Yalova
- Geburt meines Sohnes Baris im Staatskrankenhaus
Yalova
Als
wir wieder einmal im Thermalbad waren und ich mich im herrlich warmen
Wasser entspannte, da krachte es in meinem Becken und ich spürte
deutlich, wie sich alles ganz plötzlich - fast ohne Vorwarnung
weitete. Zuerst ignorierte ich diese Hinweise. Aber es wurde rasch
heftiger und fast hatte ich das Gefühl, dass ich das Kind im
Bad zur Welt bringen würde. Mich ergriff Panik. Ich hatte keine
Ahnung vom Kinderkriegen - und wollte plötzlich so schnell
wie möglich ins Krankenhaus. Wir zogen uns an und eilten zum
Bus so schnell ich konnte. Der Bus fuhr durch große Schlaglöcher
und ich wurde ganz verkrampft, um das Baby nicht mitten im Bus stehend
zur Welt zu bringen. Am Busbahnhof angekommen mußte ich noch
einige Meter laufen, bis wir endlich am Krankenhaus ankamen.
Aber hier wurden wir nicht wie bei uns in Deutschland von einer
handvoll Sanitäter oder Krankenhelfer empfangen. Ich ging den
langen gang mit letzter Anstrengung hinunter. Kemal sprach mit den
Schwestern und Ammen. Einen Arzt schien es hier nicht zu geben.
Ein Bett wurde mir zugewiesen. Ich zog mich aus und legte mich sofort
hin. Plötzlich hörten die Wehen wie fortgeblasen auf.
Ich vermute, dass Baris sich gedacht hatte, dass er durch so eine
verkrampfte Türe lieber doch noch nicht gehen wollte. Kemal
verabschiedete sich, da er sich hier nicht aufhalten durfte. Dieser
Bereich sei nur Frauen zugänglich wurde mir erklärt. Es
dauerte nicht
lange, da brachten sie eine Frau herein, die wand sich vor Schmerzen.
Sie legten sie in ein Bett neben mir. Die Verwandten, die sie begleiteten,
riefen unablässig nach
einer Amme. Sie waren verzweifelt und weinten. Mir war plötzlich
sterbenselend in dieser Atmosphäre. Niemand kam zu Hilfe. Dann
schlief ich vor Erschöpfung ein. Nach etwa einer Stunde erwachte
ich wieder und sah zu der Frau hinüber. Ihre Bettdecke war
auf der Höhe ihres Schoßes blutgetränkt. Eine andere
Frau bemerkte es auch und schrie um Hilfe. Fast dreissig Minuten
lang kam niemand - dann plötzlich kam ein Arzt und zwei Männer.
Sie schlangen sich die Arme der Frau um den Hals und schleppten
sie fort. Ich zitterte am ganzen Leib. Zurück blieb ein unglaublich
trauriges und leeres Gefühl. Am Spätnachmittag kam Ganimet.
Sie hielt mir die Hand und blieb eine ganze Weile bei mir. Sie stärkte
mich und erklärte mir, das ich ruhig atmen solle. Ich versuchte
ihrem Rat so gut ich konnte zu folgen. Die Wehen wurden jetzt wieder
stärker und kamen in immer kürzeren Abständen. Eine
Amme kam und steckte ihren Mittelfinger in meine Vagina und zog
kräftig daran. Mir wurde fast schwarz vor Augen als ich erfahren
durfte, dass dies der Test sei, ob die Öffnung sich schon genug
geweitet hatte, um eine Geburt einzuleiten. Ich erklärte vehement,
dass ich keine künstliche Geburtseinleitung wünschte.
Aber die Schwester kam immer häufiger, um nachzusehen. Das
war doch irgendwie beruhigend, sonst hätte ich wohl noch die
Geburt meines eigenen Sohnes verpasst?!?
Irgendwann kam sie wieder und befahl mir aufzustehen und mitzukommen.
