auf den wachsamen Haushahn, in dieser Art verstärkten die Menschen mehr und mehr ihre Unersättlichkeit, bis sie endlich gar zum Kriege schritten, zum Schlachten und Würgen ihrer Mitmenschen.

Angenommen selbst, es ließe sich nicht beweisen, dass sich bei der Wiedergeburt die Seelen der Körper ohne Unterschied bedienen, dass dasjenige, was jetzt zahm ist, ein anderes Mal unvernünftig und wild werde und dass die Natur alles verändere und versetze und die Seelen mit einem wilden Fleischgewande bekleide, so müsste es doch uns von dem unmäßigen Genusse getöteter Tiere abbringen, - schon als hinreichender Grund gelten, dass derselbe nicht nur dem Körper Krankheiten und Beschwerden zufügt, sondern die Seele, die zu ungerechtem Krieg verleitet wurde, gänzlich verdirbt, - indem wir uns gewöhnen, ohne Blut und Mord keinen Gastfreund zu bewirten, keine Hochzeit zu feiern, mit keinem Freund in Gesellschaft zu verkehren. Gäbe es indessen auch keinen sicheren und überzeugenden Beweis für die Meinung, dass die Seelen einmal wieder in andere Körper versetzt werden, so erfordert doch die Ungewissheit größere Vorsicht und Behutsamkeit.

Zöge z.B. jemand bei einem nächtlichen Gefecht das Schwert gegen einen auf der Erde liegenden, unter der Rüstung verhüllten Mann und er hörte jemanden sagen, er wisse es zwar nicht gewiss, vermute aber, der liegende Mann sei sein Sohn, Bruder, Vater oder Zeitgenosse - was ist in diesem Fall wohl ratsam? Soll er der ungewissen Vermutung glauben und dem Feind das Leben schenken, als ob es sein Freund wäre, oder soll er die zweifelhafte Nachricht unbeachtet lassen und seinen Verwandten wie einen Feind niederstechen? Wahrlich, höre ich euch rufen, das Letztere würde äußerst hart und grausam sein! Bedenke, wenn Merope in der Tragödie gegen ihren eigenen Sohn, den sie für den Mörder ihres Sohnes hält, das Beil erhebt und ausruft: "Von heil'ger Rach' empfange hier den Todesstreich!", welche Erschütterung erregt sie unter den Zuschauern und wie werden alle in Furcht und Spannung versetzt, dass sie dem Greis, der sie hindern will, zuvorkommen und dem Jüngling den tödlichen Streich versetzen könnte! Wenn ein Greis neben ihr stünde und riefe: "Schlage zu! es ist dein Feind!"; ein anderer aber riefe: "Schlage nicht! Es ist dein Sohn!": - welches Verbrechen wäre alsdann größer: die Bestrafung eines Feindes um des Sohnes Willen zu unterlassen oder aus Erbitterung gegen einen Feind sich des Kindermordes schuldig zu machen?

Da es weder Hass noch Grimm ist, der uns zum Mord anreizt, ebenso wenig Sorge um unser eigenes Leben, sondern da das Schlachtopfer bloß zu unserm Vergnügen bereit steht, mit aufgerichtetem Hals den tödlichen Stoß zu empfangen, wenn dann der eine Philosoph uns zuruft: "Stoße zu! es ist ja nur ein unvernünftiges Tier!" - der andere aber: "Halte ein! In dem Tier könnte die Seele eines Freundes oder Verwandten leben!"; - ist es da für mich wohl gleichgültig, ob ich sein Fleisch essen "kann", falls ich dem ersteren nicht folge, oder ob ich einen Sohn oder anderen Verwandten des Lebens beraube, falls ich dem zweiten keinen Glauben schenke?

Es gibt über diesen Gegenstand noch einen ungleichen Streit mit den Stoikern, welche das Fleischessen verteidigen, obgleich sie so heftig gegen den Bauch und die Küche eifern. Wie erklärt es sich, dass sie sonst die Wollust verdammen und sie weder als etwas Gutes noch Naturgemäßes ansehen, und dennoch so eifrig verteidigen, was die Wollust fördert. Da sie Salben und Zuckergebäck von den Gastmählern verbannen, so müssten sie doch folgerichtig Blut und Fleisch noch mehr verabscheuen: als ob ihre Philosophie aber nur eine Verminderung der Haushaltskosten beträfe, so verbannen sie von der Tafel nur den Aufwand in unnützen und überflüssigen Dingen, gegen die Grausamkeit und Mordsucht der Verschwendung haben sie hingegen nichts einzuwenden. "Ganz recht, - sagen sie - denn wir haben keine Gemeinschaft mit unvernünftigen Tieren." Wir könnten ihnen aber antworten: "Wir haben auch keine Gemeinschaft mit Salben und ausländischen Gewürzen und doch verabscheuet ihr dieselben und wollt alles verbannen, was weder nützlich noch notwendig ist, sondern bloß zum Vergnügen dient."
Letzte Seite 250-251 "Griechisch-römischeWelt" (Anmerkung Regina: wäre da nicht auch zur Antwort angebracht: Ihr sagt, ihr habt keine Gemeinschaft mit unvernünftigen Tieren - aber ihr einverleibet sie euch und macht ihre Zellen zu den euren. Wollt ihr denn sagen, dass ihr euch zu ihresgleichen - von euch als unvernünftig, dumm und seelenlos ausgesprochenen - machen wollt ?!"

