Nachruf an meine Rohkostkatze Baerli

© Regina F. Rau


unsere Rohkost- Katze  BärliEs war im Sommer 1992. Ich wohnte mitten im Bayrischen Wald in einem kleinen Häuschen am Waldrand. Ein alter Bekannter aus München rief mich an, er habe eine süße kleine rote Katze, die er weggeben müsse. Er sei gerade umgezogen - und dort, wo er nun wohne, dürfe er keine Haustiere halten. Er erklärte mir, dass er die Katze einschläfern lassen müsse, wenn er keinen neuen "Besitzer" für sie fände.

Es durchfuhr mich wie ein Blitz. Seit vielen Jahren wurde langsam für mich klar, dass die Domestizierung der Tiere für mich etwas sehr unnatürliches ist. Für mich mutete es fast an, dass die Tiere für die Menschen überhaupt nur noch angekettet, in Boxen und Ställe gepfercht und mit zum Teil erheblich denaturierten und degenerierten Nahrungsmitteln gefüttert ertragen werden. Bald kam es mir vor, als sei alles, was in freier Wildbahn lebt - eine Bedrohung, eine unheilvolle Gefahr für den Menschen - oder einfach nicht produktiv genug.

Und nun stand mein Bekannter mit seiner Bitte da. Alle möglichen Bilder schossen mir durch den Kopf: "Was mache ich nur! Ich kann doch nicht der Katze beim Metzger Hühner- oder Rinderherzen kaufen und die dann mit meinen eigenen Händen auspacken und klein schneiden. Wie könnte ich das anstellen, wo ich seit Jahren aus tiefster Überzeugung als vegane Rohköstlerin lebe und es in meiner Vorstellungswelt schier unmöglich scheint, mit den Kadavern von Tieren in körperlichen Kontakt zu sein.

So kam ich zu meiner Erkenntnis, dass ich die Katze, wenn ich sie nehmen würde, nur rohköstlich ernähren würde. Ich überlegte hin und her - und hatte die größten Bedenken.

Aber ich sah vor meinem geistigen Auge, wie man der kleinen Katze eine Spritze gab und sie langsam die Lebensgeister aushauchte. Dieser Gedanke ging mir so zu Herzen, dass ich noch am selben Tag nach München fuhr, um die Katze abzuholen. Als mir die Türe geöffnet wurde, kam mir ein rotbraun-getigerter Moppel entgegen und strich mir um die Beine. Da wusste ich, dass es mit uns beiden gut gehen würde. Mein Rotschopf entpuppte sich schon während meines Abholungs-Besuches bei meinem Bekannten als reichlich verzogene Mietze, die mit Schokodroppies und anderen Katzenleckerlis so verwöhnt war, dass sie mich leicht an Garfield erinnerte. Wogegen ihr alles, was mir für Katzen natürlich schien - verwehrt wurde. Sie durfte hier nicht hin und dort nicht, wurde ständig verscheucht. Und sie hörte "nicht" auf den Namen Karibu.

Bald waren wir beide unterwegs ins neue Heim. Das Kätzchen saß im Körbchen und schnurrte, wenn ich mich ihm zuwandte. Da sagte ich zu ihm: "Zuerst werde ich dich umtaufen! Du siehst eigentlich eher aus wie ein kleiner Bär. Deshalb heißt du ab jetzt Bärli! Und dann musst du wissen, dass es ab sofort keine Schokodroppies mehr geben wird, kein Whiskas und kein Kitekat. Ich verspreche dir, dass du bei mir alles haben wirst, was sich dein kleines Katzenherz erträumt. Du wirst eine herrlich natürliche Umgebung haben, draussen herumtollen, mit mir spielen... ich werde dich kraulen und streicheln, mit dir spielen - und du wirst von mir eine Ernährung bekommen, von der du glücklich und gesund wirst und bleibst!" Bärli lauschte und schnurrte. Und ich freute mich riesig über unseren neuen "Familienzuwachs". Auch mein Sohn würde seine helle Freude an diesem kleinen Wesen haben.

