Abenteuerreise
2004
per
Anhalter
von
Deutschland in die Türkei -
Seite 2
Freitag,
14. Mai 2004
Dritter
Tag
Wien
- Ungarische Grenze
Am
nächsten Morgen entschließen wir uns, direkt vom Haus
weg nach Baden zu trampen und setzen den Gedanken sofort in die
Tat um. Sofort hält jemand an. Wir fahren durch eine herrlich
wilde Landschaft. Die Strasse ist umsäumt von bewaldeten wilden
Bergen. Die Gegend wirkt sehr urtümlich (Naturschutzgebiet)
- und durch den frühen Morgen ist alles in unberührte
Stimmung gehüllt...
In
Baden werden wir direkt bei der Gendarmerie abgesetzt. Das nützen
wir, um nach dem Weg zu fragen. Wir müssen mit der Tram A3
an den Stationen Traiskirchen, Grundmannsdorf und Münchendorf
vorbeifahren und in Möllersdorf aussteigen. Von dort aus sollen
wir zur Eigenheimsiedlung gehen. Das seien nur ein "paar Minuten"
Fußmarsch bis zum Rastplatz "Oldtimer". Da seien
wir richtig. Aber das "nahe Ziel in Sicht" entpuppt sich
als Fata-Morgana. Es wird ein ziemlich langer Marsch. Meine Füße
sind müde, der Rucksack zerrt schwer an den Schultern. Ein
einziges Auto kommt auf der Strasse herangebraust. Wir nützen
die Chance und halten den Daumen raus. Der Mann nimmt uns tatsächlich
mit und bringt uns bis zum Autobahnrastplatz Oldtimer.
Dort
findet mein Freund auf der Einfahrt eine Österreich-Anstecknadel.
Bevor wir uns hier mit dem "Daumen in den Wind" hinstellen,
bin ich der Meinung, dass wir jetzt erst Mal unsere Zelte inspizieren.
Es weht ein starker Wind und so bläht es die Zeltplanen ordentlich
auf, während wir sie probehalber aufstellen. Die Stangen des
zweiten Zeltes sind die richtigen für das erste Zelt. Wir hatten
sie vertauscht. Das Zelt kullert über den Rasen des Platzes,
die Planen fetzen davon und den Leuten "fallen die Augen aus
dem Kopf". Wir fangen alles wieder ein und kontrollieren jetzt
das zweite Zelt. Aber die Stangen sind zu kurz. Kaum zu glauben.
Man kann tatsächlich seine sieben Sachen zu Hause nicht oft
genug kontrollieren. Ich hatte noch vorgehabt, nachzusehen, ob die
Stangen, die ich in dem Paket fühlte auch die richtigen sind.
Aber der Aufwand, alles aus- und wieder einzupacken "war dann
doch zu groß" erschienen und wir nahmen einfach an, dass
es auch die zum Zelt passenden Stangen waren.
Wir
sind guter Dinge - aber alle Autofahrer winken ab. Wir wundern uns
nicht schlecht und malen vorsichtshalber ein Schild H für Ungarn,
das wir den Fahrern zusätzlich hinhalten. Aber nichts passiert.
Ich male die Ungarische Flagge dazu. Da werden die Leute aufmerksam.
Jemand steigt aus seinem Auto und sagt uns endlich, dass wir auf
der falschen Autobahn stehen!!! "Oh Nein!!! Das darf doch nicht
wahr sein!" Wir machen uns dennoch wild entschlossen auf den
Rückweg. Wir marschieren mit dem schweren Gepäck und sind
froh, dass schon bald wieder ein Auto hält. Er nimmt uns bis
Traiskirchen zur Tram-Station mit. Dort entschließen wir uns
kurzfristig, bevor wir weiter die richtige Autobahnzufuhr finden
- noch den Wiener Naschmarkt zu besuchen. Der Stationsbeamte ist
sehr nett. Er besorgt uns die richtigen Fahrkarten, und drückt
uns jede Menge Informationsmaterial über Österreichische
Straßenbahnen und Busse in die Hand. Wir finden den Naschmarkt
auf einigen Umwegen - weil ich den "Wiener Prater" mit
dem großen berühmten Naschmarkt verwechselte.
Am
Markt angekommen, scheinen unsere Fußmärsche dem Schicksal
noch nicht genug. Denn mein Freund findet ein paar Ausweise unter
einem hohlen Stein (wirklich!), die wir also erst noch zur Polizei
bringen. Letztere müssen wir selbstverständlich auch erst
noch suchen... Ich wundere mich, dass ich immer noch laufen kann...