Ich zog meinen Morgenmantel über und folgte ihr brav in das
Kreiskämmerchen. Von einem Kreissaal kann kaum die Rede sein.
Aber das war mir jetzt auch egal. Hauptsache, Baris überlegte
es sich jetzt nicht doch noch mal anders. Es kamen noch zwei Ammen
herein. Bei einer heftigen Wehe feuerten sie mich alle drei mächtig
an, als hätte ich ein spannendes Match zu bestehen. Ich presste
und presste - aber es ging nicht. Und mein Arzt, dessen Horrar ich
bereits beglichen hatte, war auch nicht gekommen. Mir war Angst
und bange. Als ich die Schmerzen kaum noch ertragen konnte, war
er plötzlich da - mein Arzt. Ich schrie in den Wehen und er
sah mich an und sagte: ''Wenn sie nicht aufhören zu schreien,
dann gehe ich wieder!'' Und er drehte sich um und machte Geste,
zu gehen. Da wurde ich stumm und schrie innerlich - bis ich ohnmächtig
wurde. Ich erwachte wie mich jemand auf die Backe schlug. ''Pressen
- pressen - aman Allahim - pressen sie doch weiter!'' Die Schmerzen
im Damm waren jetzt so stark, dass ich nicht wußte, ob ich
nun gleich einen großen Haufen - oder meinen Sohn gebähren
würde. Es war mir unendlich peinlich. Ich wußte nicht,
ob es anderen Frauen in dieser Situation auch so ging und ich wünschte
mir, ich hätte vorher noch daran gedacht, auf die Toilette
zu gehen.
Ich presste weiter. Etwas riss und schmerzte wie der Schnitt eines
Messers. Jetzt bat ich doch um eine Spritze. Und dann versuchte
ich es aus leibeskräften noch einmal und spürte, wie der
Druck nachliess. Mein Baby war auf die Welt gekommen. Es war ein
Junge. Sie nahmen ihn sofort weg und klatschten ihm auf den Po.
Er sah aus wie ein grüner Alien. Ich war im ersten Moment schockiert.
Er schrie und atmete nicht. Sie rüttelten ihn... da brüllte
er los.
Und dann legten sie ihn mir auf die Brust. Meine Gefühle waren
zerrissen. Er war noch nicht gereinigt. Und mir schoss es durch
den Kopf, dass Indianerinnen ihre Kinder selbst abnabeln. Aber in
diesem Augenblick fühlte ich mich plötzlich unendlich
verlassen und hilflos im großen Universum schweben. Als hätte
ich mich in meinen eigenen Bauch geflohen.
Der Arzt hatte mir noch zugemurmelt: ''Ich hab doch nur Spass gemacht!'',
wünschte mir alles gute und war auch schon verschwunden. Man
nahm Baris wieder fort und ich schlief sofort wieder ein. Wieder
erwachte ich von Schlägen auf die Wange. Ich hatte schreckliche
Schmerzen. Es brannte an meiner Vagina. Ich fragte die Schwester,
was passiert sei. Sie antwortete, dass sie mich vernähen müsste.
Sie gab mir eine Spritze. Nachdem sie ein paar Minuten gewartet
hatte, begann sie zu nähen. Aber ich spürte jeden Stich
und hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ich sagte es
ihr. Aber sie schüttelte den Kopf und nähte weiter. Ich
war froh, als die Prozedur überstanden war. Dann befahl sie
mir aufzustehen und zu meinem Bett zu gehen. Ich fiel fast hin.
Die Schmerzen waren unerträglich. Eine Amme half mir zum Bett
zurück. Dann legte man Baris in einen Kundak gewickelt zu mir.
Kundak ist eine enge Wicklung aus Windeln um das Baby, die verhindern
sollen, dass es sich zu stark bewegt und aus dem Bett fällt.
Indianer tragen ihre Babys auch eng verschnürt bei sich.