Unterwegs kaufte ich Hühnerklein. Zu Hause quetschte ich frischen Hafer zu Flocken, raspelte Möhren, ein kleines Stück Sellerie und wiegelte Petersilie und zerquetschte eine halbe Avokado. Diese Mischung gab ich Bärli in eine Schüssel, verrührte sie mit Wasser zu einem Brei - und tat zuletzt das kleingeschnittene Hühnerklein dazu. Als Bärli Hunger bekam, ging er zu der Schüssel, steckte sein Mäulchen hinein, zog die "Lefzen" hoch - als wolle er sagen: "Iiiiieh pfui Teufel, was ist denn das für ein ekliger Frass!", hob eine Pfote, berührte die Mischung skeptisch und schüttelte sie mit angewidertem Blick - sein ganzer Körper schüttelte sich. Das ganze sah so lustig aus, dass ich schallend lachen musste: "Na Bärli - ist wohl nicht so ganz das verwöhnte Prinzenessen, das du vorher bekommen hast - wie?! Aber ich bin ehrlich zu dir, solch eine Kost wirst du von heute an bei mir nicht mehr bekommen. Ich kann dir versichern, der Ekel, den du heute noch spürst, legt sich sicher bald! Dann wirst du es lieben!" Und während ich es sagte, wunderte ich mich über mich selbst. Ich hatte doch überhaupt keine Erfahrung mit Katzen und ihrer Ernährung.

Mein Mann kam zu mir und schimpfte mich aus, dass ich eine Katze nicht so fanatisch ernähren könne. Ich dachte nach und kam erneut zu dem Schluss, dass eine natürliche Ernährung auch für Katzen die richtige Entscheidung sein müsse. Es wollte mir nicht in den Kopf, dass ich der Katze Whiskas oder ähnliches geben müsste, damit sie glücklich sein könne - oder gar gesund.

Und ich blieb bei meiner inneren Überzeugung, dass sich die Sucht der Katze auf Suchtstoffe im herkömmlichen Katzenfutter und der Ekel gegen die unverfälschte Kost legen würde, wenn ich konsequent bliebe.

Bereits am 2. Tag fraß Bärli seine Schüssel leer. Allerdings mit wenig Appetit und Lust. Ich sprach ihm gut zu und es gab natürlich viele Streicheleinheiten.

Bereits am 4. Tag kam Bärli mit Heißhunger und fraß die ganze Schüssel mit Behagen leer. Ich ging zum Metzger und kaufte abwechselnd Rinderherz am Stück, Hühnermägen- oder -herzen, Leber oder Niere und schnitt sie zu Hause klein. Oder ich besorgte Rinderhackfleisch. Das mischte ich ein paar Wochen lang unter Bärlis Haferflocken-Gemüsemischung. Und er war äußerst zufrieden. Auch seine Figur veränderte sich. Er sah nun nicht mehr aus wie ein Moppel, sondern wurde sehr muskulös, wirkte aufgeweckt und wach. Und er hörte auf seinen Namen!


Je mehr Tage verstrichen, desto merkwürdiger fühlte ich mich, wenn ich die Metzgerei betrat, oder wenn ich das Fleisch für Bärli schnitt. Eines Tages begann ich nachts davon zu träumen, dass ich mir selbst den Arm abschnitt. Oder ich träumte von einer Fabrik, in welcher ungute Dinge passierten, was aber der Fabrikbesitzer unter allen Umständen geheim halten wollte, bis ich eines Tages die "verkehrte" Türe öffnete und in Räume geriet, in welchen Tiere gefoltert wurden - oder in welchen verweste Tierkadaver bis unter die Decke gestapelt lagen...

Diese Träume alarmierten mich und sagten mir, dass es Zeit für mich würde, mir welchen des Fleisches in Bärlis Fressen neue Gedanken zu machen.

unsere Rohkost- Katze  BärliBis dahin hatte Bärli noch keine Ahnung, was er mit den vielen Mäuschen anfangen sollte, die in der hochwachsenden Wiese rund um unser Haus gab. Ich kam auf die Idee, ein paar Avokados zu nehmen, und mit Bärli draußen Avokado jagen zu spielen. Ich warf eine Avokado weit weg, lief und sprang hinterher, rief seinen Namen. Dann raschelte ich mit einem Stöckchen dort, wo die Avokado lag. Als Bärli schleichend näher kam, und schon ganz nah da war, da sprang ich auf die Avokado, schnappte sie mit den Zähnen, und biss hinein, ass sie vor Bärlis Augen ganz auf.

Dieses Spiel wiederholte ich mehrere Tage hintereinander so oft ich konnte. Bärli war begeistert von diesen Jagden. Irgendwann begann er, selbst hinter der Avokado herzuspringen. Jetzt wusste ich, dass er es schaffen würde, Mäuse selbst zu fangen.

Spielen war für Bärli die höchste Freude. Ich rannte mit Wollfäden durch die Wohnung, band Korken an lange Fäden und warf sie durch die Luft - Bärli rannte hinterher. Er beobachtete so genau, dass er fast immer dort landete, wo der Gegenstand hinfiel. Und er liebte es, wenn dieser Gegenstand, von dem Faden gezogen, an den er gebunden war, sich dann unter ihm entfernte. Dann schielte er irgendwo hin, um blitzschnell zuzupacken, sobald sich das Stück seinen Augen zu entziehen drohte.

