Der Eismann
Das ganze Jahr über
kommt Norbert Mayer an die Isar, um unterhalb des Flauchersteges
zu schwimmen. Auch im Winter, wenn das Wasser nur noch ein
paar Grad hat und das Handtuch brettsteif friert Von
Birgit Lotze
Norbert Mayer badet
jeden Tag in der Isar. Das machen viele Menschen, doch wenn
andere damit aufhören, und die Kiesbänke leer
sind - September, Oktober vielleicht -, macht Mayer weiter.
Jeden Tag, soweit möglich. Wenige Unterbrechungen.
Irgendwann liegt die Temperatur des Isarwassers dann nicht
mehr bei 18 Grad wie derzeit, sondern bei dreieinhalb oder
vier Grad. Dann ist es meist Januar oder Februar, und der
56-Jährige stürzt sich immer noch jeden Tag in
die Isarfluten. Wie Urlaub sei das.
Man müsse immer
gut aufgewärmt sein, das sei der Trick, sagt Mayer.
Sonst ende das Bad schnell schmerzhaft - vor allem am Hals
und im Schulterbereich. Vorher eine halbe Stunde Fahrrad
fahren, möglichst schnell ausziehen und ohne Abkühlen
eintauchen, rät er. Eisbaden sei viermal besser für
das Immunsystem als Saunen, das hat Norbert Mayer in einer
Dissertation im Internet gelesen. Seitdem er im Winter seinen
Kreislauf mit dem Kälteschock in Schwung bringe, habe
er keine Erkältung mehr, behauptet er. Sein Allgemeinbefinden
sei wesentlich besser, er gehe Dinge positiver an. "Würden
viele Menschen eisbaden, müsste eine ganze Menge Psychologen
ihre Praxen schließen", davon ist Norbert Mayers
überzeugt.
Es ist ein Ritual. Kaum
hat er die Kiesbank nahe am Flauchersteg erreicht, breitet
Mayer eine Plastikfolie aus. Die Hose platziert er oben
rechts, links davon das T-Shirt, die Socken, Unterhose -
alles hat exakt seinen Platz. Sinn hat das Ritual eigentlich
nur im Winter, doch irgendwie gehört es für ihn
inzwischen dazu. Man müsse schnell sein, beim Ausziehen
- und vor allem beim Anziehen. Sonst kühle der Körper
aus. Die Badehose friere an. Das Handtuch werde bei Temperaturen
unter fünf Grad so steif, dass man Faltflächen
anhauchen müsse, damit es wieder in die Badetasche
passe. Manchmal hat er eine Stirnlampe auf: "Damit
ich mein Zeug gleich wiederfinde", an ganz trüben
Tagen, wenn es kalt und grau und der Flauchersteg menschenleer
ist. Aber er will ja auch gefunden werden, wenn der Kreislauf
aus irgendeinem Grund mal nicht mitmacht.
Doch bislang gab es
keine Probleme. Vier Jahre sucht er bereits den Kältereiz
in der Isar, immer wieder überwindet er den inneren
Schweinehund. Nicht mehr als fünf Minuten im Eiswasser,
doch immer möglichst nah dran an dieser Zeit, so hoch
hängt die Messlatte. Nach dem Eisbad steigt er schnell
wieder aufs Fahrrad und radelt den Giesinger Berg hoch bis
zum Michaelibad, wo er wohnt. Wenn er absehen kann, dass
20 bis 30 Minuten Radfahren nicht reichen, macht er sich
sofort durch einen Lauf über den Kiesstrand oder mit
Liegestützen warm.
Jetzt im August ist
Norbert Mayer einer unter vielen Menschen, wenn er seine
Runden in dem Isarbecken dreht. Vier bis fünf Meter
tief ist der Kanal an dieser Stelle an der Schleuse unterhalb
des Flaucherstegs. Ein bisschen hat er mitgeholfen, dass
dieses tiefe Becken sich gebildet hat: Er muss etwas tun
im Wasser, sich bewegen, gräbt große Steine aus,
die er an anderer Stelle anhäuft. Auch so hält
er sich warm. Die anderen Flaucheraner kennen ihn, er wird
immer wieder angesprochen. Im Vergleich zu ihm seien sie
alle Warmduscher. "Der Norbert ist der Wahnsinnige",
frotzelt einer. Andere nennen ihn auch "der Bademeister".
Er sorgt für Ordnung, auch was den Müll angeht.
Im Sommer beginnt er den Badetag mit Strandsäubern,
hat immer eine kleine Plastiktüte dabei, um Kippen,
Scherben, Kronkorken aufzusammeln. Und er sei sehr pünktlich,
betont Mayer. Meist sei er von 15.30 bis 16.30 Uhr am Wasser.
Einmal im Jahr, am 1.
Januar um 11 Uhr, bekommt Norbert Mayer auch im Winter im
Wasser Gesellschaft. Dann treffen sich einige Eisbader zum
sogenannten Anschwimmen. Sie gehen kurz ins Wasser, duschen
unter der Schwelle, Mayer schwimmt ein paar Runden, viele
Menschen schauen dabei zu. Nachher gibt es meist einen wärmenden
Rum, etwas zu essen und Tee. Die Flaucherinsel ist Norbert
Mayers zweites Wohnzimmer geworden. Wenn er der Isar untreu
wird, geht er wandern, besucht Bergseen. In sulziges Eis
zu tauchen, sei eine wunderbare Abwechslung, meint er: "Das
gibt ein prickelndes Gefühl wie im Longdrink."
Kältereize sucht er nicht mehr nur im Wasser. Als er
es im Winter einmal nicht zum Flaucher schaffte, räumte
er stattdessen eine 40 Meter lange Hofeinfahrt von Schnee
frei. Die Nachbarn haben wohl gestaunt: Mehr als Gummischlappen
und Badehose hatte Norbert Mayer dabei nicht an.
Eisschwimmer
Norbert Mayer am Flaucher
Er schreckt vor nichts zurück: Norbert
Mayer kann von der sprudelnden Isar an der Schleuse
unterhalb des Flaucherstegs nicht genug bekommen.
(Foto: Florian Peljak)
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