FRANZ SUSMAN - KIRCHENHISTORIKER
"Und die Erde wird neu erblühen"



Sokrates



Sokrates

Sokrates hatte zuerst gemahnt, sich vor Speisen und Getränken zu hüten, die uns reizen, ohne Hunger zu essen und ohne Durst zu trinken.
Er untersagte seinen Schülern zwar nicht davon zu essen, aber er lehrte, man solle nur in Notfällen davon essen, gleich den Staatsmännern, die die zu Schauspielen bestimmten Gelder zu Kriegszwecken ver-wenden.

(Dieser Text schon einmal vorhanden?)
Denn eine Speise, die verlocke, dürfe nur insoweit genossen werden, als sie einen Teil der nötigen Nahrung ausmache. Man kann das Angenehme essen wenn man hungert, aber man soll nicht die Esslust nach einzelnen Dingen besonders wecken, wenn man das Bedürfnis schon gestillt hat.
So wie das Tanzen für Sokrates eine angenehme Leibesübung war, so meinte er auch, dass der Nachtisch niemandem zum Schaden gereicht, der ihn als ordentliche Mahlzeit genießt.

Wenn seltene und köstliche Speisen aufgetragen werden, so muss man eher eine Ehre in der Enthaltung als im Genuss suchen und denken wie Simonides, der sagte, das Schweigen habe ihn niemals gereut, wohl aber oft das Reden. So werden wir es auch nicht bereuen, wenn wir ein Gericht auslassen oder statt des salernischen Weins Wasser trinken, das Gegenteil aber werden wir bereuen. Indessen darf man nicht bloß der Natur keine Gewalt antun, sondern muss auch, wenn man einmal dergleichen aus Not genießt, die Esslust immer wieder auf einfache Speisen richten, um der Gewohnheit und der Übung willen in der Überzeugung, dass Schwelgerei und Üppigkeit hauptsächlich Aufstände und Niederwerfungen in den Staaten hervorrufen, gab Krates, der Schüler des Diogenes, die scherzhafte Ermahnung: "Ziehe den Linsen nicht die leckeren Gerichte vor, damit du uns nicht in Aufruhr verwickelst." Ebenso muss jeder sich selbst ermahnen, den Linsen nicht die leckeren Speisen vorzuziehen, noch der Fische wegen Kresse und Oliven zu verschmähen, damit man im Körper nicht Aufruhr und Unruhe verursache. Denn einfache Speisen halten die Esslust immer in den Schranken der Natur, die Künsteleien der Köche und Zuckerbäcker dagegen vermehren das Vergnügen ohne wirklichen Nutzen. "Ich begreife nicht, wie man diejenigen Frauen hasst,
die ihren Männern Liebestränke und Zaubermittel geben, wenn man nichts dazu sagt, dass Köche und Angestellte unsere Speisen verzaubern und vergiften!"

Den Athenern warf Demades vor, dass sie immer zur Unzeit kriegerisch würden und nach einer erlittenen Niederlage nur in schwarzen Kleidern Frieden schlössen. Ebenso denken auch wir nicht eher an eine mäßige und einfache Lebensweise, als bis wir uns von den Ärzten behandeln lassen müssen. Auch dann noch suchen wir unsere Vergehen so viel wie möglich zu bemänteln und schieben die Schuld nicht auf die Unmäßigkeit und Leckerhaftigkeit sondern auf die Luft oder auf die ungesunde Gegend oder auf eine Landseuche.

Für einen gesunden Körper schicken sich keine heftigen, widerspenstigen und tobenden Begierden. Daher muss man einer ausschweifenden lüsternen Essbegierde widerstehen und ihr Klagen und Drängen für lächerlich und kindisch halten. Man bedenke, dass die Esslust gestillt sein werde, sobald das Essen ab-getragen worden ist, und dass die Begierden dann gelassen und ruhig den folgenden Tag erwarten werden.