Oder er liebte das Spiel mit dem Finger unter dem Flockati. Und bald musste ich mir andere Dinge zu Hilfe nehmen, da seine kleinen Krallen sich zu Löwenpranken zu entwickeln schienen und sie meine Finger zu zerfetzen drohten. Er wurde so schnell, dass es uns kaum noch gelang, rechtzeitig zurückzuziehen.

Ich stellte einen Spiegel auf und er verwandelte sich in ein riesenhaftes, dämonisches, grohnendes Wesen mit böse gelb funkensprühenden Augen, wildfauchend und wirklich angsteinflössend. Ich spielte mit einem Spiegel, warf Lichtkegel an die Wand und er sprang hinterher. Er kletterte auf wirklich hohe Bäume in einem solchen Affentempo, dass uns Hören und Sehen verging - dann saß er oben und blickte frech - in vollem Bewusstsein über seine akrobatische Leistung - auf uns herab, als wolle er sagen: "Dass müsst ihr mir erst mal nachmachen!"

Eines Tages hatte sich ein Mäuschen in unsere Wohnstube verirrt. Es wurde Bärlis erste Mausmahlzeit und wir freuten uns, obwohl uns das Mäuschen auch leid tat. Da sich die Maus aber von uns nicht hatte erwischen lassen, und Bärli fast Tag und Nacht lauerte, konnten wir nichts für sie tun.

Von diesem Tag an ließ ich das Fleisch, das ich bis dahin noch für ihn gekauft hatte weg.

Eines Tages fand ich in der Küche angefressene Gurken, Tomaten, Paprika. Es war doch wirklich zu arg mit den Mäusen. Doch die Suche nach den Mäusen blieb erfolglos. Ich wunderte mich auch über die Form des Abbisses. Doch von uns konnte es auch keiner gewesen sein. Diese Abbisse fanden wir immer häufiger und wir begannen uns ernsthaft Gedanken über den Urheber dieser Zahnspuren zu machen.
Als wir einmal von einem Einkauf zurückkamen, sprang Bärli mir entgegen, maunzte mich fordernd an. Ich gab ihm seinen Brei - aber er wurde sehr ungehalten. "Sag mal, kapierst du denn gar nichts!" und kratzte mich am Bein. Ich konnte meinen Grips noch so anstrengen, aber ich verstand ihn nicht und sagte es ihm. Da ging er um die Ecke in die Küche zum Gemüseregal, langte sich mit der Pranke selbstbewusst eine Gurke heraus und biss herzhaft hinein, während er mir tief in die Augen blickte: "Siehst du - das habe ich gemeint!" Wir standen alle sprachlos - konnten es kaum glauben!

Dieser Vorfall machte mich doch so neugierig über Katzen, dass ich mir einen Stapel Katzenbücher aus der Stadtbücherei holte. Und da las ich in allen Büchern: "Katzen niemals mit Rohkost füttern, weil das für Katzen tödlich ist!"

Ich bekam wieder großen Ärger mit meinem Mann, der es bisher schon nicht gerne sah, wie ich die Katze ernährte. Es wurde sogar ein richtiges Tauziehen. Aber mein Glaube an die natürliche Ernährung und die daraus resultierende Gesundheit war nach wie vor unumstößlich. Und so machte ich weiter.


Eines Tages im Winter suchte ich Bärli vergebens. Alles Rufen und Suchen half nichts. Als ich das Futter im Vogelhäuschen erneuern wollte, saß Bärli lauernd darin, kaum dass er wirklich hineinpasste. In den darauffolgenden Tagen fand ich die Reste von Amseln. Das gefiel mir gar nicht und ich versuchte Bärli die Jagd auf Amseln "auszureden". Aber dieses Zureden half nichts. So befestigte ich das Häuschen kurzentschlossen auf einen hohen Holzbalken. Auch das half nichts. Da entschloss ich mich, das Häuschen auf dem Sockel auf eine breitere Unterlage zu stellen, in die ich ringsherum lange Nägel trieb. "Jetzt kann er von mir aus mit dem Ofenrohr ins Gebirge gucken! Hauptsache er lässt die armen Vögel in Ruhe" Doch Pustekuchen. Als ich Bärli wieder einmal suchte und nicht fand, vermutete ich ihn wieder im Vogelhäuschen, ohne wirklich daran zu glauben, dass es wahr sein könnte. Aber er war da! Breit und schnurrend grinste er mich an, als ich ihn entdeckte! Da musste ich kapitulieren.

