1998
besuchten mein Mann und ich seine Schwester in Istanbul.
Auch Meserrett und ihre Tochter Ebru kamen zu Besuch. Die Schwester führte
uns durch die Stadt. Mein Mann fuhr wie ein Weltmeister durch den bordelnden
Verkehr Istanbuls. In dieser Stadt mit dem Auto ohne Komplikationen zurecht
zu kommen grenzt an Artistik.
Wir besuchten den Sultan Ahmet Palast, Yerebatan - die unterirdische Zisterne
Istanbuls, wo bis heute die Medusa ihre reumütigen ''Tränen''
weint, das Künsterviertel von Istanbul, wo namhafte türkische
Künstler ihre Residenz haben, das Seidenmalereiviertel, wo man bei
Großmeistern direkt vor Ort Kurse nehmen kann. Die Bilder auf den
nächsten Seiten sprechen für sich.
Wenn ich mit meinem Mann Istanbul besuchte, um zu bummeln und Amtsgänge
zu erledigen, gingen wir oft weite Strecken durch Istanbul. Wir gingen
frühmorgens los und kamen Abends zur Fähre in Kartal zurück.
Die Füsse taten uns weh - aber wir waren glücklich. Einmal waren
wir gerade mit dem Auto unterwegs. Da tauchte im Bosporus ein riesiger
russischer Tanker auf. Er war so groß, dass ich glaubte, er würde
den ganzen Traum ausfüllen. Nach einer Weile kam mir in den Sinn,
diesen Riesen zu fotografieren. Aber er war schon so weit weg, dass man
auf dem Bild kaum noch erkennen kann, wie groß er war.
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Jason
zog vorbei
In
welchem Maß hat das Wasser Anteil an der Schönheit Istanbuls?
Das ist schwer er zu sagen, aber eines ist gewiss: Wasser verklärt.
Wasser schafft Besonderheiten: Inseln, Halbinseln, Beinaheinseln. Istanbul
ist eine Beinaheinsel: an den Ufern des Marmarameeres, an den Ufern des
Goldenen Horns, an den Ufern des Bosporus, in dessen kräftiger Oberströmung
Schwarzmeerwasser und in dessen sanfter Oberströmung Schwarzmeerwasser
fließt. Bei Istanbul mischen sich Meere. Im Wasser stoßen
Kontinente aufeinander. Die Wellenschaukel von Galata nach Üsküdar,
zwischen Okzident und Orient hat schon immer Reisende bezaubert und Dichter
beflügelt. Oder Chronisten zutiefst erschreckt.
Die Reisenden:
Der Bosporus zwischen Schwarzem Meer
und Marmarameer. 30.5 Kilometer lang, bei einer Tiefe von 35 bis 125 Metern,
750 bis WO '.Meter breit, bietet ihnen bei einer Überquerung Ausblicke
auf eine grandiose Stadtkulisse und das dumpfe Bewusstsein: Drüben
beginnt Asien. Asien klingt wie Istanbul mit fremdem Zungenschlag. Aber
so ist das nicht. Galata hat Üsküdar eingeholt. Üsküdar
hat Galata eingeholt, Wo endet Europa? Wo beginnt Asien? Man vergeß'
die Frage!
Die Dichter:
In
ihrer Phantasie marschiert das Morgenland in Pluderhosen. das Abendland
in römischen Sandalen. Ihr Bosporus ist eine Bühne von Akteuren:
Eine Göttin verwandelte sich in eine Kuh und überquerte die
Meerenge. Jason zog auf seiner Fahrt nach Kolchis hier vorbei, um das
Goldene Vlies zu holen, das im Hain von Ares von einem Drachen bewacht
wurde. Dareios setzte sich auf den heißen Stein einer Klippe und
ab sinnend über das Schwarze Meer hin. Sultane fuhren in Booten auf
seidenen Kissen in die Sommerfrische. Istanbuler strebten in Kajiks zu
Wen Yalis am anderen Ufer.
Die
Chronisten:
Meerengen
waren schon immer eine gute Voraussetzung für ihre Federn. Konstantin
der Große setzte von Chrystopolis über den Bosporus und machte
Byzanz zur Hauptstadt des Römischen Reiches. Mehmet der Eroberer
kam mit siebzig Schiffen, löschte die Lichter von Konstantinopel
und erhob Istanbul zur Metropole des Osmanischen Reichen. Mehmet VI.,
der letzte Sultan, vertauschte seinen Palast mit einer Kabine auf einem
britischen Kriegsschiff. Er floh über das Marmarameer. Schicksal
von Insel-, Beinahe-Insel-Städten: Das Gute und das Böse kamen
immer über das Wasser.