Timotheos (ca. 450-360 vor Christus) sagte, nachdem er bei Platon in der Akademie einem philosophischen und mäßigen Gastmahl beigewohnt hatte: "Wer beim Plato speist, der hat auch noch am andern Tag Lust zu essen." Und von Alexander erzählt man, als die Königin Ada von Karien ihm Köche zugesandt hatte, hätte er sie mit den Worten zurückgeschickt: er führe weit bessere Köche mit sich, für das Mittagsmahl den nächtlichen Marsch, für das Abendessen die dürftige Mittagsmahlzeit.
Allerdings können die Menschen auch durch Übermüdung, Erhitzung und Erkältung in Fieber verfallen. Allein wie der schwache Geruch der Blumen stärker wird, wann man ihn mit Öl versetzt, ebenso gibt auch der Überfluss an Säften den äußerlichen Ursachen den Stoff; ohne diesen wäre nichts Schlimmes zu befürchten, sondern die äußerlichen Ursachen lassen sich gar leicht beheben, begünstigt durch ein ver-dünntes Blut und einen freien Atem, der der Bewegung zustatten kommt. Die überflüssige Menge von Säften aber pflegt, wie ein aufgerührter Schlamm, alles zu verunreinigen, zu verschlimmern und die Kur zu erschweren. Deshalb darf man den Leib nicht erst überladen und beschweren und alsdann wieder reinigen und ausspülen, so wie eifrige Schiffer aus Geiz zu viele Ladung in das Schiff nehmen, und nachher unaufhörlich das Seewasser auspumpen müssen - sondern man muss seinen Leib beständig in einem solchen Zustand erhalten, dass er sich, wie Kork, durch seine Leichtigkeit wieder emporheben kann, falls er einmal niedergedrückt wird.

Hauptsächlich hüte man sich vor der Unverdaulichkeit, welche vom Fleisch herrührt, weil sie nicht bloß anfangs Beschwerden verursacht sondern auch sehr üble Folgen zurücklässt. Am besten wäre es, seinen Körper so zu erziehen, dass er des Fleisches gar nicht bedarf.

Die Erde bringt ja tausendfach nicht bloß nahrhafte sondern auch angenehme Dinge hervor, die man teils auf der Stelle ohne weitere Mühe genießen, teils auch durch Vermischung und vielfältige Zubereitung noch angenehmer machen kann.

Die Arzneien richten im Unterleib nichts als Zerrüttung an, verderben und lösen alles Vorhandene auf und erzeugen dadurch mehr schlechte Säfte als sie austreiben. Derjenige handelt lächerlich, der sich, um den Körper zu reinigen, purgierende Körner und Kräuter und andere naturwidrige Arzneien, die eher selber der Reinigung bedürfen, mit Gewalt einzwingt.

Vom Kaiser Tiberius wird erzählt, er habe einst gesagt: "Ein Mann, der über sechzig Jahre als ist und sich noch vom Arzt den Puls fühlen lässt, macht sich lächerlich." Dies mag zu weit gegangen sein, aber das bleibt wahr, dass ein jeder Kenntnis haben müsste von der Beschaffenheit des Pulses, der Mischung und Wärme und Trockenheit in seinem Körper und von den Dingen, die für ihn nützlich oder schädlich sind. Denn der, der dieses erst von anderen erfahren muss und einen Arzt befragen genötigt ist, der wohnt blind und taub in seinem Körper. Es ist nicht bloß nützlich sondern auch leicht zu wissen, ob man im Winter oder im Sommer gesünder ist, ob Feuchtes oder Trockenes einem besser zusagt, ob man einen schnellen oder einen langsamen Puls hat, denn man kann beständig darauf achten und immer Erfahrungen machen. Man muss wissen, wie man unter den Speisen die nützlicheren vor den schmackhaften auswählt, was dem Magen nützlich und was ihm schädlich ist, was die Verdauung nicht stört und was nur zum Gaumenkitzel dient. Wann man den Arzt fragt, was leicht und was schwer verdaulich ist, was den Magen stärkt und was ihn verdirbt, dann ist das ebenso unsinnig als wenn man ihn fragt, was süß, bitter oder sauer ist.