Bärli wurde einer der stattlichsten Kater der ganzen Umgebung. Er hatte tatsächlich Pranken wie ein Löwe und hatte ein Selbstbewusstsein we ein Kaiser. Er schaffte spielend die höchsten Bäume und ging auf unseren gemeinsamen Spaziergängen lange Strecken mit, ohne sich groß zu fürchten.

unsere Rohkost- Katze  Bärliunsere Rohkost- Katze  Bärli

Eines Tages trennte ich mich von meinem Mann und zog mit meinem Sohn fort. Bärli ging mit uns. Er gewöhnte sich sehr schnell an die neue Umgebung, machte tagelange Streifzüge durch die Gegend. Auch hier war er sehr schnell als der stärkste und gesündeste Kater der Gegend bekannt. Er hatte nie triefende oder gar rötliche Augen. Sein Fell war strahlend und glänzte. Hier begann er mich darum zu betteln, dass er von meinem Löwenzahn- und Kräutersalat probieren dürfe. Ich konnte es nicht fassen. Ich hab ihm einen Happen, den er gierig verschlang und mehr verlangte. Ich füllte ihm ein kleines Salatschüsselchen - er fraß es genüsslich leer. Eines Tages war ich draußen in meinem Kräuter-Garten beschäftigt. Ich hatte für meinen Sohn und mich einen Kräutersalat in einer Schüssel zubereitet. Dieser bestand meist in verschiedenen Variationen aus den verschiedensten kleingeschnittenen Kräutern, dazwischen besonders aromatische Kräuter kleingehackt und einem Schuss Olivenöl. Als ich wieder ins Haus kam, stand Bärli auf dem Tisch, schmatzend über die Schüssel gebeugt, und ließ es sich munden.

(Die täglich unterschiedlich zusammengesetzten Kräuter :
Löwenzahn, Vogelmiere, Gundermann, Spitz- und Breitwegerich, Wiesenknöterich, Wiesenknopf, Frauenmantel, kriechender Günsel, Gänsefingerkraut, Lichtnelke, Gänseblümchen, Wiesenkerbel, Zaungiersch, wilde Möhre, Wiesenlabkraut, fette Henne, junge Triebe von Brombeere und Himbeere, Walderdbeere, hin und wieder junge Triebe von Wiesenbärenklau, Beinwell, Taubnesseln und Brennesseln, Wegrauke, Ackersenf, hin und wieder Tüpfelhartheu (Johanniskraut), Rainkohl, Huflattich, Steinklee, Rot- und Weißklee, Erdrauch, Malven, junge Blätter und Knospen von Disteln, weißer Gänsefuß, Schachtelhalm, wilder Basilikum, Pfefferminze, Salbei, Rosmarin, Thymian, Estragon und Borretsch.)

Viele Leute, darunter auch Rohköstler, die uns in diesem Häuschen besuchten, waren von unserer Rohkostkatze begeistert. Unter anderem auch "hoher" Besuch vom Jugendamt, die sich gar nicht genug darüber wundern konnten, dass es möglich sei, eine Katze so zu ernähren.

unsere Rohkost- Katze  BärliAber auch aus diesem Haus mussten wir wieder fortziehen, da der Besitzer Eigenbedarf anmeldete. Diesmal zogen wir in ein ehemaliges Bauernhaus, wo mehrere Parteien wohnten. Hier begann eine sehr schwere Zeit für Bärli. Die Hausbewohner begannen, Bärli heimlich die Abfälle ihrer Kochkünste zu füttern. So stand er bald laut und kläglich miauend vor den Türen und bettelte den ganzen Tag über. Er wurde krank. Ich führte viele Gespräche mit den Anwohnern und dem Besitzer des Hauses, in welchen ich sie bat, meiner Katze keine Essensreste mehr zu füttern, da er davon sehr krank würde.
Sie glaubten es aber nicht und meinten im Gegenteil, dass er von mir zu wenig zu fressen bekäme, dass er betteln müsse - und sie gaben ihm weiterhin ihre Abfälle. Mir zerriss es fast das Herz.

Bärli bekam nässende Augen wie alle Katzen, hatte ständig Flöhe und Würmer, so dass ich ihn alle paar Wochen behandeln musste. Seine Zähne entzündeten sich. Es mussten einige Zähne entfernt werden. Er fraß die Frischkost, die ich für ihn bereitete fast gar nicht mehr.

Eines Tages bekam er Durchfall, der sich nicht mehr kurieren ließ. Bärli nahm innerhalb von ein paar Tagen dramatisch ab, .sein Fell wurde grau, seine Augen blickten gebrochen drein. Wir konnten ihn nicht mehr retten - und begruben ihn an der Lichtung des Waldes in der Nähe des Hauses.

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