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Abenteuerreise
2004
per
Anhalter
von
Deutschland in die Türkei -
Seite 8
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Donnerstag,
20. Mai 2004
Neunter
Tag
Istanbul,
Bauernmarkt - und Fahrt nach Fethiye
Am
nächsten Tag gehen wir wieder zu Haci. Er wirft sich mächtig
ins Zeug. Aber wieder haben wir keinen Job für ihn. Wir wollen
einfach nur der Nase nachgehen. Zuerst gehen wir auf der anderen
Seite der Hauptstraße "Büyük-Resit-Pasa-Caddesi"
in der Nähe unseres Hotels in Richtung Meer. Es geht lange
steil bergab. Dort treffen wir rein zufällig` und überglücklich
auf den Wochenmarkt am "Kumkapi-Bazar". Auf diesen Märkten
für die Einheimischen sind die Preise stets um ein vielfaches
besser. Das Kilo Gemüse oder Früchte kostet in etwa 500.000,00
Türkische Lire. Das entspricht etwa 35 Cent. Ich bin begeistert!
Hier kann ich endlich wieder handeln, gestikulieren und palavern.
Das macht einen riesigen Spaß. Auch mein Freund ist begeistert.
Und wir amüsieren uns köstlich darüber, dass ich
immer wieder von den Türken für eine Türkin gehalten
werde. Jetzt erst fange ich an, mich wie zu Hause' zu fühlen.
Danach
wollen wir noch mal zum geschlossenen Markt "Kapali Çarsi"
von gestern und auch auf den berühmten Kräutermarkt "Misir
Çarsisi", der in der Nähe des "Kapali Çarsi"
zu finden ist. Wir werden von einem sympathischen, perfekt Deutsch
sprechenden Türken angesprochen. Er lädt uns ein, in seinem
Laden mit ihm ein Glas Tee zu trinken. Er ist ein deutscher
Türke', der in Garmisch-Partenkirchen studiert hat. Er spricht
fast akzentfrei.
Er
ist Inhaber einer eigenen Lederschneiderei nebst der Boutique in
der Nähe des Eingangs vom "Çarsi Kapi". Er
hat sehr interessante Informationen für uns. Außerdem
bekommen wir Infos über den Kauf eines Hauses in der Gegend,
in der wir gerne wohnen würden. Ein einfaches Haus ohne viel
Luxus mit 2 Zimmern, Küche und Bad würde umgerechnet 40.000
bis 80.000 Euro kosten. Das sind Super Preise. Aber für ist
es im Moment nicht wirklich interessant, da wir vorerst noch in
der Weltgeschichte reisen wollen. Die Adresse von Yüksel sende
ich euch auf Anfrage gerne zu.
Wir
wollen wissen, ob es hier in Istanbul auch Internetcafés
gibt und finden ganz am Ende (bergabwärts) der Hauptstraße
"Büyük-Resit-Pasa-Caddesi" gleich mehrere gut
ausgestattete und ebenso gut besuchte Lokale.
Danach
machen wir uns auf die Suche nach einer Reisebusagentur für
einen Bus nach "Fethiye", unserem Reiseziel im Süden
der Türkei. Gleich in der Nähe unseres Hotels finden wir
auf der Hauptstraße "Büyük-Resit-Pasa-Caddesi"
das Büro der Bus-Agentur METRO. Die Busfahrt soll für
uns beide zusammen 45 Euro kosten. Wir nehmen das Angebot sofort
an.
Danach
suchen wir den berühmten Kräutermarkt "Misir Çarsisi",
um uns vor der Reise noch mit leckeren Mandeln und Cashewnüssen
einzudecken. Hier geht es zu wie bei uns auf dem Oktoberfest. Es
gibt kaum ein Durchkommen, die Straßen sind verstopft von
Menschen. Sie handeln, hasten und suchen. Lastwagen entladen ihre
Ware im Eiltempo. Wie sie hier hingekommen sind, kann man sich bei
dem Gerangel kaum vorstellen.
