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Cinarcik - mein geliebtes Cinarcik

Wir fuhren also mit dem Bus nach Cinarcik. Kilometer lang zogen sich auf unserem Spaziergang unfertige Rohbauten entlang. Wir gingen am Strand entlang bis ans Ende von Cinarcik wo die Straße verzweigte. Geradeaus führte sie am Strand entlang hinter einer Bergnase weiter und nach links bog sie in Richtung Yesilköy ab. Dort folgten wir der Straße noch ein Stückchen. Ein unbarmherziger, eisiger Sturm zerfetzte alles, was ihm in die Quere kam. Fensterläden klapperten, Türen quietschten und fielen krachend auf und zu. Das Meer war aufgepeitscht und rauh von den eisigen Winterstürme. Der Ort war menschenleer. Ich war von dieser einsamen, verlassenen und fast trostlos wirkenden Gegend angetan. Und so fragte Kemal in einem bewohnten 3-stöckigen Haus an, ob eine Wohnung zu vermieten sei.

Bulut-Apartment - Das Wolken-Apartment

Wenig später zogen wir ins oberste Stockwerk ein. Das Haus lag ca. 3 Kilometer von der Bushaltestelle und vom Fährenhafen nach Istanbul entfernt.
       Cinarcik 1993 - Metin Kar
 
Das ''Bulutapartement'' von vorne        von hinten
         

Eingang zu meinem geliebten 'Wolken-Apartment''
Hier saß regelmäßig der Pfeife schmauchende 
Ur-Opa des Hausesvor dem HausÜber dem Eingang stand zu lesen: Bulut-Apartment. Bulut heißt Wolke. In diesem Haus erlebte ich eine wundervolle Zeit während der Sturm draussen tobte. Es war ein wunderbares Gefühl des Glücklichseins. Glück in mir und aus mir heraus. Ich fühlte mich manchmal wirklich, als würde ich auf Wolken gehen... In der Idylle dieses Städtchens erlebte ich eine herrliche Unbeschwertheit und Leichtigkeit - ich erlebte meine ''zweite Kindheit''.

Auf dem Stühlchen vor dem Haus pflegte das betagte Oberhaupt der Familie sehr gerne Pfeife schmauchend auf dem Stühlchen vor dem Haus zu sitzen. Sie waren die Vermieter unserer Wohnung im obersten Stockwerk. Sie hatte 5 große Zimmer. Ich war überglücklich. Das 5. Zimmer war mit metallenen Bettgestellen vollgestellt, in der Ecke stapelten sich Bettzeug und Matrazen. Diese stellten wir uns alle in einem kleineren Zimmer zu einer Bettwiese zusammen. Wir hatten in der ganzen Wohnung nur einen kleinen Holzofen im Wohnzimmer stehen, der die Wärme nicht halten konnte, weil er keine Schamottabdichtung hatte. Da der Winter hier mit heftigen und eisigen Stürmen sehr kalt war, lag ich oft in die bauschigen Daunendecken geschmiegt und lauschte dem Orgeln des Windes. In der Nähe klapperten die Fenster eines unfertigen Rohbaus. Manchmal schien es, als wollte der pfeifende, eisige Bruder Wind das Haus abdecken. Dann lauschte ich stundenlang im Radio, das ich aus Deutschland mitgebracht hatte - der herrlichen Musik des Jazzers Pat Metheny.- und war glücklich.

Oft ging ich ein Stück der Straße in Richtung Yesilköy und zweigte dann in die Olivengärten oder auf Feldwege die Hänge hinauf ab. Überall gab es wunderbare Dinge auf dem Weg zu sehen, duftende Blumen und wilde Kräuter, Esel, die friedlich auf blumenübersähten Wiesen grasten, uralte Olivenbäume, die ihren herrlichen Frieden verströmten. Es gab Kühe, die ohne Zaun und Gatter mit ihren Kälbern hier spazieren gingen. Manchmal war auch ein Stier dabei, dann mußte man vorsichtig sein. Einmal konnte ich mich gerade noch hinter einen Sandhaufen retten. Der Stier schnaubte und stampfte. Staub wirbelte auf, dass ich kaum noch etwas sehen konnte. Und dann kam er gerannt - und ich hechtete hinter den Sandberg. Der Stier rammte seine Hörner hinein und ich suchte in Windeseile das Weite...

