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Der nächtliche Besucher | |||||
Mehmet
konnte nun auch später am Tag in die Stadt fahren um die Bänder,
die wir tagsüber geknüpft hatten, zu verkaufen. Denn nun brauchte
er nicht spätnachts durch den Wald nach Hause zu laufen. So fuhr er
oft, wenn es um 21.00 Uhr dunkel wurde - und kam gegen 24 Uhr mit dem letzten
Bus zurück. Eines Tages riet mir Mehmet, mir zur Sicherheit wenigstens ein kleines Küchenmesser unter das Kopfkissen zu legen - für alle Fälle. Ich protestierte dagegen, da ich wußte, dass ich nicht stark genug sein würde, um einen mutmaßlichen Täter abzuwehren und ahnte, dass sich im Falle eines Falles meine Waffe wohl eher noch gegen mich selbst richten würde. Aber ich legte es mir unter meinem T-Shirts, die ich als Kopfkissen benutzte zurecht. Dann räumte ich im Zelt gründlich auf. Irgendwie war mir in meiner Haut plötzlich nicht mehr ganz wohl und so schien es mir sinnvoll, T-Shirts, Hosen und Unterwäsche auf jeweils einen extra Stapel zu legen. Durch Mehmets Idee, dass ja auch mal was passieren könnte, kamen mir Bilder, dass es nützlich sein könnte, auch im Dunkeln genau zu wissen, wo sich welche Kleidungsstücke befinden. Und dann legte ich mich wie immer im Eva-Kostüm schlafen. Mitten in der Nacht - es mochte schon fast Mitternacht sein - erwachte ich von einem Geräusch, von dem ich wähnte, dass es Mehmet sei. Ich fragte nach, bekam aber keine Antwort. Ich fragte noch einmal. Dann hörte ich Geräusche von einem Feuerzeug, das nicht angehen wollte. Und eine männliche Stimme sagte auf türkisch: ''Wenn du noch einen Ton sagst, dann schlitze ich dich auf!'' Ich war wie gelähmt. Und ich war nackt! Wir schliefen immer nackt. Wir hatten die beengende Verklemmtheit schon lange abgelegt und fühlten uns herrlich frei in unserer Haut. Aber jetzt wollte es mir zum Verhängnis werden?! Ich suchte verzweifelt etwas zum Anziehen. Am Nachmittag hatte ich alles fein säuberlich aufgeräumt und zusammengelegt. Aber im Dunkeln konnte ich die Kleidungsstücke nicht voneinander unterscheiden. Da fiel mir das Messer unter meinem Kopfkissen ein. Alles drehte sich vor meinen Augen. Es machte mir zusätzliche Angst, dieses Messer nun dort zu wissen. Plötzlich ging ein Licht an. Der Mann stand wohl schon eine ganze Zeit im Innenzelt. Er nestelte am Reissverschluss und versuchte ihn zu öffnen. Mein Puls raste. Ich rief wieder vorsichtig Mehmets Namen, wohl, um ihn zu verunsichern. Aber er erklärte mir, dass er meinen Mann in Fethiye am Kai beim Bänder verkaufen gesehen habe und dass er sicher wisse, dass er nicht vor halb eins zurückkommen würde. Jetzt sei es erst elf. Ich erinnerte mich, dass am Nachmittag ein Fremder ein Stück oberhalb unseres Zeltes seine Hängematte in die Bäume gehängt hatte - und dort - ganz in der Nähe nächtigte. Aber ich fühlte, dass er es nicht war. Der Mann forderte mich auf, den Reissverschluss zu öffnen und keinen Mucks zu machen, weil er mich sonst zerstückeln würde. Ich hatte immer noch nichts angezogen. Aber jetzt - im Schein der Flamme fand ich mich schnell zurecht. Ich sagte, dass ich gleich aufmachen würde - er wies mich erneut barsch an, still zu sein. Die Flamme erlosch. Es war wieder finster. Nur der Schein des Mondes erhellte leicht das Zelt durch die Eingangstür, die ich ganz unten mit einer großen Sicherheitsnadel zusammengesteckt hatte. Zitternd öffnete ich den Reissverschluss, das Schlimmste erwartend. Dann stand ich vor ihm. Ein kleiner aber erstaunlich muskulöser Mann, nackt - in voller Erregung und mit einem Messer in der Faust bewappnet. Er sagte: ''Ich liebe dich - und will dich hier - jetzt, sofort!'' Ich sagte wie in Trance: ''Wie kannst du sagen, dass du mich liebst, wo du mich nicht einmal kennst?'' Er erwiderte, ich solle still sein - sonst... er habe mich eben gesehen. Er befahl mir, mich auf den Boden zu legen. Das Zelt war innen vor dem großen Innenzelt mit Bastmatten ausgelegt. Ich überlegte fieberhaft. Am Nachmittag hatte ich rohen Maisgries gegessen und litt jetzt unter schrecklichen Blähungen. Blitzschnell sagte ich: ''Das geht nicht, weil ich schwanger bin!'' Ich stand vor ihm und sah im diffusen Licht des Mondscheins, wie sich das Gesicht des Mannes verfinsterte. ''Oh Gott - mein Gott!'' schoss es mir durch den Kopf - ''was habe ich da gesagt?! Es ist eine Lüge! Verzeih mir Gott im Himmel, es ist nicht wahr. Ich wollte das nicht sagen!'' Ich fühlte, wie mich das Gewicht meiner Notlüge fast erschlug. Und dann sah ich meinen eigenen Tod. Ich sah, wie der Mann zustiess, wie das Messer von unten nach oben meinen Bauch öffnete - wie meine Eingeweide und das Blut herausquollen. Langsam sah ich mich zu Boden sinken und ich spürte, wie mir die Sinne schwanden. Dann wurde ich mir augenblicklich bewußt, dass dies nur eine Vision war. Ich stand immer noch aufrecht vor ihm. Aber das, was ich gesehen und gefühlt hatte, war so reell gewesen, dass ich mich für Sekundenbruchteile wunderte noch hier zu stehen. Er sagte in einem merkwürdig abgemilderten Ton: ''Das macht nichts! Wir können es auch anders machen!" Als ich ihn das sagen hörte und noch einmal die soeben gesehenen Bilder vor meinem Auge abliefen, wurde ich von einer unglaublichen Kraft durchdrungen. Ich sah plötzlich die ganze Komik dieser Situation, den ganzen unglaublichen Witz, der sich vor mir abspielte. Ich war doch soeben schon gestorben - mit Leib und Seele. Wie konnte er mir da noch weh tun? All das spielte sich in Sekundenbruchteilen ab. Da blickte ich ihm geradewegs in die Augen, packte ihn mit starker Faust an der Schulter und fragte ihn: ''Glaubst du an Allah?'' Er erschrak heftig und stammelte: ''Ja - warum?'' Ich erwiderte mit unerschütterlicher Stimme: ''weil wir jetzt nach draussen gehen und uns dort ein wenig über Allah und das, was er dir im Koran über seine Gebote offenbart hat unterhalten werden!'' Ich schob ihn rückwärts in Richtung des Ausgangs. Seine Erektion verschwand augenblicklich. Er stolperte rücklings über den mit der Sicherheitsnadel zusammen gesteckten Zelteingang und ich hielt ihn in meiner Faust mit ganzer Kraft, damit er nicht rittlings in den tiefen Abgrund der Sandgrube fiel, der sich direkt eineinhalb Meter vor dem Zelt befand. Ich fragte den Mann, wie er dazu komme, sich mit Gewalt etwas zu holen, das Gott ihm in der Ausübung von Gewalt verboten hatte. Ich fragte ihn, wie er wohl behaupten könne, Allah zu folgen und zu glauben, und gleichzeitig seine Gebote der Liebe so brutal zu missachten. Ich erklärte ihm, dass Allah ihm seine Absicht verzeihen würde, wenn er von nun an nie mehr eine Frau belästigen - und stattdessen auf Allah vertrauen würde. Denn dann hätte er eine Chance, dass dieser ihm genau die Frau senden würde, die er so lieben könne, wie er es sich wünsche - und die ihn so lieben würde, wie er es sich erträumt hätte. Der Mann roch stark nach Parfüm. Er sah mich an und stammelte: ''Oh mein Gott - aman Allahim - was habe ich getan?! Oh mein Gott - geh wieder hinein. Ich werde nicht mehr kommen. Oh oh - mein Gott... Er rannte wie um sein Leben. So habe ich noch nie einen Mann rennen sehen, wie er den Berg in Richtung des Waldes rannte. Dann war alles still. Einen Moment lang wirkte noch die Kraft der vergangenen Momente. Ich wunderte mich, wie schnell alles