Endlich
finden wir den Eingang des "Misir Carsisi". Es duftet
herrlich nach Gewürzen. Reichlich verzierte Auslagen laden
ein überall zu naschen. Und weil z.B. die Pinienkerne, Cashewnüsse
und Datteln so lecker schmecken, wollen wir uns reichlich mit Vorrat
eindecken. Mein Freund schickt mich zum Verhandeln wie immer vor,
weil er keine Fremdsprachen spricht. Und wie zu erwarten ist er
dann auch mit den Ergebnissen unzufrieden. Entweder habe ich ihn
nicht richtig verstanden`; oder ich habe nicht richtig übersetzt;
oder der Ansprechpartner hat nicht so geantwortet, wie mein Mein
Freund es sich vorgestellt hat.
 Und
so liegen wir uns wieder in den Haaren. Mein Freund kann oder will
nicht verstehen, dass ich mich unter den gegebenen Umständen
total überfordert und in meiner Haut absolut unwohl fühle.
Zuletzt fliegen die Fetzen. Immer ist es seine Kontakt-Angst, die
ihn dazu treibt, mich in ziemlich pein
liche
Situationen mitten im Gespräch mit den Händlern und anderen
Leuten zu bringen. Ich reagiere zuletzt sehr heftig, woraufhin er
noch extremer wird. Ich habe keine Lust mehr, mache mich in dem
irren Getümmel auf dem Markt aus dem Staub. Draußen vor
dem Markt auf dem großen Platz, wo der Ausblick auf die mit
märchenhaft anmutenden Moscheen besetzten Hügel mir das
Herz höher schlagen lässt, fällt mir wieder ein,
dass mein Freund jetzt mit der Gefolgschaft seiner Ängste und
Sprachbarrieren gänzlich alleine ist - und vermutlich die Hölle
durchmacht. Zuerst bekomme
ich einen riesigen Schreck, als ich in das Menschengewühle
blicke. Es scheint undurchdringbar. Eine dunkle, sorgenvolle Wolke
will sich meiner bemächtigen. Ich lasse sie passieren und weiß,
dass der sonnengebleichte Schopf meines Freundes irgendwann im Gewirr
auftauchen wird. Gelassen betrachte ich die emsig umherlaufenden
Menschen. Ein großes Gefühl von Freiheit macht sich in
mir breit. Immer wieder sagt mir eine innere Stimme, dass mein Freund
letztendlich selbst entscheiden kann, ob er die Verantwortung für
gewisse Situationen selbst übernehmen will. Oder ob er die
eigene Verantwortung ungefragt anderen Leuten übertragen will,
die diese aufgebürdete Verantwortung vielleicht gar nicht haben
wollen, und sie deshalb wieder auf ihn selbst zurückwerfen.
So würde er sich irgendwann - früher oder später
- gezwungen sehen, die Bewältigung seiner Angelegenheiten und
Situationen endlich selbst zu übernehmen.
Nach
einer Weile spüre ich den Impuls in meinem Bauch, nun einmal
nach meinem Freund zu sehen. Bingo! Da kommt er auch schon - grins!
Er freut sich wie ein kleines Kind und ich bin zutiefst erleichtert.
Später versuche ich ihm noch einmal zu erklären, dass
er seine Situationen selbst in die Hand nehmen, und die Verantwortung
dafür selbst tragen muss. Aber mein Freund scheint nicht zu
verstehen, dass meine Bereitschaft, all die Auswirkungen seiner
eigenen Ängste für ihn zu tragen, auf Null gesunken ist.
Schon allein deshalb, zumal er wenn ich ihm dann schon helfe - auch
noch all seine unangebrachten, fehlgelenkten oder ungerechten Emotionen
mir zu tragen überlässt. Mein Freund versteht kein Wort
von dem, was ich ihm sage. Für mich sieht es so aus, als gäbe
er sich auch keine große Mühe zu verstehen und hätte
auch keine Lust sich Mühe zu geben.
Mein
Freund verlangt stillschweigend`, dass man (frau) den Groll,
den er über sein eigenes "sich nicht Trauen", "nicht
Können" oder "Desinteresse" im Bezug auf den
Umgang mit Menschen hegt, immer nur versteht. Er verlangt unausgesprochen,
dass man die daraus resultierenden, nicht selten negativen Ergebnisse
immer nur versteht. Und er verlangt, dass man versteht, dass er
keine oder kaum eine Anstrengung unternehmen will, diese Ängste
endlich zu überwinden.