Nun war auch Kemal hier. Er blieb eine kurze Weile. Ich sagte ihm
dass ich vom Leben Baris Manco's - dem großen freigeistigen
Musiker der Türkei sehr angetan war - und dass sein Name auch
noch Frieden bedeute, und dass ich seinen Namen wunderbar fände.
Kemal war sofort einverstanden. Wir gaben also unserem Sohn den
Namen Baris. Und dann mußte Kemal auf Anweisung der Ammen
wieder gehen. Ich mußte dringend zur Toilette. Eine Zimmernachbarin
half mir beim Aufstehen. Jeder Schritt schmerzte entsetzlich. Ich
kam endlich in der Toilette an. Es waren türkische Klosetts.
Becken, auf die man sich stellen und dann in die Hocke gehen mußte.
Aber ich wußte nicht, wohin ich mich stellen sollte. Alles
war bis über Kniehöhe voll mit gebrauchten und getränkten
Binden, mit Stuhl und Erbrochenem - mir wurde schwindelig und ich
mußte gar nicht mehr. Ich stellte mich ganz vorne an den Rand,
um wenigstens für kleine Mädchen zu machen... Dann wollte
ich mir die Hände waschen. Als ich den Wasserhahn öffnete,
kam ein einziger kläglicher Tropfen heraus. Das reichte. Es
war wie ein Trip durch eine Geisterbahn auf dem Oktoberfest. Wenn
ich erleichtert in mich zusammensinken wollte, weil ein Schock überstanden
war, öffnete sich sogleich eine Klappe in der Wand, hinter
der ein weiteres Gespenst hervorschnallzte um mir fast ins Gesicht
zu springen - und mich anzubrülllen...
Ja - langsam fing ich an, das alles für ganz normal zu nehmen
und mich überhaupt nicht mehr zu wundern. Aber ich hatte nicht
mit Araberinnen gerechnet.
Als Baris in der Nacht erwachte und zu schreien begann, erwachte
auch ich im taghell erleuchteten Raum und sah ein paar schleierbewehrte
Araberinnen sitzen, die offensichtlich eine Verwandte besuchten.
Neben mir lag eine Frau, die ebenfalls gerade entbunden haben mußte
mit ihrem Säugling im Bett. Sie schaute ihr Baby an und sagte:
''Ach ach - ich hatte mir so sehr eine Tochter gewünscht. Aber
was bist du nur. Ach was bist du nur. Du bist nur ein Junge!'' Baris
brüllte. Er hatte Hunger. Ich versuchte es mit meiner Brust.
Aber Baris wehrte sich, als hätte ich Rote Beete- und Spinatsaft
in der Brust. Die Araberinnen sahen es und kamen zu mir herüber.
Sie zogen an meiner Brust, quetschten und zerrten daran, dass ich
dachte, sie wollten einen Tür-Vorhängelappen daraus machen.
Nachdem ich die Tortur nicht mehr ertragen konnte, haute ich um
mich und die Frauen machten sich davon, nicht ohne mir zu sagen,
dass sie alle diese Prozedur hinter sich hätten, und es ganz
normal sei, nach der Geburt eines Kindes mit Hängetüten
herumzulaufen. Ich konnte und wollte das nicht glauben.
Ich fragte eine Amme, die nach einer Weile hereinschaute. Sie brachte
mir ein Glas mit Wasser und sagte, dass ich es meinem Sohn geben
sollte. Ich probierte es. Es war pures Zuckerwasser. Weil ich mir
keinen besseren Rat wußte, gab ich es Baris. Er nuckelte verzückt
an meinem Finger, den ich zuvor ins Glas getaucht hatte. Irgendwann
schliefen wir wieder ein. In der Nacht erwachte ich vom Weinen Baris's
und sah, wie eine riesige Kakerlake (8cm) am Rand des Glases balancierte.