Wir hatten kaum Geld und so sammelte ich Kräuter: Es gab starke natürlich gewachsene Nane-Pfefferminze hier, Brombeer- und Himbeerbüsche. Von ihnen sammelte ich die Blätter an den Spitzen, trocknete sie und bereitete Tee davon. Aus den Rankenspitzen machte ich zusammen mit den Kräutern, Gänseblümchenblättern und -Blüten, jungem Löwenzahn ein paar Kartoffeln und Olivenöl vom Markt herrliche Salate. . Selbst Kemal war begeistert.
Er wunderte sich immer darüber, welche Dinge sich aus den Geschenken der Natur zaubern liessen. Manchmal bekamen wir von Bauern Frühlingszwiebeln geschenkt, die sich gut für ein paar Mahlzeiten eigneten.

Zwei mal kamen Zigeunerfamilien mit ihren Maultieren und Pferden hier an. Sie bauten sich hinter dem Haus aus Weiden Tunnelartige Gerüste, legten Plastikplanen darauf und darüber bunte Stoffbahnen. Ich schaute ihnen jedesmal dabei zu und konnte eine Menge dazu lernen. Ihre Pferde weideten vor den Zelten auf der Wiese. Es regnete im Winter nicht selten. Die Zigeuner zogen sich in ihre Zelte zurück. Es qualmte aus einem Ofenrohr heraus, das aus dem Zelt stakte. Sie wuschen ihre Wäsche im freien in einer großen Schüssel und hängten die Wäsche über die Büsche oder legten sie direkt auf die Wiese zum trocknen. Ihre Pferde standen tagelang fast regungslos im Regen. Und wenn die Sonne ihre Strahlen ausschickte, wälzten sie sich vor Freude wihernd auf dem Boden. Es dauerte nicht lange und ich schloss Freundschaft mit ihnen.

 

Spaziergang nach Armutlu

Spaziergang nach Esenköy Einmal hatte ich mich beim Spaziergang zusammen mit Baris (damals schlummerte er noch in meinem Bauch) vom Bulutapartment bis nach Armutlu gewagt - einem Dorf, wo alles wirkte, als hätte die Zeit hier vergessen vorbeizuschauen. Der eisige Sturm, der um diese Jahreszeit herrscht, schnitt mir in die Ohren und die Stimmung war sehr abenteuerlich. Mir war ein wenig bang, hier alleine so weit vorzudringen. Doch die Neugierde, was mich wohl auf diesem geheimnisvollen Weg erwarten würde, war größer gewesen.

Die Häuser waren sehr klein und einfach gebaut. Sie liessen vermuten, dass die Familienangehörigen hier auf engstem Raum miteinander lebten. Hühner und Schafe liefen frei herum, ältere Männer saßen Pfeife schmauchend vor den ''Hütten'' oder machten sich irgendwie nützlich. Frauen taten ihre Hausarbeit. Für alles schienen sie unbegrenzte Zeit zu haben, denn niemand hetzte herum ... es wirkte sehr friedlich hier.

Zweimal hatte mich mein Weg hierher geführt - und jedesmal waren die Leute vor ihre Hütten gekommen und hatten mich aus schweigenden Augen angestarrt - so dass mich ein sehr beklommenes Gefühl beschlichen hatte und ich schnellstens auf dem Weg auf dem ich gekommen war - wieder kehrt gemacht hatte.

Dann war ich mit Kemal (dem Vater von Baris) in die Nähe nach Yalova gezogen, wo seine Tante Ganimet wohnte, wo ich Baris im Devlet Hastanesi (Volkskrankenhaus) zur Welt bringen sollte.
Einige Wochen nach der Geburt kamen wir wieder nach Cinarcik zurück und zogen in diesem herrlichen Haus ganz am Ende des Ortes ein.

 

Cinarcik 1998 - das letzte Foto vor dem Erdbeben 1999Erdbeben in Cinarcik 1987

Eines Nachts hörte ich ein nie zuvor gehörtes Geräusch. Es war wie das Röhren einer überdimensionalen Posaune. Oder wie das Brüllen eines Riesen aus den alten Märchen. Es klang schaurig und schien aus den tiefsten Tiefen der Erde zu kommen. Ich bekam bei diesem Röhren Gänsehaut und hatte mich in Sekundenschnelle aufgesetzt. Da begann ich auch schon zu schwanken - und mit mir alles um mich herum. Da wußte ich: 'Die Erde hatte ihre Posaunen geblasen!' Ein Erdbeben!!!

Im Jahr 1999 beim großen Erdbeben in der Türkei wurde dieser wunderschöne Ort fast gänzlich dem Erdboden gleich gemacht.

(Weiterlesen bei Bodrum)


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