Griechisch-römische Welt
Philo Judaeus, der hellenische Jude

Mit Alexander dem Großen war die antike Welt in ihrem echten Glauben abgelaufen, dahin geschwunden das Nationale in Wissenschaft, Kunst, Religion und Poesie, die geistige Schöpfung aus unbewusstem, natürlichem Antrieb. Nach Alexander's Tod erwachte die sogenannte alexandrische Zeit. Die Griechen waren mit den Orientalen in Berührung gekommen und ihre heimische moralische Welt hatte nach dieser Berührung eine neue Richtung erhalten. In Kleinasien, Syrien, Ägypten und Cyrenaika sprach man griechisch und belehrte sich aus der griechischen Literatur, aber man wich zugleich von den Lehren der alten Denker ab. Einer starken Kraft begegnete das Griechentum im Judentum, welches seinen Sitz in Ägypten und im griechisch-römischen Asien hatte und welches, wie es in den Makkabäer-Kämpfen einen physischen Widerstand geleistet hatte, auch auf dem geistigen Gebiete fortkämpfte, und den alten Glauben wie einen Schatz zu bewahren suchte. Aber trotz dieser Übermacht hatte auch das Judentum Veränderungen erlitten.

Der Mosaismus, nur noch auf zwei Stämme beschränkt, hatte die Kraft gefunden, sich zu organisieren, während er nach der Wiederherstellung durch Esra (ein Priester des Alten Testamentes) sich festsetzen konnte und die heidnischen Einflüsse nicht zu fürchten brauchte. An die Stelle der Prophetenstimmen war die Predigt getreten, die sich weit über Judäa hinaus, nach allen Wohnsitzen der Judengemeinden verbreitete. In Jerusalem selber lebten viele Sekten, der Tempel trat zurück gegen die Synagogen, aber zu den großen religiösen Festen strömten aus aller Welt, aus den fernsten Städten und aus allen Himmelsgegenden die Scharen unzähliger Gläubiger, die sich zur Lehre der Synagoge bekehren ließen, ohne auf ihr Vaterland zu verzichten (Denis, Théorien et idées morales dans l'antiquité). An den strengen Sinn des Pentateuch und an das nationale Prinzip des Mosaismus hielten sich nur noch die Sadduzäer; die Rabbiner erhielten das Übergewicht über die Priester; man wurde dem nationalen Geiste untreu und strebte nach Befreiung und Gleichheit; es kamen neue Grundsätze auf, im Widerspruch mit dem engen, ausschließenden Geist des Mosaismus, der andersgläubige Nationen für unrein hielt und sich selber gehässig gemacht hatte.

Mehr noch als in Judäa selber fand dieser Umschwung statt überall, wohin sich jüdische Gelehrte verbreiteten und - wie es schon in Ev. Matthäi 23,15 heißt: "Meer (Wasser) und das Trockene (Land) umzogen, um Judengenossen zu machen" 1): in Antiochien, auf den Inseln des Mittelmeeres, in Alexandrien.
Letztere, die von Alexander angelegte Stadt, blühte empor unter den gebildeten Königen, den ersten Ptolemäern, und gewährte den griechischen Gelehrten ein sorgenfreies Dasein und die Mittel zum Studium der älteren Literatur. Durch das berühmte Museum wurde Alexandria die Weltstadt aller Wissenschaft und Bildung, die das alte Athen weit überragte (Vergl. Dr. M. Joël, Über den wissenschaftlichen Einfluss des Judentums auf die nichtjüdische Welt.). Die Schätze der älteren Literatur wurden hier gehoben und kritisch beurteilt.

An diesem literarischen Leben beteiligten sich auch die Juden, welche dort bis zur Römerherrschaft einen politisch und bürgerlich freien Wohnsitz genossen. Der heimischen Sprache fast entfremdet, suchten sie ihr Studium in griechischer Literatur und Philosophie, in einer künstlichen Auslegung ihrer eigenen heiligen Schriften und in Aneignung von allem, was der griechische Geist ersonnen hatte; sie eigneten sich aus den ihnen zugänglichen Büchern die Ideen des Platon, des Aristoteles und der Stoiker an und dieser hellenische Synkretismus fasste alles zusammen, was die morgenländische und abendländische Weisheit zu Tage gefördert hatte. (Vergl. Ed. Erdmann, Grundriss der Geschichte der Philosophie) Die Juden wollten nun ihre heilige Schrift in Übereinstimmung setzen mit der griechischen Philosophie, welche damals alle Gemüter beherrschte; sie schufen sich sogar die Vorstellung, die Griechen hätten ihre Weisheit aus dem alten Testament geschöpft, als seien die Erzählungen jener Schrifte nur allegorisch aufzufassen.