Das war genug. Ich beschloss für mich von nun an gar nichts
mehr komisch oder eklig oder unglaublich zu finden... um nicht von
einem schwarzen Loch ins nächste fallen zu müssen.
Am
nächsten Tag holten mich Ganimet und Kemal ab. Wir gingen zu
Fuß nach Hause. Der Weg vorbei an diesem Kanal schien mir
heute nicht enden zu wollen. Damals war er gerade frisch angelegt
und noch nicht so umbaut wie heute. Ich war überglücklich,
endlich wieder zu Hause zu sein. Aber die Horrorfahrt war noch nicht
ganz zu Ende.
In den folgenden Tagen wurden die Schmerzen schier unerträglich.
Ich wollte zur Toilette, konnte aber nicht, wenn ich es doch versuchte,
verschwand der Drang durch die Schmerzen wieder. Ich ass nur noch
sehr wenig, um den Druck so gering wie möglich zu halten. Als
ich am 6. Tag immer noch nicht auf die Toilette konnte, fing ich
an zu beten. Ganimet brachte mir Schalen mit heißem Kamillenwasser
und ich betupfte damit meine geschundene Vagina. Ich konnte nicht
sehen, was mich so schmerzte und ich schämte mich davor, Ganimet
darum zu bitten, nachzusehen, warum es so sehr wehtat.
Ich tupfte also weiter und betete im Namen meines Sohnes, Kemals
und Ganimets darum, dass ich auf die Toilette gehen könnte
und mich um mein Baby kümmern konnte. Ich fühlte große
Eifersucht, wenn Ganimet Baris nachts zu sich nahm, um mich zu entlasten.
Am achten Tag spürte ich eine solche Verzweiflung und Wut in
mir darüber, dass ich noch immer vor Schmerzen im Bett gekrümmt
lag, dass ich mir vornahm es zu schaffen, komme da was wolle. Und
so ging ich auf die Toilette, schrie in ein Handtuch hinein, durchlebte
noch einmal die Schmerzen der Geburt und "legte einen Stein
ins WC". Danach ging ich stolz wie eine Olympiasiegerin zu
den anderen und verkündete meinen Sieg. Und ich lies mich richtig
mit Leckereien verwöhnen. Endlich konnte ich wieder essen!
Am Nachmittag desselben Tages, als Ganimet nicht im Haus war, nahm
ich mir einen kleinen Kosmetikspiegel aus dem Bad und sah nach,
was mich da so schmerzte. Da sah ich, dass ich einen Dammriss gehabt
hatte. Eine von unten eingerissene Schamlippe war zur Hälfte
wie zu einer Kugel verknuddelt nach oben gezogen geformt und in
dieser Form zusammengenäht. Die Amme hatte mit den durch den
Riss weghängenden Hautlappen wohl nichts anderes anzufangen
gewußt, als es einfach mit dem oberen Teil meiner Schamlippe
zusammenzunähen.
Mir wurde wieder schwarz vor Augen. Ich stellte mir vor, wieder
in die Klinik zu gehen, alles noch einmal aufmachen zu lassen und
dann die ganze Prozedur von vorne zu ertragen. Aber diese Vorstellung
war mir zu viel. Ich beschloss, alles so zu lassen, wie es war.
Aber es sollte sehr sehr lange nicht verheilen. Jahre später,
als ich immer noch mit meiner nicht heilen wollenden Wunde zu kämpfen
hatte, stattete ich meinem Frauenarzte in Deutschland einen Besuch
ab. Er war entsetzt darüber was er sah. Er schlug mir eine
Transplantation vor - Haut aus meinem Oberschenkel zu schneiden
- um sie dann dort wieder einzusetzen. Ich entschied mich dafür,
zu hoffen, dass die Wunde sich irgendwann von selbst ganz schließen
würde und beliess es, wie es war.
Hier noch ein Schlaflied, dass mir mein späterer Lebensgefährte
und Ehemann Mehmet beibrachte:
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