Jetzt
wollen wir endlich gemütlich auf dem Markt herumstöbern.
Aber die Marktverkäufer verhalten sich so aufdringlich und
nervtötend, dass wir keine richtige Freude dran haben. Wir
ergattern ein paar sehr leckere Papaya und setzen uns an den Straßenrand,
um sie genüsslich zu verzehren. Die gaffenden Leute sind uns
inzwischen piep egal. Besonders für meinen Freund ist das erstaunlich
- er leidet sonst sehr darunter, wenn er von Menschen angestarrt
wird.
Es
ist spät geworden. Wir überlegen, ob wir irgendwo in Wien
in Jugendherbergen oder auf Campingplätzen übernachten
könnten. Wir telefonieren herum und bekommen einige Adressen:
- Turmherberge,
Don Bosco 3, Wien, Telefon 7131494; Lechnerstr. 12
-
Myrthengasse 7, Wien, Telefon 5236316
-
Hostel Ruthensteiner 15, Wien, Telefon 8934202 oder 8932796; Robert-Hamerlinggasse
24
- Friedrich-Engels-Platz
Wien, Telefon 3328294; Weg: S-Bahn 1-2-3-7-15, dann mit der Straßenbahn
11a-15a, dann mit dem Bus bis Handelskee,
- Camping
Wien West Wien, Telefon 9142314; (4+5,50€/Pers; 8,30€/2
Pers); Weg: mit der Straßenbahn 14 bis Hüttelsdorf
- Bus 152/148
-
Camping Süd Wien, Telefon 8673649; Breitenfurterstr. 296,
www.wiencamping.at
-
In diesen Straßen in der Nähe vom Hauptbahnhof soll
es weitere Jugendherbergen geben:
-
Westbahnhof-Mariahilfgasse
-
Meiergasse
-
Florianhofgasse
-
Gumpendorferstr
-
Neustiftgasse
Aber
es ist schon zu spät, um jetzt auch noch den richtigen Weg
zu einer Herberge zu finden. Der ganze Aufwand - und auch die Frage,
wie und wann wir am nächsten Morgen weiterkommen - lässt
uns doch den Entschluss fassen, gleich direkt bis zur Grenze zu
trampen. Die Polizei erklärt uns am Bahnhof in Wien nicht wenig
schadenfroh, dass hier das Trampen verboten ist. Mein Freund schlägt
vor, mit dem Zug nach Nickelsdorf zur Ungarischen Grenze zu fahren.
Wir kaufen 2 Tickets à 10,50 € und fahren um 21.30 Uhr
abends los. Um 22.30 Uhr nachts kommen wir an.
Die
Straßen sind menschenleer. In den Fenstern der meisten Häuser
scheint kein Licht mehr. Es ist sehr weit. Wir marschieren im Dunkeln
mit dem schweren Gepäck Richtung Autobahn. Noch in Nickelsdorf
fragen wir in einer Kneipe doch nach einer Pension. Es gibt eine
- aber die ist 8 km weit entfernt - in der anderen Richtung.
Also
sind die "Würfel gefallen" und wir gehen in Richtung
Österreichischer Grenze. Einen Kilometer vor der Grenze sehen
wir links von der Straße einen Gebäudetrakt, der uns
an das Militär erinnert. Eine dunkle Gestalt kommt über
die Straße. Er greift hart an sein Maschinengewehr, scheint
nervös. Er fragt uns nach unserem Ziel. Wir erklären,
dass wir zur Grenze gehen. Er wünscht uns freundlich eine gute
Weiterreise.
Wir
äugen nach einem "lauschigen" Plätzchen, wo
wir endlich unser Zelt aufschlagen können, um in dieser Nacht
doch noch ein Auge zuzumachen. Links und rechts der Strasse ist
alles versumpft, nass und überall wächst sehr hohes Gras.
Als wir so dahingehen, entsteht vor uns plötzlich ohrenbetäubender
Lärm, der sich bis zur Unerträglichkeit steigert. Wir
fragen uns, ob uns wohl gleich eine Boing auf der Straße überrollen
wird. Es ist kaum auszuhalten. Wir starren in die Dunkelheit. Aber
es ist nichts zu sehen, Alles ist stockdunkel, bis auf den hellen
Schein am Horizont, wo wir den Grenzübergang vermuten. Endlich
lüftet sich das Geheimnis: ein nicht enden wollender Güterzug
donnert vorbei. Das wiederholt sich alle 15 Minuten. Es ist unglaublich,
welche Massen an Frachten hier auf Schienen über die Grenze
rollen.