passiert war - und wie sich das Blatt gewendet hatte. Dann schaute ich zum Zelt. Der Eingang klaffte dunkel und starrte ich an. Und jetzt packte mich entsetzliches Grauen. Ich rannte wie um mein Leben in Richtung der Straße... rannte und rannte, bis ich die Gendarmerie erreicht hatte. Dort klingelte ich. Ein Mann stand von seinem Feldbett auf, das in einem offenen und beleuchteten Zimmer stand. Er kam auf mich zu und fragte mich mit leicht genervter Mine, was denn um diese Zeit sei. In kurzen Sätzen versuchte ich so gut ich es auf türkisch vermochte zu schildern, was vorgefallen war. Er fragte mich, ob ich sagen könne, wie der Mann ausgesehen hatte. Ich konnte es nicht. Aber ich hatte noch immer den extrem starken Geruch seiner Hände an meinen Handgelenken. Dort, wo er mich gepackt hatte. Den hielt ich dem Gendarmen unter die Nase. Da wurde er plötzlich merkwürdig still, und ernst. Er meinte, dass er gleich wieder käme. Aber er kam nicht wieder. Ich ahnte, dass er die Wahrheit meiner Erzählung und den dazugehörigen Mann am Geruch erkannt hatte und schlimmere Folgen für die Gendarmerie vermeiden wollte. Ich ging fort und wartete an der Bushaltestelle auf Mehmet, der mich liebevoll tröstete und versuchte, mir wieder Mut zu machen. Der Vorfall war kein Grund für mich und für Mehmet, diesen Platz zu verlassen. Ich spürte, dass es keine weiteren Vorfälle dieser Art mehr geben würde. Nicht bald darauf veränderten wir unseren Standplatz erneut und zogen nach Ovacik oben auf der Bergkette des Baba Dagi. Dort lernte Baris zum ersten Mal wieder ein Zimmer mit 4 Wänden kennen. Aber er protestierte so lautstark und weinte erschütternd, bis wir ihm erlaubten, im eigens für ihn vor unserem Fenster aufgestellten Zelt zu übernachten. Wir verbrachten fast 2 Monate hier. Während unserer Einkäufe in Fethiye lernte ich eines Tages die junge Türkin Nevin kennen. Ich besuchte sie gelegentlich. Eines Tages erklärte sie mir, dass sie einen deutschen Polizisten kennengelernt hatte, der sie unbedingt heiraten wolle. Sie versicherte mir, dass sie ihn sehr lieb habe und zudem auch die Chance sehe, von ihrer Familie, die sie wie eine Leibeigene erzogen zu flüchten. Ihr zukünftiger Ehemann bat mich, ihr Deutsch beizubringen. Und so kam ich zwei Mal in der Woche hierher, um sie zu unterrichten. Nach drei Wochen war sie schon so weit, dass sie alleine einen Einkauf in Deutschland hätte tätigen können. Sie gab mir einen Tipp, dass sich ganz in der Nähe, wo sie mit ihrer Familie wohnte ein wunderschöner Strand befinden würde, wo wir günstig unser Zelt aufschlagen konnten. So zogen wir nach Calis. |
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Ich
hatte in Deutschland selten solche Glücksgefühle bei meiner Arbeit
wie hier in Ölüdeniz beim Bänderknüpfen und beim Erstellen
von Schmuck. Ein Leben in solcher Freiheit ist fast schon paradiesisch.
Auch unter Berücksichtigung von Strapazen und der mitunter großen
Schwierigkeiten, die es in und mit der Natur zu bewältigen gibt. Man
lebt mit dem Zyklus, ist mit Menschen zusammen, kann sich zurückziehen,
wannimmer man es möchte. Es gibt niemanden, der einem sagt, was und
wann und wie man etwas zu tun hätte, niemand, der irgendwelche Auflagen
macht. Man braucht keinen Doktortitel und keine Formulare... es ist herrlich! Oft saßen wir den ganzen Tag vor dem Zelt und knüpften Bänder in allen Variationen und Farben, die Mehmet dann in Fethiye verkaufte. Das Meer platschte vergnügt dazu und die Zikaden sangen. |
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In meiner Galerie könnt ihr alle Bänder sehen | |||||
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