1) (Hier zum Vergleich das Evangelium zu Matthäi 23,15)

Dann redete Jesus zu den Volksmengen und zu seinen Jüngern
2 und sprach: Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben sich auf Moses' Stuhl gesetzt. 3 Alles nun, was irgend sie euch sagen, tut und haltet; aber tut nicht nach ihren Werken, denn sie sagen es und tun's nicht. 4 Sie binden aber schwere und schwer zu tragende Lasten und legen sie auf die Schultern der Menschen, … 5 Alle ihre Werke aber tun sie, um sich vor den Menschen sehen zu lassen; denn sie machen ihre Denkzettel breit und die Quasten groß. 6 Sie lieben aber den ersten Platz bei den Gastmählern und die ersten Sitze in den Synagogen 7 und die Begrüßungen auf den Märkten und von den Menschen Rabbi, Rabbi! genannt zu werden.
13 Wehe aber euch, Schriftgelehrten und Pharisäer, Heuchler! denn ihr verschließet das Reich der Himmel vor den Menschen; denn ihr gehet nicht hinein, noch laßt ihr die Hineingehenden eingehen. (Anmerkung: da sie darinnen Taten begehen, die sie nur mit Lügen aufrecht halten und verteidigen können) … 15 Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! denn ihr durchziehet das Meer (das Wasser) und das Trockene (das Land), um einen Proselyten (Judengenossen) zu machen; und wenn er es geworden ist, so machet ihr ihn zu einem Sohne der Hölle, zwiefältig mehr als ihr. … 20 Wer nun bei dem Altar schwört, schwört bei demselben und bei allem, was auf ihm ist. 21 Und wer bei dem Tempel schwört, schwört bei demselben und bei dem, der ihn bewohnt. 22 Und wer bei dem Himmel schwört, schwört bei dem Throne Gottes und bei dem, der darauf sitzt. 23 Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! denn ihr verzehntet die Krauseminze (Anmerkung: im Original steht Münze - es muss aber Minze heissen)
und den Anis und den Kümmel, und habt die wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseite gelassen: das Gericht und die Barmherzigkeit und den Glauben; diese (Barmherzigkeit) hättet ihr tun und jene (Steuern) nicht lassen (müsste heißen erlassen) sollen. 24 Blinde Leiter, die ihr die Mücke sehet, das Kamel aber verschlucket! 25 Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! denn ihr reiniget das Äußere des Bechers und der Schüssel, inwendig aber sind sie voll von Raub und Unenthaltsamkeit.
26 Blinder Pharisäer! reinige zuerst das Inwendige des Bechers und der Schüssel, auf daß auch das Auswendige derselben rein werde.
27 Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! denn ihr gleichet übertünchten Gräbern, die von außen zwar schön scheinen, inwendig aber voll von Totengebeinen und aller Unreinigkeit sind. 28 Also scheinet auch ihr von außen zwar gerecht vor den Menschen, von innen aber seid ihr voll Heuchelei und Gesetzlosigkeit. 29 Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! denn ihr bauet die Gräber der Propheten und schmücket die Grabmäler der Gerechten… 32 und ihr, machet voll das Maß eurer Väter! … wie solltet ihr dem Gericht der Hölle entfliehen? 34 Deswegen siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; und etliche von ihnen werdet ihr töten und kreuzigen, und etliche von ihnen werdet ihr in euren Synagogen geißeln und werdet sie verfolgen von Stadt zu Stadt;
35 damit über euch komme alles gerechte Blut, das auf der Erde vergossen wurde, von dem Blute Abels, des Gerechten, bis zu dem Blute Zacharias', des Sohnes Barachias', den ihr zwischen dem Tempel und dem Altar ermordet habt.
36 Wahrlich, ich sage euch, dies alles wird über dieses Geschlecht kommen. 37 Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!
38 Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen;
39 denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet: "Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!"

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(Anmerkung: warum wohl wird hier erwähnt, dass sie die Krauseminze, den Anis und den Kümmel verzehnteten? Sie haben alles unkäuflich gemacht, was grün war - und was die Leute rein ernährte.
Warum wohl wird erwähnt, dass sie übertünchten Gräbern gleichen, die außen schön erscheinen und inwendig voll von Totengebein und Unreinheit sind? Weil sie die Gebeine und das Fleisch der Tiere in ihren Bäuchen tragen...