Kurz
vor dem LKW-Rastplatz des Grenzüberganges in Richtung Österreich
steht ein Wachturm. Drei Soldaten "schleichen" schattenhaft
die Treppe herunter. Ich frage beherzt, ob wir hier im Gras schlafen
dürften. Sie sagen, dass wir frei seien und schlafen könnten,
wo wir wollen. Wir schauen uns um - aber überall sind die Wiesen
feucht und sehr hoch. Wir fragen an der Grenz-Tankstelle, wie wir
auf die andere Seite der Grenze in Richtung Ungarn kommen, weil
wir uns noch immer auf der Seite befinden, auf der die Leute von
Ungarn nach Österreich einreisen. Man zeigt mit dem Finger
auf eine sehr weit entfernte Autobahnbrücke, die in weiter
Ferne immer wieder von Scheinwerfern angeleuchtet aufblitzt. Wieder
erinnert uns das an eine "Fata Morgana". Wir entscheiden
uns, ein Stück auf dem Weg auf dem wir gekommen sind, zurückzugehen.
Es muss doch einen Platz geben, wo wir uns hinlegen können...
Endlich
sehen wir einen Feldweg, der von der Straße weg in die "Prärie"
führt. Nach ein paar Metern sehen wir eine kleine quadratische
Holzhütte. Ich wundere mich, dass "Jäger ihre Stände
jetzt schon auf ebener Erde aufstellen". Ein Gedanke blitzt
auf: ob wir wohl in dieser Hütte übernachten könnten?!?
Ich spüre, dass wir nicht alleine sind und beobachtet werden,
komme mir bei diesem Gedanken aber albern vor. Wir erreichen die
Hütte gerade, als die Türe sich lautlos im Dunkeln öffnet
und zwei Schatten auf uns zukommen. Es sind - wie kann man nur so
naiv wie ich sein?! - Grenzsoldaten. Bevor sie etwas sagen können,
erkläre ich, dass wir auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz
sind. Ein Soldat zeigt uns den Grenzverlauf, der in fünfzig
Metern Abstand direkt parallel zu der Hauptstraße verläuft,
auf der wir gekommen sind. Er zeigt uns einen geeigneten Platz zwischen
ein paar Büschen im Gras, wo wir unser Zelt aufschlagen können.
Die Soldaten sind sehr nett. Dennoch habe ich ein beklemmendes Gefühl.
Es ist stockdunkel. Sie erklären uns, dass es fünf Grad
kalt ist und dass es während der Nacht noch richtig eisig kalt
werden würde. Sie hätten da für sich ein "Wärmetier"
für solche Fälle. (Anmerkung: bei
einer späteren Internetrecherche finde ich nach längerer
Suche das "Magic
Wärmekissen" und auf der gleichen Seite den "Hand-
oder Body-Warmer")
Einer
der Soldaten kommt auf mich zu und hält es mir hin. Ich soll
es einmal anfassen. Ich erschrecke, weil ich nicht weiß, was
solchen Soldaten so alles einfallen kann. Er drückt mir etwas
in die Hand. Es fühlt sich an wie Fell und ist fast heiß.
Ich schrecke zurück. Das fühlt sich an wie ein richtiges
Tier! Was nicht alles erfunden wird! Die Soldaten lachen und ziehen
sich mit einem Gute-Nacht Gruß zurück, nicht ohne uns
darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie die ganze Nacht hier
Kontrollgänge machen werden. Damit wir uns nicht erschrecken.
Ich freue mich für die Soldaten, dass sie so tolle "Wärmetiere"
haben und wir nicht, und fange an, das Zelt auszupacken.
In
vier Minuten ist das Zelt trotz Nachtschwärze aufgestellt.
Drinnen ist es windgeschützt und deshalb nicht so kalt, wie
wir befürchtet hatten. Im Schlafsack wird es gleich warm. Wir
beobachten und lauschen den Soldaten noch eine Weile beim Patroullie
Gehen. Ein bisschen unheimlich ist es schon, wenn ihre schweren
Springerstiefel auf dem Weg knirschend an unserem Zelt vorbei marschieren.
Ein paar Mal habe ich das Gefühl, dass sie versuchen, einen
Blick ins Zelt zu machen. Dann schlafen wir endlich glücklich
ein.
Irgendwann
werden wir durch das unheimlich lang anhaltende Hupen eines LKW
geweckt. Es hallt alarmierend durch die Dunkelheit. Ein dunkles,
unheimliches Gefühl macht sich in unseren Mägen breit.
Bilder von Überfällen, Piraten, Tod und Vernichtung kreisen
in meinem Kopf. Es ist schwer, mit diesen Bildern wieder einzuschlafen.
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