In der Schilderung das "Gastmahls der sieben Weisen" Ethica 12, setzt Plutarch diese Ernährungslehre weiter fort.
Sie scherzten bei Tisch miteinander. Indessen bemerkte ich, dass die Mahlzeit viel einfacher als gewöhnlich war und ich ersah daraus, dass die Bewirtung weiser und maßvoller Männer keineswegs einen größeren sondern vielmehr einen geringeren Aufwand erforderte und sie alle Verschwendungen an künstlichen Gerichten, ausländischen Leckerbissen und künstlichen Weinen überflüssig machte. Früher pflegte Periander (Periandros, Herrscher von Korinth um 627 - 585/4 vor unserer Zeitrechnung: Neuverteilung des Grundbesitzes, gegen den Luxus, gut zu anderen Staaten Griechenlands) auch in solcher Verschwendung zu leben wegen seines Reichtums und seiner Würden, jetzt aber treibt er vor diesen Männern nicht mehr solchen Aufwand sondern gibt sich die Ehre von Maß und Einfachheit. Ebenso macht er es mit seiner Gemahlin, die ihren normalen Schmuck, den sie immer trug, hat ablegen müssen und die nun in einem einfachen Kleid erschien.

Ich lobe den Epimenides (Epimenides, Seher in der griechischen Sage. Soll in einen 57 Jahre dauernden Schlaf gefallen sein. Goethe schrieb 1814 ein Festspiel: "Des Epimenides Erwachen". Epimenides soll um 700 - 500 vor unserer Zeitrechnung gelebt haben.), sagte Thales (5. Jh. Der erste der Sieben Weisen) im Scherz, dass er sich nicht erst die Mühe machen will, sein Essen zu mahlen und zu kochen wie Pittakus es tut. Hesiod ist es, der dem Epimenides zuerst die Anweisung zu solcher Speise gab, erwiderte Solon, indem er ihn aufforderte, zu untersuchen, welchen Nutzen die Malven und die Asphodillen (Asphodillen, Liliengewächs, Zierpflanze) gewähren, womit er wahrscheinlich sagen wollte, dass man der gefährlichen Schifffahrt und der mühsamen Feldarbeit enthoben wäre, wenn man sich mit solch einfacher Kost begnügen würde.

Meinst du, sagte Periander, Hesiod hätte dies gesagt und uns nicht vielmehr die einfachsten und gesunde-sten Speisen empfehlen wollen, wie er ja bei jeder Gelegenheit die Sparsamkeit preist? Die Malve ist angenehm zu essen und der Stengel der Asphodillen ist süß. Jene Speise oder vielmehr Arznei wird dagegen wie ich höre aus Honig, ausländischem Käse und vielerlei seltenen Samen bereitet. Würde, um mit Hesiod zu reden, wohl die Arbeit der Ochsen und lasttragenden Männer je rasten dürfen, wenn man alle diese Speisen anschaffen müsste? Es wundert mich sehr, mein Solon, dass dein Gastfreund, als er seine große Weihe in Delos empfing, nicht bemerkte, dass dort Beispiele der ältesten Nahrung als Erinnerung in den Tempel gebracht wurden und unter anderem auch Malven und Asphodillenstengel. Diese rühmt Hesiod zweifellos auch deswegen, weil sie einfach sind. - Und nicht allein deswegen, sagte Anacharsis, sondern auch weil beide als die gesündesten unter allen Kräutern gelten.

In den Maximen von Königen und Feldherren und in den lakonischen Maximen Ethica - Buch 16 und 17 - nennt Plutarch berühmte Namen von Menschen, die einer einfachen Lebensweise zugetan waren:
Der ältere Cato sagte einst, als er öffentlich über Verschwendung und Üppigkeit redete: "Wie schwer ist es, zum Bauch zu reden, der keine Ohren hat."

Agesilaus sagte zu einem, der sich über seine und der Lazedämonier Mäßigkeit in Kost und Kleidung wunderte: "Für diese Kost o Fremdling ernten wir die Freiheit."
Jemand wollte ihn überreden, von dieser Strenge abzulassen, da er ja nicht wissen Könne, ob das Schicksal ihm immer Gelegenheit dazu geben würde. Er antwortete: "Ich gewöhne mich so, damit ich in keiner Veränderung eine Veränderung suche."

Auch im Alter setzte er diese Lebensweise fort. Als man ihn einst fragte, weshalb er als Greis bei strengem Winter ohne Unterkleid ausginge, sprach er: "Damit die Jüngeren nachahmen, wozu ihnen die Ältesten und Könige ein Beispiel geben."