Heute
gilt für die türkischen Meerengen der Status der Konvention
von Montreux aus dem Jahre 1936. Er besagt, dass die Kontrolle über
die Wasserstraßen von der Türkei ausgeübt wird.
Die Wächter sind wachsam: Im Frieden dürfen alle Handelsschiffe
passieren, die Kriegsschiffe nur nach vorheriger Anmeldung und festgesetzter
Größe des Flottenverbandes. Im Kriegsfall - ohne die Teilnahme
der Türkei am Krieg - ist es den Kriegsschiffen, soweit sie an der
Ausübung von Völkerbundsanktionen beteiligt oder durch Beistandsverträge
verpflichtet sind, erlaubt, die Meerenge zu durchfahren. Fühlte sich
die Türkei bedroht, oder würde sie in einen Krieg verwickelt,
läge die Sperrung oder Öffnung von Bosporus und Dardanellen
im Ermessen der Türkei. Die Widersacher sind begehrlich: Seit den
Tagen Peters des Großen verfolgt Rußland das Ziel, das Fenster
zum Süden, die jeweils ungehinderte Passage durch türkische
Gewässer, aufzustoßen. Früher fehlte es nicht an Säbelgerassel,
heute fehlt es nicht an verlockenden Angeboten. Bis jetzt hat die Türkei
aber ihr wertvollstes außenpolitisches Pfand nicht aus der Hand
gegeben. Die Aversion gegen Rußland ist historisch. Die Hinwendung
zum Westen von Konflikten beeinträchtigt. Die Zukunft ist ungewiss.
Alles ist möglich.
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Zu den Sehenswürdigkeiten
von Istanbul gehört der Topkapi-Palast, die Residenz der ottomanischen
Sultane über vier Jahrhunderte. Von hier hat man einen herrlichen
Ausblick auf die Stadt, auf das Goldene Horn, den Bosporus und das Mamara-Meer
mit den Prinzeninseln bis hinüber nach Asien. Topkapi ist nicht nur
ein Palast, sondern ein Komplex von Gärten, Gebäuden, Bibliotheken
und natürlich dem Harem, dem Quartier der Frauen.
Im
Museum des Palastes gab es uralte Dinge - auch Waffen, die aus der Zeit
von Mohammed stammen sollen - zu sehen. Sandalen, Schwerter und riesenhafte
Rüstungs-Handschuhe liessen vermuten, dass die Menschen damals Riesen
gewesen sein mußten. Bei der Vorstellung, welche Erscheinung sie
gewesen sein mochten, wurde mir ganz merkwürdig zu Mute.
In einem muslimischen Teil des Palastes sang ein Muazzedin Verse des Korans.
Ich beobachtete ihn eine Weile aus der Entfernung. Er wirkte wie verklärt
- völlig hingegeben an diesen Klang der durch das Singen der heiligen
Verse wie ein unsichtbares und unerschütterliches Gewölbe im
Raum stand... Ich gab mich noch eine Weile diesem Anblick und dem herrlich
innigen Gesang hin, dann suchte ich wieder den Anschluß zum Rest
der Familie...
Ich habe auf
meinen großen Reisen mehrfach erlebt, dass mich der Gesang eines
Imams oder Vorbeters in der Nacht so gerührt hat, dass ich weinen
mußte. Manchmal kommt mir der Gesang vor - wie der Gesang der Nachtigallen
oder des Feuervogels in den Märchen... voller Sehnsucht, Inbrunst,
Hingabe, und Liebe.
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Mein
Mann und die anderen waren noch im den Museumsräumen am staunen,
während ich in den Hof ging, um mich dort umzusehen. Da sah eine
Ecke aus dicken Palastmauern, in der einen war eine reich beschnitzte
hölzerne Türe, die einen Spalt weit offen stand. Ich eilte sogleich
hin, um hineinzuspähen. Doch die Holztüre war so dick, dass
die den Spalt verdeckte und ich kaum hineinblicken konnte. Doch das, was
ich sah, erinnerte mich an die Märchen aus Tausend-und-eine-Nacht.
Neben der Türe entdeckte ich ein Schild, worauf zu lesen stand, dass
sich hier die Haremsräume des Palastes befanden.
Da sah ich vor mir das Bild wunderschöner Frauen, die in herrlich
luftige und wunderschöne Stoffe gewandet miteinander schwatzten,
sangen, tanzten und in einem in der Mitte in den Raum eingelassenen Wasserbecken
badeten... und wie sich gegenseitig zärtlich kosten. ich sah sie
gemeinsam durch die Hallen wandeln - oder in der schönen alten Stadt
Istanbul spazieren gehen... und dachte so bei mir: ''Wenn die Frauen eines
großen Mannes ihre Gesinnung von Neid und anderen hinderlichen Gefühlen
entledigt hatten, mußte ein solches Leben einer Frau paradiesisch
vorkommen...
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