Er
erwartet stillschweigend, dass man die eigene Wut - die er auf sich
selbst wegen den Auswirkungen seines scheinbaren' Desinteresses
und seiner Angst in Bezug auf den Umgang mit Menschen hat - einfach
so hinnimmt. Natürlich gibt es diese Ängste bei ihm nicht,
wenn man mit ihm darüber sprechen will.
Nach
einem weiteren Konfliktgespräch zwischen uns geht es plötzlich
super weiter. Mein Freund scheint wie umgewandelt. Ich bin sprachlos...
und ich finde zwei wunderschöne selbstleuchtende Sterne am
Straßenrand!
Wir
verlassen das geschlossenen Markthallen und gehen über die
"Galata Köprüsü" (Galatabrücke). Überall
wird gefischt. Wir können uns kaum vorstellen, wie der Fisch
aus diesen Gewässern schmecken kann. Das Meer ist zwar wesentlich
sauberer, als es noch vor einigen Jahren war. Aber einen Fisch würde
ich von hier nicht essen wollen.
In
der Mitte der Brücke führt eine Treppe nach unten - ins
"Innere der Brücke". Dort reihen sich Cafes, Teestuben
und Verkaufsstände wie Perlen aneinander.
Vor
Jahren hatte ich hier einmal mit einem türkischen Freund
gesessen, Wasserpfeife geraucht und das traditionelle Spiel "Tavla"
(Backgammon) gespielt. Während wir so ahnungslos unseren
Tee schlürften und genüsslich am Schlauch der Pfeife
sogen, manövrierte draussen auf dem Wasser ein Schwiff mit
einer beweglichen Plattform. Sie gaben ihr einen Schubs, um sie
in eine andere Position zu bringen. Als ich gerade wieder über
einen Zug unseres Spiels nachdachte, sah ich mit Entsetzen, wie
die Plattform direkt auf uns zusteuerte. Niemand schien es bemerkt
zu haben. Ich schrie laut auf "um Gottes Willen - wir müssen
weg hier! Sie wird gleich die Brücke treffen!" Jetzt
schauten auch die anderen Gäste und verliessen panikartig
ihre Sitzplätze. Mein Freund schien die Szene vor seinen
Augen nicht ernst zu nehmen. Ich fing an zu rennen und da schien
auch er von seinem Schock zu erwachen. Als wir gerade die Treppe
erreicht hatten, traf die Plattform die Brücke. Ein paar
Stahlträger splitterten wie Zahnstocher, ein Loch klaffte
im Beton, wo wir eben noch gesessen hatten. Mir rannten vor Schreck
die Tränen herunter. Oft hängt das Leben nur an ein
paar Sekunden ...
Nachdenklich
schlendere ich jetzt mit meinem Freund im Inneren der Brücke
wieder zurück zum großen Platz vor dem geschlossenen
Markt. Oben am Eingang vom "Kapali Çarsi" treffen
wir noch einmal den Typen der Lederboutique.
Wir
gehen wieder zurück zur Metro-Agentur, mit der wir nach "Fethiye"
fahren wollen. Wir zahlen unsere Tickets und setzen uns auf die
fast menschenleere Steintreppe, die zwischen den alten Steinmauern
empor zur Moschee (Cami) führt. Ein paar lustige türkische
Schülerinnen kommen die Treppe herauf und setzen sich hinter
uns. Sie fangen an zu singen. Mir hüpft das Herz vor Rührung
und Freude! Das haben die Türken den Deutschen weit: wie schwer
auch das Leben für die Türken manchmal sein mag, sie haben
immer ein fröhliches Lied auf den Lippen. Sie schämen
sich auch nicht, laut zu singen, egal wer es hören könnte!
Um
19.30 Uhr ist Abfahrt mit dem kleinen Metro-Service-Bus zum großen
Busterminal am "Bayram-Pasa". Dort steigen wir um in den
großen Reisebus. Um 21.00 Uhr rollt der Bus endlich los. Die
Fahrt durch Istanbul zieht sich endlos dahin. Es geht vorbei an
etlichen weiteren Bus-Terminals. Zeitlich gesehen hätten wir
in Deutschland inzwischen ganz Bayern durchquert. Unterwegs machen
wir zweimal Rast in wenig einladenden Fastfoodhallen, wo es für
uns absolut nichts Essbares gibt.
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